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der Beamte, der plötzlich auf seinem Steckenpferd fest im Sattel saß, denn es handelte sich dabei um seine eigene Person. „Ich tue alles regelmäßig, und ich möchte sagen: nach dem Glockenschlag. Im Sommer morgens um sechs, im Winter um sieben Uhr steh‘ ich auf, und dann muss die Stube schon ein bisschen warm sein; nachher trink‘ ich Kaffee und rauche meine Pfeife dazu, die mir das Linchen, meine älteste Tochter, schon gestopft hat; dann kommt das Tageblatt, das les‘ ich, dann trink‘ ich ein Glas Wasser – ich habe das, besonders in der letzten Zeit, als sehr zuträglich gefunden – nachher rasiere ich mich und ziehe mich langsam an und gehe dann Punkt neun Uhr in mein Büro. Wir sollen eigentlich schon um neun Uhr dort sein, aber so früh kommt doch niemand. Um zwölf Uhr wird dort geschlossen, auch mit dem Glockenschlage. Dann mache ich einen kleinen Spaziergang, immer den nämlichen Weg über die Promenade und gerade zweitausendsechshundert Schritt – ich habe es schon mehrere Male abgezählt -, wonach ich dann Punkt halb ein Uhr, wo wir essen, hier in meiner Wohnung am Tisch sitze. Um ein Uhr sind wir fertig; nach Tische muss ich jedes Mal ein Glas Wasser trinken, denn ich habe gefunden, dass mir das außerordentlich...“

       „Ich glaube, Fräulein Blendheim ist am Schlusse“, sagte Dürrbeck, der kein einziges Wort von der ganzen langweiligen Auseinandersetzung gehört oder auch nur darauf geachtet hatte – was ging ihn die Lebensweise dieses oder irgendeines Kalkulators an! „Sie werden entschuldigen, verehrter Herr...“

       „Bitte“, sagte der Beamte mit einer Handbewegung, die alles einbegriff, was der Hauptmann nur wünschen konnte – er entließ ihn förmlich, denn dass er in seinen Biographien unterbrochen wurde, war er schon gewohnt, und Dürrbeck eilte zu der Geliebten hinüber, die er durch ein bestimmtes Klopfen in das 'gute Zimmer‘ der Familie zitierte.

       „Bernhard“, sagte Constanze mit herzlicher Stimme, als sie dem Ruf rasch Folge leistete. „Wie freue ich mich, dich heute noch einmal zu sprechen – wie habe ich mich danach gesehnt!“

       „Du siehst blass aus, mein Herz“, sagte der Hauptmann besorgt, als er einen Kuss auf ihre Lippen gedrückt und ihren Kopf zurückbog, um ihr in die Augen zu sehen – „Fehlt dir etwas?“

       „Körperlich nicht, Bernhard“, sagte das junge, schöne Mädchen, indem sie sich an ihn schmiegte und ihr Haupt an seine Schultern lehnte. „Und auch in diesem Augenblick, wo du wieder bei mir bist, selbst geistig nichts. Aber bin ich allein, dann erfasst mich manchmal eine unsagbare Angst, ein Gefühl, dem ich keine Worte geben kann und das mir doch trotzdem zuweilen den Atem versetzt und das Blut in den Adern stocken macht.“

       „Aber was für ein Gefühl, Constanze?“ bat Dürrbeck. „Haben wir nicht die Hauptschwierigkeit überwunden – und was anderes könnte dir noch Sorgen oder Bangen machen? Dein Kontrakt?“

       „Ich weiß es nicht; die lange Zögerung vielleicht, die Ungewissheit dessen, was dazwischen liegt – aber das auch nicht – mehr ein unbestimmtes etwas, wie eine Ahnung drohenden Unheils. Und doch, wenn ich vernünftig darüber nachdenke, so bietet sich mir kein Anhalt an irgendetwas.“

       „Träume, mein Schatz“, lächelte Dürrbeck. „Schweres Blut, du machst dir zu wenig Bewegung, und ich fürchte auch“, setzte er leiser hinzu, „die Kost hier im Haus ist für dich und deine ewige geistige Aufregung wie körperliche Anstrengung auf der Bühne nicht kräftig, nicht nahrhaft genug.“

       „Die Leute tun wirklich, was sie können, Bernhard“, sagte Constanze gutmütig. „Aber es ist auch nicht das, denn sobald du bei mir bist, schwindet dieses fast tötende Gefühl im Nu und mir ist so wohl und leicht, dass ich aufjauchzen möchte in Lust und Seligkeit.“

       „Mein Herz, mein liebes Herz“, dankte ihr der junge Mann, sie wieder fester an sich ziehend. „Aber nun schüttle auch die bösen Träume ab, die mein armes Mädchen nicht viel länger mehr quälen sollen. Ich habe heute wieder einen gar so lieben Brief von meiner guten Mutter gehabt, die dich einladen lässt, die Ferien, wenn bis dahin unsere Verbindung noch nicht geschlossen wäre, auf unserem Gute zuzubringen.“

