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Käthchen!"

       „Lieber Hans", sagte die Mutter mit einem gewissen Selbstbewusstsein. „Derartige Leute haben nicht das feine Gefühl von Anhänglichkeit und Dankbarkeit, wie wir es oft – wenn wir nach uns selber schließen – empfinden. Außerdem hat Käthchen aber eine so ausgezeichnete Erziehung genossen und so viel gelernt, dass ihre Zukunft in jeder Hinsicht gesichert ist."

       „Und wo hält sie sich jetzt auf?"

       „Ich weiß es nicht, es war die Rede davon, dass sie mit einer russischen Familie, die einige Wochen hier verweilte, nach Italien als Gesellschafterin gegangen wäre – aber genug davon", brach die Mutter ab. „In der Freude und Überraschung des Wiedersehens haben wir bis jetzt ganz vergessen, dir das wichtigste Ereignis in unserer Familie mitzuteilen: Fränzchen ist Braut."

       „Braut!" rief Hans, der im Nu alles andere darüber vergaß und überrascht die Schwester ansah. „Braut? Mit wem?"

       „Mit einem Grafen Rauten", sagte die Mutter, nicht ohne etwas mütterlichen Stolz. „Er stammt aus einer sehr alten galizischen Familie und ist ein liebenswürdiger, sehr gebildeter Mann, auch selbst weit gereist. Er war lange Jahre in englischen Diensten drüben in Indien."

       „In der Tat?" rief Hans. „Nun, mein herziges Fränzchen, meine besten Wünsche hast du, aber wo ist er jetzt?"

       „Hier in Rhodenburg. Er wohnt natürlich im Hotel, kommt aber jeden morgen her. Du wirst ihn gewiss lieb gewinnen", sagte Franziska.

       „Gewiss, mein braves Schwesterchen, wenn du ihm gut bist. Aber jetzt, Papa, möchte ich dich doch bitten, jemand aus dem Hause nach dem berühmten Goldenen Löwen zu schicken, um meine Sachen dort abzuholen. Meine Rechnung habe ich schon bezahlt und alles zusammengepackt, er braucht nur meinen Namen zu nennen."

       „Wenn du dich nur wenigstens Müller oder Meier genannt hättest", seufzte die gnädige Frau. „Aber das Unglück ist jetzt einmal geschehen. Fränzchen, du bist wohl so gut und schickst augenblicklich den Portier hinüber, und kannst dann gleich deinem Bruder sein Zimmer zeigen, damit er sich erst wieder heimisch fühlt."

       „Brav, Fränzchen", rief Hans, indem er aufsprang und den Arm der Schwester nahm. „Komm, Schatz, jetzt führst du mich wieder durch die alten Räume, du kannst gar nicht glauben, wie ich mich danach gesehnt habe, sie wieder einmal zu durchwandern. Oh, ich fühle mich in diesem Augenblick so glücklich!"

       „Das ist sehr hübsch von dir, Hans", sagte Fränzchen, als sie mit ihm den Frühstückssalon verließ. „Aber eins tut trotzdem Not, und die Mutter hat vollkommen recht."

       „In was, mein Herz?"

       „Darin, Hans, dass wir dich tüchtig zustutzen müssen, ehe du für die hiesige Gesellschaft wieder zu gebrauchen bist."

       „Glaubst du wirklich?" lächelte Hans und sah sie von der Seite an.

       „Es ist meine feste Überzeugung, Hans."

      Zweites Kapitel

      Eine andere Heimkehr.

       An dem nämlichen Tage, Mittags um zwölf Uhr, stand beim alten Tischlermeister Handorf der Tisch in der großen Stube gedeckt. Es war ein Sonntag, die Frau und Tochter kamen eben aus der Kirche zurück, legten ihre Bücher und Tücher ab und setzten sich still und schweigend ans Fenster. Sie sahen beide bleich aus und hatten rotgeweinte Augen.

       Der Vater, ein Greis mit silberweißen Haaren, ging mit langsamen, festen Schritten in der Stube auf und ab; er bot den beiden nicht einmal einen guten Tag, als sie das Zimmer betraten, und hörte auch wohl nicht ihren so leise geflüsterten Gruß. Er war in tiefen Gedanken, aber sie mussten peinlicher Art sein, denn er hielt die Lippen fest übereinander gepresst und das Auge stier und finster am Boden haftend, und doch dachte er auch noch an anderes, denn dann und wann flog sein Blick nach der alten Schwarzwälder Uhr hinüber, die in einem langen Gehäuse in der einen Ecke stand und einige Minuten noch vor zwölf Uhr zeigte.

