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die Frau eures Präsidenten Assad? Und die trägt kaum je ein Kopftuch, geschweige denn so einen Haube mit Augenschlitzen.«

      Sheliza fühlte sich in die Ecke gedrängt, war vom Sofa hochgesprungen und die Treppe hoch in ihr Zimmer gerannt. Alina sah ihre Eltern kurz und etwas verstört an und wollte ihr dann folgen, wurde jedoch von Alabima zurückgerufen.

      »Nein, bleib hier, Liebling, lass sie für einen Moment in Ruhe, ja?«

      Selbstverständlich waren die Lederers von Holly und Henry vorgewarnt worden, hatten gewusst, dass sich die Muslimin mit ihrem neuen Leben im Westen schwertat, sich wohl darum auf Traditionen besann und sich immer mehr zurückzuziehen schien. Deshalb hatten die Lederers ihre Tochter auch entsprechend unterrichtet, hatten mit ihr über die Kleidung muslimischer Frauen gesprochen, ihr auch Bilder gezeigt. Mehr brauchten die Eltern nicht anzustoßen, kannten sie ihr Kind doch gut genug.

      Henry meinte zu Alina: »Weißt du, Sheliza muss sich erst wieder selbst finden. Sie hat Schlimmes erlebt, fühlt sich allein auf der Welt, ist sehr verunsichert. Doch spätestens nach der Geburt ihres Kindes wird sie zuversichtlicher in die Zukunft blicken. Denn Verantwortung lässt jeden Menschen wachsen.«

      Oder scheitern, dachte sich Jules, denn er verglich die Sheliza von eben mit dem aufgeweckten und positiven Teenager, den er auf Mor Gabriel nur wenige Wochen zuvor das letzte Mal gesehen hatte. Doch zu Holly und Henry sagte er: »Wie können wir ihr helfen? Auf diesem neuen Weg? Vielleicht lasst ihr dem Mädchen zu viele Freiheiten, lasst es zu, dass sie sich abkapselt? Besser wäre es, ihr würdet sie zwingen, sich zu öffnen.«

      Holly sah den Schweizer entsetzt an, während Henry ihn mit leicht zugekniffenen Augen fixierte, weil der Brite annahm, dass im Kopf seines Freundes ein Bündel von Maßnahmen bereitlag, welches er sich längst ausgedacht hatte und das Jules auch anzuwenden wollte.

      »Keine Experimente, Jules, bitte«, warnte er ihn deshalb und warf auch einen bittenden Blick hinüber zu Alabima, die zustimmend nickte und sich beschwichtigend an ihren Ehemann wandte: »Ich denke, Holly und Henry machen es schon richtig. Sie kennen Sheliza doch am besten?«

      Aber der Schweizer ließ noch nicht locker, sah seinen Freund aus London zwingend an.

      »Denk an die junge Gomaa«, sagte er eindringlich, »auch dort haben wir beide den Einfluss der Religion unterschätzt.«

      Henry schluckte schwer und Holly Peterson sah ihren Lebensgefährten alarmiert an, sah danach auf Alabima, las in ihrem Gesicht, dass die Äthiopierin die angesprochene Geschichte wohl kannte.

      »Später«, meinte Henry nur kurz angebunden zu ihr, »ich erzähl dir alles später.«

      Alinas Neugierde war jedoch bereits geweckt, hatte sie den Erwachsenen doch still zugehört und versucht, alles zu verstehen.

      »Was ist denn mit dieser jungen Gomaa passiert?«, wollte sie von ihrem Vater wissen, »wer ist das überhaupt?«

      Jules sah seine Tochter lächelnd an.

      »Dafür bist du noch zu jung.«

      Sogleich erschien die Zornesfalte auf ihrer kleinen Stirn und sie rief ärgerlich aus: »Immer bin ich zu klein. Jedes Mal, wenn ich etwas wissen will, sagt man mir, ich sei noch zu jung. Du bist gemein.«

      »Geh doch hoch zu Sheliza, Alina, und tröste sie ein bisschen. Sag ihr auch, dass dir die Fragen von vorhin leidtun und dass es für dich in Ordnung geht, wenn sie solche Kleider trägt.«

      Die Tochter sah ihre Mutter an und verstand, denn ihr Ärger war bereits verflogen und ein listiges Lächeln hatte das Stirnrunzeln abgelöst. Sie verschwand wie der Blitz aus dem Wohnzimmer.

      »Die Anklage gegen dich wurde fallengelassen?«, fragte Holly bei Alabima direkt nach und die Äthiopierin nickte sogleich: »Ja, denn es lagen ja keine eindeutigen Beweise vor, nur Indizien und später dann das entlastende Material. Sie mussten mich letztendlich laufen lassen.«

      »Dann ist der Fall endgültig abgeschlossen?«

      Die dunkelhäutig Frau zuckte mit den Achseln: »Zumindest wurden die Untersuchungen gegen mich von der Staatsanwaltschaft eingestellt.«

      »Und dieser Muffong?«

      Nun blickte Henry fragend Jules an, denn der Brite hatte von Holly vom aufdringlichen und übereifrigen Kriminalkommissar erfahren.