       „Die gute Mutter...“

       „Ich habe dir den Brief mitgebracht; lies ihn heute Abend durch, wenn du allein bist, er wird dir so viel Freude machen, wie er mir gemacht.“

       „Ich danke dir, Bernhard – ich danke es deiner Mutter, die der armen, heimatlosen Waise so freundlich ihre Arme geöffnet hat.“

       „Und noch immer so traurig, Herz, so niedergedrückt? Ich bin ja bei dir jetzt, und da dürfen keine trüben Gedanken in dir weilen.“

       „Du hast Recht, Bernhard,“ sagte das schöne Mädchen, indem ein Lächeln über ihre freilich noch immer bleichen Züge glitt. „Du solltest mich schelten, dass ich so undankbar gegen dich bin, und doch ist es ja nur meine Liebe zu dir, die mich sorgen und mich ängstigen lässt – für mein eigenes Selbst lebt kein Gedanke in mir.“

       „Meine Constanze, mein süßes, herrliches Mädchen – aber ich muss wieder die rosigen Grübchen in deinen Wangen sehen“, sagte er kosend, indem er sie zu dem Ruhefauteuil am Fenster führte. „Komm‘, da setz dich hin, und ich erzähle dir meinen heutigen Besuch bei deinem Direktor.“

       „Du warst dort?“ rief Constanze hastig. „Und was hat er gesagt? Er weigert sich natürlich – ich bat dich gleich, den nutzlosen Versuch gar nicht zu machen. Er ist ein Geldmensch und weiter nichts.“

       „Bitte, mein Schatz“, lachte Dürrbeck. „Er ist auch noch etwas mehr, und zwar der komischste Kauz, der mir in meinem ganzen Leben vorgekommen ist. Denke dir, er studierte den Tasso – und hatte dazu noch seine Locken in Papilloten!“

       Constanze lächelte.

       „Und das noch nicht genug, Hans Solberg ärgerte ihn, und nachdem er uns gehörig angedonnert, ging er durch eine richtige und wahrhaftige Versenkung in die untere Etage!“

       „Das sieht ihm ähnlich“, lachte Constanze, von deren Stirn die trüben Schatten jetzt im Nu gewichen waren. „Aber er macht noch andere, tollere Geschichten. Er hat in seiner Wohnung auch eine ganz richtige Blitz- und Donnermaschine, und wenn einzelne vom Theater ihn mit Anliegen quälen, Vorschuss haben wollen und dergleichen, so ließ er den Donner los und verschwand in einem grellen Blitze...“

       „Es ist doch kaum denkbar...“

       „Die Sache ist ihm aber gelegt worden“, lachte Constanze. „Denn neulich war auch einmal ein Ratsdiener bei ihm, der die fälligen oder überfälligen Steuern einkassieren sollte, und den verblüffte er dermaßen durch grelle Blitze und Donner, während er ebenfalls verschwand, dass der Mann die Treppe hinabsprang und unten die Feuerwehr alarmierte. Seitdem ist ihm das Blitzen sowohl wie das Donner, über das sich die Nachbarn schon mehrfach beklagt hatten, verboten worden, aber seine Versenkung benutzt er nach wie vor.“

       „Aber sag‘ einmal, Schatz“, lachte Dürrbeck, „der Mann ist doch einfach wahnsinnig; wie kann er da einem solchen Institut vorstehen?“

       „Weißt du nicht, wie Polonius im Hamlet sagt?“ lächelte Constanze. „Es ist Methode in seinem Wahnsinn, aber er lebt und webt auch nur für die Bühne, und wenn nicht sein Verstand, so leitet ihn doch unfehlbar sein Instinkt, auf diesem Felde durchschnittlich das Richtige zu treffen. Im praktischen Leben würde er völlig unbrauchbar sein, soweit es nicht Geldangelegenheiten betrifft, aber für das Theater passt er. Er ist allerdings ein schauerlich manierierter Schauspieler und spielt eine Anzahl von Rollen, für die er teils zu alt, teils wieder zu jung ist; aber der Feuereifer, mit dem er sich hineinwirft, die wirkliche Begeisterung, mit der er die verschiedenen Charaktere anfasst, sprechen dann wieder für ihn, und das Publikum hat sich außerdem so an ihn gewöhnt, dass er eben machen kann, was er will – er gefällt ihm doch.“

       „Aber auf jedem anderen Theater der Welt würde er ausgelacht!“

       „Das ist möglich, sogar wahrscheinlich; aber er scheint das auch selbst zu fühlen, oder leitet ihn da wieder ein Instinkt – er sucht sie wenigstens nicht auf und hat sogar, wie ich bestimmt weiß, ihm angebotene Gastspiele direkt abgelehnt.“

      

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