       Ein kleines Mädchen von vierzehn Jahren stand am Tisch und sah scheu nach den Eltern hinüber, ein dicker, pausbäckiger Junge von etwa sechs Jahren, der Enkel der alten Leute und der Sohn einer verstorbenen Tochter, spielte in der Ecke mit ein paar schon zerbrochenen hölzernen Soldaten, wahrscheinlich Überbleibseln vom letzten Weihnachtstisch, und der war es auch, der das Schweigen zuerst brach: „Essen wir noch nicht bald, Großmutter?"

       „Ja, recht bald, Max, warte nur noch ein klein wenig, bist du so hungrig, so will ich dir indes ein Stück Brot geben."

       „Ne, ich will kein Brot", brummte Max. „Heute ist Sonntag, heute essen wir Fleisch."

       „Um wie viel Uhr kommt der Zug?" fragte der Vater plötzlich mit heiserer Stimme und blieb vor der Uhr stehen, zu der er aufsah. Es war, als ob er seine Frau nicht anschauen konnte.

       „Um elf Uhr sechsundvierzig Minuten steht es im Plan", antwortete sie leise. „Er muss schon da sein, wenn er sich nicht verspätet hat." Und sie holte dabei aus tiefer, voller Brust Atem, als ob sie die Last nicht ertragen konnte, die darauf lag.

       Der Mann erwiderte nichts, sondern setzte seinen unterbrochenen Gang im Zimmer wieder fort, herüber und hinüber, und: „Großmutter, essen wir noch nicht bald?" fragt Max mit weinerlicher Stimme wieder. „Ich halt’s jetzt nicht mehr aus."

       „Gleich, mein Kind, gleich", erwiderte die Frau. „Dein Onkel kommt ja heute wieder zu uns zurück, willst du denn nicht warten, dass du mit ihm essen kannst?"

       „Aber ich bin hungrig, warum kommt er denn nicht früher?"

       Draußen ging die Haustür und fiel wieder ins Schloss. Der Mann blieb nicht weit von der Uhr, die Arme jetzt auf der Brust gekreuzt, im Zimmer stehen. Er war ganz fahl im Gesicht geworden und die Augen hefteten sich stier auf die Tür. Die Mutter hatte die Hände fest und krampfhaft zusammengefaltet, und auch ihr Auge hing mit peinlicher Spannung an der Türklinke, während Margarete, die Tochter, ein junges Mädchen von vielleicht zwanzig Jahren, mit der rechten Hand angstvoll ihr Herz gefasst hielt und dabei nur nach dem Vater hinüberschaute.

       Draußen durch das mit Steinplatten belegte Vorhaus kam ein schwerer, langsamer Schritt näher und näher – jetzt hielt er vor der Tür.

       Die Mutter atmete schwer und rasch, aber keiner im Zimmer sprach ein Wort, wohl eine volle Minute lang, ja, wagte kaum ein Glied zu regen oder mit den Wimpern zu zucken.

       Jetzt drückte sich die Klinke an der Stubentür langsam nieder, es klopfte niemand an. Die Tür öffnete sich Zoll nach Zoll, jetzt zeigte sich eine bleiche, in einen grobtuchenen, grauen Rock gekleidete Gestalt, die auf der Schwelle stand und den dunklen Blick aus den tiefliegenden Augenhöhlen über die Stube schweifen ließ.

       Niemand da drinnen regte sich, kein Willkommen nach jahrelanger Trennung ward ihm entgegen gerufen. Die zusammengefalteten Hände der Mutter lösten sich allerdings und hoben sich langsam empor, aber sie richtete sich nicht auf, hätte es auch nicht vermocht, denn wie eine Zentnerlast von Blei lag es ihr auf den zitternden Gliedern.

       Das kleine Mädchen hatte den rechten Zeigefinger zwischen die Lippen genommen und blickte scheu und halb abgewendet nach dem 'Fremden' hinüber, und Margarete saß regungslos auf ihrem Stuhl, während ihr die vollen Tränen langsam an ihren Wangen niedertropften.

       Wie aus Stein gehauen aber stand der Vater, keine Muskel seines Körpers regten sich oder zuckte nur, nicht die Wimper seines stieren Auges, das er fest und eisern auf den Sohn geheftet hielt. Er sprach nicht, aber er erwartete auch keine Anrede. Er war da, das schien alles, was er in dem Augenblick fühlte, und für das, was ihm jetzt die Seele zermarterte, hatte er keine Worte. Ebenso schweigend stand der Sohn auf der Schwelle, was in dem Blick lag, den er jetzt über die Gruppe sandte und abwechselnd von einem zum anderen gleiten ließ, wer hätte es ergründen können? Scham? Scheu? Schmerz? Zerknirschung oder Trotz? – Aber lange hielt er das nicht aus; der Hut entfiel seiner Hand, und an den kleinen Geschwistern vorbei, die ihm scheu auswichen, eilte er auf die Mutter zu, sank neben ihrem Stuhl auf die Knie nieder,

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