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Populäre Vorträge. Max von Pettenkofer
Читать онлайн.Название Populäre Vorträge
Год выпуска 0
isbn 9783752921908
Автор произведения Max von Pettenkofer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie sehen, welch wirksames Mittel der Entwärmung unserm Körper durch Entwickelung des peripheren Blutkreislaufes und gesteigerte Wasserverdunstung zu Gebote steht, wenn die anderen Wege nicht genug abführen, aber auch, wie gefährlich dieses Mittel werden kann, wenn es in Tätigkeit gesetzt wird oder bleibt, sobald auch auf den anderen Wegen beträchtliche Wärmemengen abfließen. Wenn man erhitzt mit feuchter Haut plötzlich in einen kalten Raum tritt, wo die Abstrahlung der Wärme sich sofort steigert, wo auch viel Wärme an die kalte Luft durch Leitung abgegeben wird, erleidet man teils so abnorme Wärmeverluste, teils so gewaltsame plötzliche Änderungen im Kreislaufe, dass man darnach krank wird. Die sogenannten Erkältungskrankheiten sind zahlreich und manche sehr schmerzlich und gefährlich. Wenn wir hingegen so große Wechsel nicht schnell oder grell, sondern langsam vornehmen, setzen sich die drei Abflusswege von selbst wieder in ein Gleichgewicht. Unser Organismus ist ein treuer und kluger Diener, er hilft sich selbst und seinem Herrn, wenn wir ihm nur etwas Zeit lassen, und ihn nicht allzu sehr misshandeln. Ich werde bei der Ventilation noch eigens auch von der Zugluft sprechen.
Auch der dritte Weg des Wärmeabflusses durch Leitung, durch Erwärmung des uns von allen Seiten umgebenden Mediums, der Luft, ist von großer Wichtigkeit, und muss unter Umständen oft bis zu einem beträchtlichen Grade für die beiden anderen Wege eintreten. So lange unser Körper wärmer ist, als die ihn umgebende Luft, wird diese überall, wo sie ihn berührt, wärmer, im nämlichen Augenblicke aber wird sie auch leichter und wird von der umgebenden kälteren und schwereren Luft verdrängt, die sich gleichfalls wärmt, um von einer nachfolgenden kälteren Schicht wieder verdrängt zu werden. Jeder Mensch, welcher in der ruhigen Luft eines Zimmers steht, verursacht an seinem Körper einen aufsteigenden Luftstrom, wie jeder Zimmerofen tut, sobald er geheizt wird. Wenn man zwischen Rock und Weste ein empfindliches Anemometer bringt, so beobachtet man in der Regel, dass dieser aufsteigende Luftstrom so lebhaft ist, dass er sogar die kleinen Windflügel des Instrumentes dreht. Wir halten die Luft in diesem Saale für ruhig, jeder glaubt ganz windstill zu sitzen, und doch ist die in diesem Raume befindliche Luft in tausendfacher Bewegung und beständiger Unruhe nach allen Seiten hin, wir sind nur so glücklich, Nerven zu haben, die davon nichts empfinden, und deshalb behaupten wir mit derselben Zuversicht, es rühre sich nichts, wie ein Schwachsichtiger die Gegenwart eines Gegenstandes verneint, welchen er nicht sieht, der aber auch für ihn zu sehen ist, sobald er ein Fernglas anwendet. — Wer jetzt im Augenblicke alle Bewegungen der Luft in diesem Saale sehen oder fühlen könnte, der müsste rasend werden. Das deutlichste Bild geben die Riechstoffe in der Luft. Wenn an irgendeiner Stelle ein sehr intensiver Geruch entwickelt wird, wenn z. B. Leuchtgas ausströmt, in wenigen Sekunden wird es im ganzen Saale wahrgenommen. Unsere Nerven sind glücklicherweise so organisiert, dass sie die Luft als bewegten Körper erst zu fühlen anfangen, wenn ihre Geschwindigkeit schon 1 Meter in der Sekunde erreicht. Bei einer Geschwindigkeit von 1/2 oder 1/3 Meter in der Sekunde glauben wir noch absolute Ruhe, völlige Windstille wahrzunehmen. Den meisten Menschen erscheint das unwahrscheinlich, weil der Beweis nicht in unserer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung liegt, welche uns sogar zum entgegengesetzten Glauben bestimmt, sondern nur in Schlussfolgerungen aus anderen Beobachtungen ruht; davon aber kann sich Jedermann jeden Augenblick in der ruhigen Luft eines Zimmers überzeugen, dass unsere Nerven Geschwindigkeiten der Luft von 1/2 Meter in der Sekunde noch gar nicht wahrzunehmen im Stande sind. Es ist ganz der gleiche Fall, ob die Luft stillsteht und z. B. meine Hand mit einer bestimmten Geschwindigkeit in derselben bewegt wird, oder ob meine Hand stillsteht, und die Luft darüber bewegt wird. Wenn ich nun meine Hand ausstrecke, und sie in der Luft dieses Saales binnen einer Sekunde einen Weg von einem halben Meter machen lasse, so macht diese Geschwindigkeit auf meine Nerven nicht den geringsten Eindruck; um einen Widerstand oder eine vermehrte Abkühlung zu spüren, muss ich die Hand viel schneller bewegen.
