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Widerspruch ertragen. Den einen seiner Söhne, Hans-Hinrich, als den robusteren und weniger bildungsfähigen bestimmte er zum Seeoffizier, steckte ihn nach eingeprügeltem Abitur in die Uniform; den anderen, Karl-Friedrich, hieß er den weißen Kittel anlegen und in Greifswald an der alten Pommernuniversität das medizinische Handwerk erlernen. In beiden Fälle war seine Entscheidung richtig, den Erfolg in Sichtweite, starb er, ein Haustyrann, der alles mögliche las und sammelte, aber seinen Söhnen nichts vermachte, ausgenommen den herberen Teil seiner Natur, Selbstvertrauen und den Bestand eiserner Normen. Die Offizierschule auf der Schwedenschanze entließ ihn, Hartmann, 1959 mit dem Rang eines Fähnrich. Karl-Friedrich hatte das Physikum schon hinter sich, als sein chirurgisches Geschick durch seinen Lehrer entdeckt wurde, womit beide Brüder in den Familienkreis des alten Professors eintraten. Geformt durch die Doktrin der Zeit, der sozialistischen Gesellschaftslehre, waren sie zwar beide nicht eben erfolgreiche Klassenkämpfer geworden, standen aber immerhin zu einigen der erhabenen Grundsätze dieses Traumes von einem besseren Staat, der sozialen Gerechtigkeit. Der eine hieß nun Professor, war wohlhabend und geachtet, der andere stand mit leeren Händen da, niemand brauchte ihn mehr.

      Die Garde stirbt, sie ergibt sich nicht, sagte man in einem anderen Zeitaltern. Die Garde hatte keinen Schuss abgegeben und sich still verhalten. Sozialistisches Militär putscht nicht, es lässt sich aufs Arbeitsamt schicken oder umschulen und in den Ruhestand. Die Garde hatte von den historischen Vorgängen nichts wirklich begriffen und sich des Eides entbinden lassen. Kurz, Hans-Hinrich Hartmann fürchtete sich mit gutem Grund vor einem Besuch in Hamburg. Wohl möglich, dass dort sein Leben eine neue und andere Richtung nahm. Zwischen dem Jetzt und der Reise lag ein drohender Prozess, der den Jahren, die er noch zu leben hatte, ebenfalls seinen Stempel aufdrücken konnte. Bemüht sich die Vorgänge an jenem fernen Wintertag ins Gedächtnis zu rufen, war er erstaunt wie scharf er sich der Einzelheiten entsinnen konnte.

      VIERTES KAPITEL

      An diesem kalten düsteren Dezembertag im Jahre 1967 als sich Niederschlag, Schnee und Eisregen mit Nebel abwechselten, nahm um die Mittagstunde etwas seinen Anfang, das sich zur Katastrophe steigern sollte. Hartmann, damals Oberleutnant und Kommandant eines Raketenschnellbootes und der Wachhabende suchten, auf der Außenbrücke stehend, mit dem Glas bei Schneetreiben die aufgewühlte See nach dem Schatten des gegnerischen Kampfschiffes ab, einer Fregatte der Bundesmarine, die in die Hoheitsgewässer der DDR eingedrungen sein sollte, um deren Durchfahrt zu begleiten. Kommandant und Wachoffizier tauschten Vermutungen aus; hinter den grauen Vorhängen aus matschigem Klumpschnee und dicken Eisschloßen auf ihrem Seezeug nach dem Schatten eines fremden Kriegsschiffes zu suchen, das versprach kaum Erfolg. Der Auftrag war schlicht Blödsinn, denn bei diesem Wetter blieben selbst Kampfschiffe im Hafen. Das Wasser lief in hellen Bächen an den Schutzanzügen herunter, es suchte und fand Wege genug in den Nacken, trotz des Südwesters. Vom Innerraum der Brücke, wo einer der Funkgasten den Bildschirm des Radar nach Objektbewegungen absuchte, kam keine Meldung nach draußen. Sie kreuzten auf etwa vierundfünfzig Grad Nord und dreizehn Grad, fünfzehn Minuten Ost mit Südkurs vor der Prorer Wiek. Der Wachoffizier setzte das Glas ab, klaubte den Schneebrei vom Okular und bemerkte sarkastisch, diese fragliche Fregatte sei offenkundig ein Geisterschiff des warm und trocken sitzenden Oberkommandos. Innerlich stimmte ihm Hartmann zu, hielt es selbst auch für wenig wahrscheinlich, dass sich eine Fregatte im Dezentralisierungsraum, so die militäramtliche Bezeichnung des Operationsgebietes, aufhalte, verkniff sich aber eine Bemerkung und machte einem weiteren Beobachter auf der Außenbrücke Platz, seinem Politstellvertreter. Zu dritt erwarteten sie den Befehl, die Begleitfahrt abzubrechen.

      Das Wetter verschlechterte sich eher noch; sie duckten sich unter den Schneeschauern und wendeten die Köpfe ab vom schneidend kalten Wind. Mit erhöhter Fahrstufe, um das harte Aufsetzen des Schiffes zu mildern, kreuzten sie weiter auf der befohlenen Position. Hartmanns Erinnerungen an jene Tage waren widersprüchlich. Einerseits mochte er den Befehl zum Rückmarsch erwartet haben, andererseits hatte er eine Ahnung, dass dieser Einsatz noch nicht zu Ende war, vielleicht noch nicht einmal wirklich angefangen hatte und mit einer überraschenden Wende enden würde. Mit einem Schlage änderte sich denn auch die Situation, als der Messgast ein Objekt meldete; bei der Position Nordperd an der Ostseite Rügens kam auf seinem Schirm ein kleineres Fahrzeug auf.

