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... und nicht auf den Knien. E.R. Greulich
Читать онлайн.Название ... und nicht auf den Knien
Год выпуска 0
isbn 9783847613268
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Scheinbar teilnahmsvoll schaute Eugen auf die schmutzigen Knie des Lebensmüden und sagte: "Bis an den Hals wäre mal gut. Aber dein Kopf wird noch gebraucht. Hartholz gibt gute Blottschen."
"Du bist doch bloß schuld", schleuderte Kaspar ihm entgegen.
"An der Abreibung", gab Eugen zu, "aber nicht an deinem harten Kopf."
"Ihr könnt bloß immer meckern. Denkst du, Karle und Otto haben mir mal was gesagt? Du hast Artur immer geholfen."
Eugens Gerechtigkeitssinn wehrte sich. "Stimmt nicht, eher schon unser Vater."
"Vatern darf ich schon gar nicht kommen."
"Und dem Einzigen, der dir hilft, dem rennst du weg", erinnerte Eugen.
Das war Kaspar unangenehm, und er lenkte ab. "Habt ihr meine Schulmappe mitgebracht?"
"Seid ihr denn mit den Schularbeiten fertig gewesen?" forschte Eugen.
"Brauchen wir nicht!", schrie Kaspar. "Wo ich sowieso Schluss mache."
"Nun lass den Quatsch", tadelte Eugen und packte den Stier bei den Hörnern. "Jetzt kommst du mit, deine Mappe holen. Artur hat dich genug gezwiebelt, brauchst heute nicht mehr zu üben. Dafür gucken wir uns noch 'Wahre Jakobs' an."
Ungläubig schielte Kaspar zu Artur hin. Der nickte eifrig. "Weißt doch, wir haben solche Stöße."
Kaspar wusste es. Eugen und Karle hatten sich oft an den bunten Heften mit den lustigen Bildern vergnügt, und er hatte sich manchmal gewünscht, dabei sein zu dürfen. Das war aber nichts gegen die Vorstellung, kein Wort mehr lesen zu müssen. Am liebsten wäre er aufgesprungen und mit den beiden losgezogen, doch es tat wohl, sich ein wenig bitten zu lassen.
Um die Einigung nicht zu stören, widersprach Artur nicht, als der Bruder lockte: "Wenn du mitkommst, verrate ich dir auch, wie man alles auswendig in den Kopf kriegt, ohne lange zu lernen."
Diese Aussicht veranlasste Kaspar, seine Lebensmüdigkeit hintanzustellen. Er erhob sich, und einträchtig wanderten sie zurück. In der Kammer ließ Artur Kaspars Lesebuch in der Schulmappe verschwinden.
Aufatmend sah es Kaspar und mahnte Eugen: "Sag das mit dem auswendig."
Eugen nahm ein Schullesebuch, legte die Seite mit der "Glocke" aufgeschlagen vor Kaspar hin und begann herunterzuschnurren: "Festgemauert in der Erden ..."
Ehrfürchtig lauschte Kaspar. Eugen brach ab und verkündete: "Kann ich bis zu Ende. Bloß dreimal durchgelesen und dann ...? Was meinst du wohl, hm?" Eugen spreizte sich wie der Hexenmeister vor dem Zauberlehrling. Er nahm das Buch und schob es unter das Keilkissen seines Bettes. "Eine Nacht unterm Kopf, und am andern Morgen konnte ich's."
Kaspar schlug vor Entzücken mit der Faust auf die Tischplatte. Artur machte sich abgewandten Gesichts zu schaffen. Eigentlich war es von Eugen gemein. Aber vielleicht ... Kaspar konnte wahrlich etwas Glaube und Zuversicht gebrauchen.
Kaspar erinnerte die Brüder an das zweite Versprechen.
Die schleppten einige Jahrgänge der Zeitschrift "Der Wahre Jakob" herbei. Die Bilder sprachen meist für sich, und Kaspar hütete sich, nach der Unterschrift zu fragen. Keiner forderte ihn auf vorzulesen. Ab und zu fand sich eine Zeitschrift etwas anderen Formats. Auf einem solchen Heft aus dem Jahre 1903 war eine schlimme Titelzeichnung. "Ist gar nicht ulkig", entfuhr es Kaspar.
"Ach, 'n Simplicissimus", sagte Eugen sachkundig, und Artur las vor: "Durchs dunkelste Deutschland - Crimmitschau." Sie fanden das Bild ebenso wenig zum Lachen wie Kaspar. Auf einer zusammengepressten Masse ausgemergelter Elendsgestalten lag ein wuchtiges Brett, Gendarmen und einige wohlgenährte Herren in Gehpelz und Zylinder trampelten darauf herum. Der eine von ihnen rief: "Es müssen mehr Schutzleute hinauf. Die Luder sind noch nicht weichgedrückt!" Das stand darunter.
"Warum machen die 'n das?", erkundigte sich Kaspar.
