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Ein wilder Sturm entstand im Saal:

       „Es gibt keinen Massa mehr! Niemand darf das Wort mehr gebrauchen! Ladies sollten vorsichtiger mit ihren Ausdrücken sein! ...“

       „Nein! Kein Massa!“, schrieen andere. „Wir sind jetzt Massa selber, Massa soll der Teufel holen.“

       „Oh Gemmen“, bat die Frau erschreckt, „es fuhr mir nur so heraus, wir haben es ja von Kind auf so gesagt und es klingt wie ein Name.“

       „Aber wir wollen keine Massas mehr haben!“, schrie eine kleine, hagere Negerin, indem sie mit der dünnen, geballten Faust vor sich auf den Tisch schlug. „Und wer noch einmal das Wort gebraucht, soll die ganze Gesellschaft traktieren oder den Saal verlassen.“

       „Hurra! Das ist recht“, schrieen andere wieder. „Wir wollen keine Massas!“

       „Ladies“, bemerkte Mr. Alfred Henderson, wie er sich eben selber getauft hatte, „das schöne Geschlecht hat nur einen Sitz, aber keine Stimme.“

       „Oho, Gentleman57 Sip!“, schrie eine alte Negerin. „Ob wir Stimmen haben. Sie rede ich noch in Grund und Boden hinein und behalte genug über, um drei andere tot zu machen.“

       „Ich habe ums Wort gebeten!“, rief die feine Stimme wieder, und ein breitschultriger, baumstarker Neger erhob sich, um durch seine Erscheinung seinen Worten Nachdruck zu geben.

       „Und was wünschen Sie, Gentleman Colibri?“, Welchen Namen er von seinem früheren Herrn bekommen.

       „Ich mache den Vorschlag“, sagte der Breitschultrige, „dass wir hier erst morgen wieder zusammenkommen, um unsere neuen Namen anzugeben. Wir müssen uns doch erst mit den Unseren bereden, wie wir von jetzt an heißen wollen, und so auf dem Fleck fällt einem das ja doch nicht ein. Es muss auch ordentlich eingeschrieben werden, damit man den Namen, wenn man ihn wieder vergisst, erfragen kann.“

       „Ja – das ist wahr – das ist wahr!“, rief es von einer Seite, während von der anderen der Vorwurf gemacht wurde, dass man seinen eigenen Namen doch nicht vergessen könne. Die Mehrzahl mochte sich aber doch wohl in der Hinsicht nicht ganz sicher fühlen, kurz, es wurde darüber abgestimmt und die Majorität entscheid sich in der Tat dahin, dass sie den morgenden Tag erst für die Abgabe des künftigen Namens ansetzen wollten. Die Damen waren überhaupt noch lange nicht mit sich einig, welchen sie etwa wählen könnten, denn recht hübsch musste er klingen, und die freie Wahl hatten sie ja dazu.

       Das Ganze war allerdings für die farbige Rasse von nicht geringer Wichtigkeit, und es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, dass sie nach Jahrhunderten von diesem Jahr ab ihren „Stammbaum“ rechnen werden.

       Während die farbige Gesellschaft abstimmte, hatten zwei weiße Herren den Saal betreten und waren Anfangs misstrauisch von jenen betrachtet worden. Bald erkannten die hier in Covington Ansässigen aber den Friedensrichter unter ihnen, der überall als ein braver, tüchtiger Mann und ein Freund der Neger galt, und die Leute grüßten ihn und ließen ihn ruhig gewähren.

       Nun hatte „Alfred Henderson“ allerdings geglaubt, dass der ganze Nachmittag mit dem Aufschreiben der Namen hingehen würde, nach dem gestellten Antrag aber, die Sache auf morgen zu verschieben, um eben Zeit zum Überlegen zu haben, war ihm der Stoff hier kurz abgeschnitten und er kam dadurch einigermaßen in Verlegenheit. Die Versammlung hätte aufgelöst werden müssen, und als letzten, eigentlich verzweifelten Versuch, wandte er sich noch einmal an die Anwesenden und sagte:

       „Gemmen, es liegt für heute allerdings kein wichtiger Gegenstand mehr vor.“ Die parlamentarischen Phrasen hatte er sich doch bei früheren Gelegenheiten abgemerkt. „Hätte aber jemand von Ihnen noch einen Antrag zu stellen, der sich auf unsere gegenwärtige bürgerliche Stellung bezieht, so würden wir ihm sehr dankbar sein, wenn er jetzt damit herauskäme.“

       Alles schwieg. Die farbigen Gentlemen sahen sich etwas verdutzt um. Sie waren nur hierher gekommen, Anträge zu hören und nicht selber welche zu stellen, und es entstand dadurch eine etwas lange und eigentlich beängstigende Pause. Die benutzte aber der Schriftführer, jener Mulatte Barbier, um aufzustehen und den Saal zu verlassen, während Alfred Henderson noch einmal seine Frage wiederholte, um dann, wenn keine Antwort erfolgte, die Sitzung für heute zu schließen. Alfred Henderson, weiland Sip, hatte außerordentlich viel parlamentarischen Takt; aber er kam trotzdem fast aus seiner parlamentarischen Fassung, als sich plötzlich, dicht hinter ihm, die schrillen Töne einer Violine hören ließen, die unmittelbar darauf auch schon in eine lebendige ‚Jig’58 übergingen.