      „Was hat der denn bei diesem Wetter gesehen?“, fragte der Wachhabende ungläubig, aber sein Kommandant hatte dieses Erstaunen nicht teilen wollen. „Den hat’s überrascht, bei diesem Wetter, unglaublich, will nach Hause“, er machte, sich gegen den Wind stemmend, im Schutz der Jacke auf einem Spickzettel Notizen, hielt die Zeit und die Koordinaten fest.

      Während sie mit Kurs in Richtung des Fahrzeuges die Verfolgung aufnahm, setzte der Funkgast auf Weisung Hartmanns die Meldung an das Marinekommando und zugleich an die Grenzbrigade Küste ab, mit der Bitte um Befehle. Somit war getan, was notwendig; er erwartete, nein, er hatte gehofft, dass ihm eines der Wachboote die Arbeit abnehmen würde. Allein es kam der Befehl, an dem ausgemachten Objekt hängen zu bleiben. Das Bild aber, das er schließlich im Sichtfeld des Glases hatte, war Hartmann doch als unwirklich erschienen. Ein gegen den Seegang ankämpfender Kutter, von schweren Brechern achtern überrollt, dass die Speigatten nicht ausreichten, um das Wasser abfließen zu lassen, diese vom Sturm hin- und hergeworfene Nussschale drohte jeden Augenblick zu kentern. Auf dem schnellen Raketenboot mit automatischen Bordwaffen durften sie sich sicher fühlen; er setzte also die Aufklärung fort. Sie lagen auf Ostsüdost, kreuzten etwa an der Kante der Ansteuerung Oderbucht.

      Heute, mehr als dreißig Jahre später, rief sich Hartmann die Lage ins Gedächtnis; kein Fahrzeug hatte sich unerlaubt unter dem 55. Breitengrad bei 12 Grad Länge aufhalten dürfen, aber der Nervus lag auf der Westseite der Insel, der Seegrenze zur Bundesrepublik. Der Weg nach Fehmarn etwa war kürzer, der Verkehr dichter. Selbst vom Darß aus ließ sich die Distanz zu Gedser selbst schwimmend überwinden, wie die Praxis bewiesen hatte. Aus diesem Grunde war Hartmann auch im Zweifel, was der Kutterführer vorhatte, wenn nicht die offene See gewinnen. Noch nie war Hartmann in die Lage gekommen, ein Fluchtboot oder Flüchtende im Schlauchboot aufzubringen, zuständig für das Aufbringen waren die Küstenwachboote. Sie hatten den Kutter vor sich, zwei, drei Kabellängen querab. Das Boot hisste gerade die polnische Nationalflagge vor, was den Wachhabenden zu der Feststellung veranlasste, einen Polen vor sich zu haben. „Aber wo will er hin? Sollen sich die Polen um ihn kümmern“, schlug er vor, sah seinen Kommandanten fragend von der Seite an, bei dem schließlich die Entscheidung lag. Selbst ein kleineres Boot als dieser Kutter konnte die Distanz bis in dänische Gewässer durchaus bewältigen, und hatte überdies Aussicht, von der Bundesmarine oder eines unter fremder Flagge fahrenden Schiffes aufgefischt zu werden. Unter fremder Flagge fahrenden Schiffen stand nach Seerecht das Durcheilen anderer Hoheitsgewässer zu; dass sie überprüft wurden, stand auf einem anderen Blatt. Nur, Fluchten wurden in der wärmeren Jahreszeit unternommen, nicht im Dezember, und nicht bei solchem Wetter, bevorzugt auf der anderen Seite der Insel, zwischen Darß und Falster, der Wismarer Bucht oder Fehmarn mit der größeren Wahrscheinlichkeit unter den Schutz der Bundesmarine zu kommen. Das Mare Baltikum der östlichen Seite gehörte den Warschauer Verbündeten.

      Aber weshalb eigentlich war er, Hartmann, damals von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass dieses Boot unter falscher Flagge fuhr? Die Antwort, die er sich auch heute nur geben konnte, war einfach; einmal hielt er den Kutterführer für einen guten Seemann, der sich zutraute auch bei Schlechtwetter die Sperre zu brechen und zweitens wurde sein Denken durch den „Kalten Krieg“ gesteuert, als nicht wenige in Ost wie in West den Umschlag in die heiße Phase befürchtet hatten. Die Mauer stand sechs Jahre, jede Bewegung im Grenzraum wurde als Provokation und als feindliche Handlung aufgefasst. Sein, politisches Weltbild, das eines Soldaten an der Grenze, ließen kaum eine andere Haltung zu. Er, wie alle aktiven Befehlshaber, ob zu Lande oder zur See, behandelten den Versuch, die DDR illegal zu verlassen, wie ein aktives gegnerisches Unternehmen, das zum Waffeneinsatz zwang.

      Politisch lagen die Dinge komplizierter, wie ihm durchaus klar gewesen ist. Als Offizier, durch Eid verpflichtet die Grenze zu bewachen und alles andere der Politik, der Justiz zu überlassen, durfte er es sich privat leisten, über das Warum und die Folgen zu philosophieren, aber auf seine Handlungen hatte das keinen Einfluss und ein dermaßen zugespitztes Grenzproblem, nämlich

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