"Weißt du doch selbst, wie die Schandeckels immer die Armen piesacken'', erläuterte Eugen.
"Na ja", räumte Kaspar ein, "wenn wir Koks von den Halden holen oder Kartoffeln stoppeln, das wollen die nicht. Aber so was mit 'm Brett, das machen hier unsre nicht, die schreiben bloß auf und schimpfen."
"Und die feinen Herren, wie Vaters Chef, die werden sich hüten, sich selber mit uns rumzuärgern", meinte Artur.
Das Wesen der Satire zu erklären, wäre von Eugen zu viel verlangt gewesen. Unsicher fuhr er sich mehrmals über die igeligen Haarstoppeln und dachte mit Unbehagen daran, dass Vaters Haarschneidemaschine bald wieder darin herumfuhrwerken würde. Endlich kam ihm eine Erleuchtung: "Woanders sind sie wohl schlimmer. Da steht ja auch: Durchs dunkelste Deutschland."
"Und warum steht da noch: Crimmitschau?" wollte Artur wissen.
Eugen zupfte sich am Ohrläppchen, das im Gegensatz zu seiner käsigen Gesichtsfarbe rosig schimmerte. "Weiß ich's? Ist wohl der Ort, wo sie das gemacht haben."
"Wir werden Vater fragen", entschied Artur.
Frau Becker kam von der Arbeit bei Schmands zurück. Kaspar erschrak und erkundigte sich nach der Zeit. Hastig riss er seine Mappe an sich und rief im Hinausrennen: "Schön 'n Dank. Wenn wir immer Jakobs ansehen, komme ich morgen wieder!"
Eugen rief ihm nach: "Aber vorher gehst du mittagessen!"
Als ihn Mutter und Bruder rügten, griente er. "Anderen müssen wir Nachhilfeunterricht bezahlen, aber wir sollen ihn obendrein ernähren."
Nepomuk erteilt Lehren
Artur marschierte vornweg und schwang eine Gerte als Taktstock. Eugen sang zweite Stimme, Vater mal dritte, mal Brummbass. "Das Wandern ist des Müllers Lust" war im Schulchor eingeübt worden. Auf dem vorigen Ausflug hatten sie vom Vater gelernt: "Es blies ein Jäger wohl in sein Horn". Das war schon wieder vier Wochen her. Meist mussten sie sich sonntags mit einem Nachmittagsspaziergang begnügen, gemeinsam mit Mutter und Hedwig. Heute waren die drei "Männer" im Morgengrauen mit der Bahn ein Stück ins Bergische Land gefahren, um über Stock und Stein nach Remscheid zurückzuwandern.
Das Lied war zu Ende und übermütig kommandierte Artur: "Bin ein fahrender Gesell". Bereitwillig fielen Vater und Eugen ein. Hinter einer Wegbiegung, ziemlich weit vorn, tauchte ein Mann auf. Er lief barfuß, hatte die Schuhe über der Schulter hängen. An einer kleinen Brücke verschwand der Mann. Nach der letzten Strophe begannen sie kein neues Lied, sondern schauten neugierig, wo der Mann geblieben sein mochte. Sie entdeckten ihn am flachen Ufer des Fließes, wo er sorgfältig Toilette machte. In der Hand einen Taschenspiegel, zog er sich mit einem winzigen Kamm einen wasserglänzenden Poposcheitel. Ohne sich in seinen Hantierungen stören zu lassen, sprach er die Drei an: "Grüß Gott, Wandersleut, habt so schön gesungen, dass mein Magen im Takt mitgeknurrt hat. Dafür sollte man ihn belohnen."
Vater Becker übergab den Jungen mit entsprechender Gebärde den Rucksack und lehnte sich schmunzelnd auf das birkene Brückengeländer. "Kunde kenn?"
Der mit dem Walzbrudergruß Angesprochene hob abwehrend die Hand und bearbeitete weiter seinen Hosensaum mit einer Taschenbürste. "Bis hier und vor euch, Bruder; denn wer da singend zieht, ist nicht zu fürchten; nur die Gewalt kommt auf Sammetpfötchen." Er wies mit der Bürste zum Dorf. "Wer als Lamm zu den Wölfen geht, putze sich zum Wolf, besonders des Sonntags."
Die Jungen hatten eine derbe Klappschnitte ausgewickelt.
"Bring's ohne Furcht, kleiner Bruder", ermunterte der Tippelkunde Artur.
Ein wenig scheu, ein wenig ehrfürchtig gab Artur ihm die Schnitte. Als der Mann mit dem schwarzen Jesusbart und dem Madonnenscheitel gierig vom Brot abbiss und es hinunterschlang, verlor sich einiges von seinem unsichtbaren Heiligenschein.
"Dank, ihr reinen Herzen", sprach er während des Kauens, "und falls ihr noch eines Menschendienstes fähig seid, so geht voraus ins Dorf. Gebt mir ein Zeichen, wenn