      »Muffong und dieser Staatsanwalt Snyder sind wohl Geschichte«, winkte Alabima ab, während Jules bloß Henry ansah, seine Schultern hob und wieder sinken ließ. Für den Schweizer schien die Angelegenheit wohl noch lange nicht bereinigt. Denn die Mühlen der Justiz konnten sehr langsam mahlen und polizeiliche Untersuchungen jederzeit wieder aufgenommen werden. Henry nickte, aufmunternd und verstehend zugleich.

      Am Nachmittag fuhren sie mit dem Motorboot hinaus auf den See, ließen sich bei kühlen Temperaturen aber in dicke Mäntel gehüllt für eine Stunde den Wind um die Nase wehen. Selbst Sheliza zeigte Spaß, wenn ihr auch das Hüpfen auf den niedrigen Wellen in den Magen und in die Beine ging und sie Jules deshalb bat, nicht gar zu stark zu beschleunigen. Der Schweizer überließ ihr daraufhin das Ruder, zeigte ihr, wie sie Gas geben und steuern musste. Und bald einmal jagte die angehende Mutter recht mutig geworden selbst über die Wellenkämme, hatte ihre Furcht und die Zurückhaltung verloren, zeigte, dass sie trotz Schwangerschaft und Religion im Grunde ihres Herzens ein ganz normaler Teenager blieb.

      Holly saß mit Henry zusammen auf der breiten Lederbank, den Außenbordmotor im Rücken, hatte sich an den Briten gekuschelt, schaute rundum fröhlich und zufrieden drein, stieß Henry auch leicht mit dem Ellbogen an und nickte mit dem Kinn stumm zu Sheliza am Steuerruder hinüber, die das erste Mal seit langem wieder einmal das ungestüme Wesen einer Vierzehnjährigen zeigte und dabei glücklich schien, sandte einen dankbaren Blick auch zu Jules hinüber, der grinsend wie ein Lausebengel neben der jungen Alawitin stand und sie immer wieder auf mögliche Gefahren auf der Wasseroberfläche hinwies, auf schwimmende Äste oder irgendwelchen Unrat.

      Ja, die weiteren Tage am Genfersee waren danach zwar kurz, jedoch weiterhin auflockernd gewesen, hatten den Panzer von Sheliza zumindest angeknackst, auch wenn sich an ihrer verhüllenden Kleidung nichts veränderte. Doch ihre Augen strahlten wieder vermehrt, zeigten neu erwachte Freude am Leben. Und auch ihr Blick war ruhiger und besonnener geworden, nicht mehr ständig auf Konfrontation aus, sondern milder gestimmt, nachsichtiger. Sahen so womöglich die Anfänge von Toleranz bei einem Teenager aus?

      *

      »Verdammt noch mal, wo ist meine neue Haarbürste?«

      Shamee starrte die Haushaltshilfe Naara zornig an.

      »Ich weiß nicht, Senhorita Shamee Ling«, gab diese demütig zur Antwort und zuckte mit den Schultern.

      »Hast du sie gestohlen?«, verdächtigte die Siebzehnjährige die junge Bedienstete.

      »Aber nein, Senhorita Shamee Ling«, entrüstete sich diese.

      »Aber irgendjemand hat die Bürste entwendet«, beharrte Shamee auf ihre Sicht der Dinge, »wenn nicht du, dann wohl ein anderer der Angestellten? Gestern noch hatte ich sie in dieser Handtasche bei mir getragen. Und heute ist sie verschwunden.«

      Naara stand da wie ein begossener Pudel, wusste nichts darauf zu antworten.

      »Ich ruf die Polizei an«, drohte die jüngste der Ling Schwestern aufgebracht, »du kommst ins Gefängnis, wenn du mir meine Bürste nicht sofort zurückgibst.«

      Die Hausangestellte blickte bestürzt drein: »Aber ich habe doch nichts …?«

      »Schweig, du Diebin«, wurde sie von Shamee unterbrochen, »du hast bis heute Nachmittag Zeit. Wenn die Bürste bis dahin immer noch nicht an ihrem Platz am dem Frisiertisch liegt, dann lernst du mich richtig kennen. Haben wir uns verstanden?«

      Naara nickte stumm, während ihre Pupillen wild umherstreiften, keinen Punkt festhalten konnten und voller Panik blickten.

      »Dann geh. Verschwinde endlich«, wurde sie barsch entlassen und Naara rannte aus dem Zimmer.

      Ein

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