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fand einen Wildwechsel und folgte ihm, bis sie die Quelle des Winselns erreicht hatte.

      Vor ihr auf dem Pfad lag ein Wolf. Er sah ihr entgegen und fletschte die Zähne, doch sie hatte den Eindruck, dass das eher aus Angst geschah. Es fehlte der entschlossene Ausdruck in seinen Augen.

      Hannah blieb stehen und betrachtete ihn. Eine Hinterpfote hing in einer riesigen Schlagfalle und sah gar nicht gut aus. Das gezackte Eisen hatte sich tief in die Knochen gebohrt, so dass die weißen Knochensplitter durch die blutige Haut stachen.

      Hannah war ehrlich erschüttert. Diese Verletzung war mit Sicherheit äußerst schmerzhaft. Kein Wunder, dass er so außer sich war. Zorn machte sich in ihr breit. Wer stellte solch grausame Fallen auf? Welcher Unmensch tat denn so etwas?

      Vorsichtig trat sie näher. Sie war sich sicher, dass das Tier noch sehr jung war. Der Wolf war klein und dunkelgrau. Sein Fell wirkte eher plüschig und war ungewöhnlich lang.

      Jetzt, wo sie ihn aus der Nähe betrachtete, war sie sich doch nicht mehr so sicher, ob vor ihr ein Wolf lag. Die Pfoten wirkten anders. Die Krallen waren deutlich länger und sahen gefährlich aus. Der Rest stimmte allerdings. Die Augenfarbe war - grün.

      Hannah stutzte erst, doch dann schüttelte sie den Kopf. Wie kam sie dazu, die Augenfarbe eines Wolfes mit der von Theo oder Tucker O’Brian zu vergleichen?

      Sie trat noch einen Schritt näher und hockte sich dann hin.

      „Schsch“, machte sie und fuhr mit leiser Stimme fort. „Ich will dir helfen. Aber dafür solltest du dich erst einmal beruhigen.“

      Der Wolf (oder Hund?) winselte wieder und verdrehte die Augen. Aber zu ihrer Überraschung stellte er das Zähnefletschen ein. Trotzdem wartete sie kurz ab, bevor sie sich weiter näherte. Er ließ sie nicht aus den Augen, machte aber keine Anstalten, nach ihr zu schnappen. Wahrscheinlich war er vor Schmerz viel zu erschöpft dafür.

      Hannah bewegte sich äußerst langsam, als sie den Rucksack ablegte und ihre Jacke auszog. Sie griff nach einem kräftigen Ast und betrachtete die Schlagfalle. Wenn sie diese aufhebeln wollte, benötigte sie viel Kraft. Außerdem würde das mit Sicherheit dem Wolf noch mehr Schmerzen zufügen. Die Gefahr, von ihm gebissen zu werden, war daher hoch.

      Also musste sie tricksen.

      Wieder griff sie in den Rucksack und zog eine Mullbinde hervor. Dabei kommentierte sie mit leiser Stimme jeden ihrer Handgriffe. Offensichtlich schien ihn das zu beruhigen.

      Also doch ein Hund?

      „Ich glaube, ich hab dich schon einmal gesehen.“

      Ihre Stimme war wie ein leiser murmelnder Bach.

      „In Dark Moon Creek. Ich hab dich tatsächlich für einen Wolf gehalten. Aber du scheinst Menschen zu kennen und das kommt bei deinen wilden Verwandten wohl eher selten vor. Ich werde dir jetzt die Schnauze zubinden. Leider muss ich dir wehtun, um diese verdammte Falle loszuwerden. Da heißt es jetzt die Zähne zusammenbeißen und bitte nicht mich.“

      Er ließ sie tatsächlich an sich heran und mit einer geschickten Bewegung streifte sie ihm die Mullbinde als Schlaufe übers Maul und zog sie sofort zusammen. Wieder winselte das Tier. Sanft legte Hannah die Hand auf seine Schulter. Das Fell war wirklich wundervoll weich.

      „Du bist ein hübscher Kerl“, murmelte sie. „Hoffen wir mal, dass wir deine Pfote wieder hinkriegen.“

      Jetzt, wo zumindest die spitzen Zähne sicher verpackt waren, arbeitete sie zügiger. Wieder griff sie in den Rucksack und zog ein großes Messer heraus.