       Rasch drehte er den Kopf danach und fühlte sich aufs Tiefste empört, als er niemand Geringeren als seinen eigenen Schriftführer entdeckte, der da mit fertiger Hand, und ohne sich weiter um die ganze Versammlung zu bekümmern, seinen Bogen strich und auf die Versammelten jedenfalls einen wahren Zauber ausübte.

       „Aber Gentleman Jefferson“, rief der Präsident in voller Aufregung, kam jedoch nicht weiter. Die junge farbige Bevölkerung, die draußen vor den Fenstern des Lokals stand und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit dieser ganz neuen Erscheinung – einer Debatte von farbigen Leuten gelauscht – und die verschiedenen Gruppen beobachtet hatte, hörte kaum die – hier allerdings nicht erwarteten, aber deshalb gerade um so mehr berauschenden – Töne, als sie im Nu jede Schranke niederwarf. Bei dem, was jetzt in dem Saal vorging, konnten sie ebenfalls ein Wort mit einsprechen, und im Nu war die Tür aufgestoßen, und die Masse drängte in vollen Schwärmen herein.

       „Ladies und Gemmen!“ rief Alfred Henderson in blanker Verzweiflung aus, denn dabei ging seine Autorität allerdings zu Grunde. „Das kann ich nicht dulden! Das ist gegen das Gesetz! Wir haben hier eine politische Versammlung und das Geschäft ist zu ernst, um...“

       Es half ihm nichts, denn nach drängte es in hellen Haufen, und mit Lachen und Kichern und Jauchzen sprangen die Paare schon dem Präsidenten gerade entgegen, den Saal entlang. Einhalt war da gar nicht mehr zu tun. Alfred Henderson donnerte allerdings dem leichtsinnigen Barbier einige Zornesworte zu, aber Mr. Jefferson war viel zu sehr in seine Melodie vertieft, da er noch dazu als Prompter59 dienen musste, um auch nur im Geringsten darauf zu hören, und im nächsten Augenblick schon war auch die ganze Versammlung dermaßen aufgelöst, dass an eine weitere Verhandlung nicht mehr gedacht werden konnte. Das sprang und jauchzte nur so durcheinander, und die schrillen Töne der Violine übertäubten jede weitere Ermahnung.

       Die beiden Weißen, die Zeugen dieser Szene gewesen, hatten lächelnd dem wunderlichen Schluss der Versammlung zugeschaut. Erst aber als der Tanz in vollem Gange war und überall frische Paare antraten und den Boden dabei stampften, dass das ganze Haus erzitterte, verließen sie den Saal. Durch die starke Bewegung entwickelte sich außerdem eine Atmosphäre, die ihren Geruchsnerven widerstrebte, und es drängte sie hinaus an die frische Luft zu kommen.

       Beide waren ein paar schlanke, hochgewachsene Männer, in ihrer Tracht, dem amerikanischen Schnitt, fast gleich und sehr anständig gekleidet, und doch hätte man lange suchen können, ehe man zwei Menschen gefunden, die in dem Ausdruck ihrer Züge eben wieder so verschieden gewesen wären, als diese gerade und der Unterschied lag nicht etwa in dem großen und starken Bart, den der eine von ihnen trug. Dieser war ein Deutscher, Fortmann mit Namen, stark und breitschultrig gebaut, mit einem guten, ehrlichen Ausdruck in den Zügen und einem Paar klarer, blauer Augen, die jedem, mit dem er sprach, fest und treuherzig begegneten.

       Ganz verschieden von ihm war sein Begleiter, ein Amerikaner, dessen vollkommen glattrasiertes, aber scharf markiertes Gesicht ihn deutlich genug als ein Kind der nordöstlichen oder Neu-England-Staaten verriet. An Gestalt und kräftig gebautem Körper wie in seiner Kleidung hielt er sich mehr ungeniert, ja man hätte fast nachlässig sagen können. Die Kleider hingen ihm nur so auf dem Körper, der Hut saß ihm weit zurück im Nacken, die beiden Daumen trug er in den Armlöchern der Weste, und beide Ballen seiner noch ganz neuen Stiefel hatte er mit einem scharfen Federmesser aufgeschnitten, weil sie ihn wahrscheinlich etwas gedrückt.

       Er hielt auch etwas auf Schmuck. Während sein Begleiter, der Deutsche, nicht einmal einen Goldreif an einem Finger zeigte, trug der Amerikaner eine große Tuchnadel, emaillierte

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