Ich benutze die Gelegenheit, um Sie gleich auf die durchschnittliche oder mittlere Geschwindigkeit der Luft im Freien aufmerksam zu machen, ein Gegenstand, welcher von den Wenigsten richtig beurteilt wird, ohne dessen richtige Erkenntnis man aber nie eine richtige Vorstellung von dem eigentlichen Unterschiede zwischen dem Aufenthalte im Freien und im Zimmer bekommt. Die Bestimmung der Luftgeschwindigkeit erfolgt durch Anemometer, auf deren nähere Beschreibung ich nicht eingehen kann. Die Geschwindigkeit der Luft im Freien wechselt bekanntlich sehr, wird aber von den Meteorologen in unserm gemäßigten Klima im Mittel zu 3 Metern in der Sekunde angegeben. Die Luft macht also durchschnittlich 10 bis 11 Kilometer Weg in einer Stunde, 7.24 km. = 1 deutsche Meile. Denken Sie sich diese Geschwindigkeit auf einen Querschnitt oder Rahmen angewendet, in welchen etwa ein Mensch passt, nicht ganz 2 Meter hoch und etwas über 1/2 Meter breit, dass er eben einen Quadratmeter Fläche misst, so können Sie leicht berechnen, wie viel Kubikmeter Luft im Freien bei mittlerer Geschwindigkeit über einen Menschen hinziehen, wenn Sie Querschnitt mit Geschwindigkeit multiplizieren, nämlich
in der Sekunde 3 Kubikmeter
in der Minute 180 ,
in der Stunde 10800 Ich werde Sie in einer der nächsten Vorlesungen, wenn ich von Ventilation der Wohnungen spreche, an diese Größe wieder erinnern. Ich habe sie Ihnen jetzt bereits mitgeteilt, damit es Ihnen dann nicht zu sehr auffällt und Sie es als keine zu übertriebene Forderung betrachten, wenn man bei Ventilationsanlagen für Krankenhäuser z. B. 60 Kubikmeter Luftwechsel per Bett und Stunde verlangt. Es ist diese Menge, welche vielen so enorm scheint, immer erst der 180‘te Teil der Luftmenge, welche im Freien bei mittlerer Luftgeschwindigkeit auf einen Menschen heranströmt. Sie sehen daraus, dass wir im Freien viel mehr Wärme auf dem dritten Wege, auf dem der Leitung abgeben, als im Zimmer, und dass daher im Zimmer verhältnismäßig mehr durch Strahlung und Verdunstung fortgeschafft werden muss.
Ein welch mächtiger Faktor der Wärmeverlust durch Leitung ist, erfahren wir am allerdeutlichsten, wenn wir die uns umgebende Luft mit einem andern flüssigen Medium vertauschen, welches die Wärme besser leitet als Luft, und welches überhaupt viel mehr Wärme aufzunehmen vermag, ich meine mit Wasser. In einer Lust von nur einigen Graden Celsius über Null können wir mäßig bekleidet sehr gut aushalten, wenn wir aber mit der nämlichen Kleidung in ein Wasser steigen, welches auch nur einige Grade über Null hat, so frieren wir empfindlich, — und würden in einigen Stunden zu Tode frieren, obschon die Verluste durch Verdunstung ganz aufhören, und die Verluste durch Strahlung auf ein Minimum herabsinken. In heißen Klimaten sind daher tägliche Bäder sehr dienlich zur nötigen Abkühlung des Körpers, wenn das Wasser auch nicht viel, oder gar nicht kühler als die Luft ist.
Auch in der Luft wird der Wärmeverlust durch die Leitung umso grösser, je niedriger die Temperatur der Luft ist, welche uns umfließt, und je grösser die Geschwindigkeit ihrer Strömung. Das erklärt einerseits, warum es uns überflüssig scheint, bei ruhiger und kühler Luft einen Fächer zu brauchen, während dieses Instrument bei höheren Temperaturen oft so wohltätig wirkt, und anderseits, warum überhaupt eine bewegte warme Luft uns viel kühler vorkommt, als eine ruhige von ganz gleicher Temperatur. Denken Sie an die Schwüle vor einem Gewitter, so lange die Luft noch ganz ruhig ist, und um wie viel leichter uns augenblicklich wird, sobald sich vom Wetter her der erste Wind erhebt. Die Luft ist da noch nicht kühler geworden, nicht weniger mit Wasserdunst gesättigt als zuvor, und doch nimmt sie uns so viel mehr Wärme ab, dass sie uns weniger schwül, ja selbst kühl dünkt, nur weil sie rascher über uns wegzieht. Wenn wir uns in einer heißen feuchten Luft fächeln, geht ganz das Nämliche vor sich, auch da geht in der Zeiteinheit nur eine größere Luftmasse über uns weg, als wenn die Bewegung