      „Weißt du, das Ding hat mir ein Ranger in Kanada geschenkt mit der Auflage, es immer dabei zu haben. Jetzt weiß ich endlich warum“, lächelte sie. „Er hat zwar sicherlich anderes im Sinn gehabt, aber letztendlich ist ein Messer auch nur ein Werkzeug.“

      Dann widmete sie sich der Schlagfalle. Mit aller Kraft hebelte sie mit Hilfe des Messers und des dicken Astes die Falle auf. Der Wolf/Hund stieß ein hohes Wimmern aus, das ihr durch und durch ging. Irgendwie gelang es ihr, den Schlaghebel so zu verkeilen, dass sie die Pfote vorsichtig herausheben konnte. Das Winseln verstummte schlagartig. Ein Blick auf seinen Kopf zeigt ihr, dass der arme Kerl ohnmächtig geworden war.

      Mit einem leisen Fluch kickte sie die Schlagfalle zur Seite, die sofort wieder zuschlug.

      Der Anblick der verletzten Pfote zerriss ihr schier das Herz. Dass das Tier jemals wieder richtig laufen würde, konnte sie sich kaum vorstellen. So vorsichtig wie es ihr möglich war, umwickelte sie die blutige Pfote mit Mull und ihrem Halstuch. Dann packte sie den Rucksack und griff nach der Falle. Vielleicht konnte jemand herausfinden, wem dieses Ding gehörte. Das Tellereisen war schwer, aber die Mühe nahm sie gern auf sich, wenn damit ein Wilderer gefasst werden konnte.

      Sie hängte es an ihren Rucksack und schwang diesen auf den Rücken. Dann bückte sie sich und hob das verletzte Tier vorsichtig auf ihre Arme. Sie war ehrlich froh, dass es ein Jungtier war. Schätzungsweise trug sie gerade circa dreißig Kilogramm Lebendgewicht auf den Armen. Das würde ein anstrengender Rückweg werden.

      Sie brauchte etwa drei Stunden, bis sie ihren Wagen erreichte. Immer wieder hielt sie an, um ihren schmerzenden Armen eine Pause zu gönnen. Zwischendurch war der Wolfshund (Hannah hatte sich auf diesen Kompromiss geeinigt) wach geworden und hatte zu zappeln angefangen, bis sie ihn anfauchte.

      „Halt still! Mir macht das auch keinen Spaß, aber laufen kannst du nicht und liegenlassen kann ich dich ja wohl auch nicht. Reiß dich also zusammen!“

      Der Wolfshund zuckte bei ihrem Tonfall zusammen und erschlaffte. Jetzt erst wurde ihr bewusst, dass sie automatisch ihren Kinder-Zusammenstauch-Ton angenommen hatte. Bei ihrem Nachwuchs hatte der immer Wunder bewirkt. Offensichtlich war das auch der richtige Tonfall für Teenager-Hunde.

      Der Anblick ihres Wagens war eine echte Erlösung.

      Schnaufend schob sie das Tier auf den breiten Beifahrersitz. Dann hockte sie sich erschöpft hinters Steuer.

      Als sie den Wagen startete, nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ihr Kopf fuhr automatisch herum und sie erstarrte.

      Verblüfft betrachtete sie das Tier, das neben einem Baum stand und sie mit heraushängender Zunge anstarrte.

      Das war eindeutig ein Wolf. Da war sie sich sicher. Verdammt groß, verdammt kräftig und verdammt beeindruckend. So nahe war sie noch keinem gekommen, und als sie in seine grünen Augen blickte, war sie sich sicher, dass das auch gut so war.

      „Aha“, meinte sie nur und trat das Gaspedal durch.

       Dark Moon Creek

      Eine halbe Stunde später fuhr sie in Dark Moon Creek ein und hielt den Wagen vor dem Zentralgebäude an. Als sie ausstieg, sah sie Theo angelaufen kommen. Er wirkte überrascht.

      „Hannah, - was machen Sie denn hier?“

      „Oh, ich hab da unterwegs jemanden gefunden, der, glaube ich, hierher gehört“, lächelte sie und öffnete die Beifahrertür. Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig, als er den zusammengerollten Wolfshund sah.

      „Verdammt“, stieß er heraus.

      „Was ist hier los?“

      Tucker O’Brians breite Gestalt schob sich ins Sichtfeld.

      „Hannah hat Peter - äh Peters Hund gefunden.“

      Theo ließ O’Brian vorbei. Dieser stieß einen unterdrückten Fluch aus, als er das blutige Halstuch an der Pfote sah. Er warf einen grimmigen Blick zu Hannah.

      „Was ist passiert?“

      Hannah griff wieder in den Wagen und zog die Schlagfalle heraus. Mit einem Scheppern ließ sie das Eisen vor seine Füße fallen.

      „Das da“, meinte sie nur. „Ich hab ihn etwa dreißig Kilometer von hier in dem Ding gefunden. Gott sei Dank ist er ja ein verständiges Kerlchen, so dass ich ihn da raushebeln konnte. Ich hoffe,

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