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Sie seine Männer als eine Bande von Meuchelmördern bezeichnen, darf Theo Frankus niemals erfahren“, warnte Johannes ernst. „Jeder gehört zu einem Orden und jeder Orden hat ein Oberhaupt. In meinem Fall ist das der Orden der Drauger und demzufolge Theo Frankus.“

      „Aber Sie gehören auch zu der Sebjo ihres Ansus, Herr Gerber. Die Sebjo steht über dem Orden“, entgegnete Nela ihm herausfordernd.

      „Sie wollen uns also ihre wahren Beweggründe nicht anvertrauen?“, folgerte Nela aus seinen Worten. Fasziniert verfolgte Jarick das Gespräch zwischen dem Drauger und seiner Minamia.

      „Ich kenne Sie nicht, folglich vertraue ich Ihnen auch nicht.“

      „Aber Ivo Lindbur vertraut Jarick Richter“, hielt Nela dagegen.

      „Jeder Kenbur fühlt sich seinem Ansu gegenüber verpflichtet“, sagte Jarick ernst.

      „Herr Gerber, Sie anscheinend nicht, sonst hätten Sie ihren Ansu nicht hintergangen“, forderte Nela ihn heraus. Es interessierte sie, warum Johannes Gerber die Laufbahn eines gewissenlosen Handlangers einschlug, währenddessen sein Ansu Ivo seine Berufung als Alvare folgte.

      „Ich hinterging meinen Ansu nicht“, entfuhr es Johannes mit einer Intensität, die eindeutig zeigte, dass er niemals seinen Ansu verraten würde. Aber warum tat er es dennoch?

      „Dann klären Sie mich auf!“ Nela versuchte den autoritären Blick ihres Vaters nachzuahmen, wenn er eine ehrliche Auskunft verlangte. Tatsächlich zeigte er Wirkung.

      „Seit Jahren unterdrückt Theo Frankus die Mitglieder unseres Ordens. Er herrscht mit Willkür. Niemand ist vor seinen Launen sicher, deshalb hat sich eine geheime Widerstandsgruppe gebildet, um das Oberhaupt der Drauger zu stürzen“, erwiderte Johannes zuversichtlich.

      „Also schlossen Sie sich der Widerstandgruppe an“, schlussfolgerte Nela.

      „Ja. Aber damit habe ich gewiss nicht meinen Ansu verraten. Ivo lebt für die Gerechtigkeit. Auch er empfindet die momentanen Umstände als untragbar, aber er ist in seiner Verpflichtung gefangen.“

      „Welchen Auftrag hattest du?“, beteiligte Jarick sich wieder an dem Gespräch.

      „Ich sollte Theo Frankus in einem Kampf stellen. Leider kam ich nie nah genug an ihn heran. Nur seine treuesten Lakaien scharrt er um sich. Also musste ich mich der schweren Aufgabe stellen, ein niederträchtiger Lakai wie Fido Tanner zu werden.“

      „Du wärest Theo Frankus unterlegen“, teilte Jarick ihm die schonungslose Wahrheit mit.

      „Fido Tanner?“, nutzte Nela die Möglichkeit vielleicht mehr über den Drauger, der ihr immer einen eiskalten Schauder über den Rücken laufen ließ, herauszufinden.

      „Ein furchtbarer Zeitgenosse. Er ist Theo Frankus` Lieblingslakai, weil er jeden Befehl widerspruchslos und grausam ausführt. Seine Taten grenzten schon oft an Hochverrat, aber stets begnadigte Frankus ihn. Wir vermuten, dass er jedes Mal in Frankus` Auftrag handelte. Allerdings konnten wir das nie beweisen.“

      „Warum würde Frankus Fido Tanner nach Asgard schicken?“, stellte Jarick die Frage, die auch Nela auf der Zunge lag.

      Johannes zuckte mit den Schultern. „Entweder um Geheimnisse herauszufinden oder um einen Konkurrenten umzubringen.“

      „Ich nehme deine Entschuldigung an, Johannes Gerber. Ich hoffe, dass wir uns niemals wieder feindlich gesinnt gegenübertreten. Sollte das dennoch der Fall sein, werde ich keine Gnade walten lassen“, verabschiedete Jarick den Kenbur seines Kenburs mit einem Versprechen, das Nela frösteln ließ.

      Johannes deutete eine Verbeugung an, daraufhin kehrte er Jarick und Nela den Rücken zu und sah in Tills Gesicht. Kurz darauf klackte die Haustür ins Schloss. Schweigend verharrten die beiden im Wohnzimmer, bis der Lysane ihr ein Zeichen gab, dass sich Johannes Gerber außer Hörweite befand.

      „Welche Geheimnisse hat Fido in Asgard gesammelt?“, stellte sie sogleich die Frage, die ihr die ganze Zeit auf der Zunge brannte.

      „Auf jeden Fall hatte es mit der Garde zu tun“, antwortete Jarick ernst.

      „In Midgard ist sehr viel im Argen“, teilte Nela nun auch Jaricks Einschätzung.

      „In den Welten der Eingeweihten gibt es keine Volksherrschaft, aber es darf auch keine Tyrannei geben“, äußerte sich Jarick heftig. „Sobald Tristan und ich in der Gemeinschaft der Alvaren aufgenommen sind, haben wir schon unseren ersten Fall.“

      „Fido Tanner.“

      „Je schneller er hinter Gittern verschwindet, desto besser ist es für die neun Welten.“

      Botschaft aus Asgard

      Nela trat an den Kaminsims. Sogleich spürte der Lysane ihre Traurigkeit, die durch die Fotos ihrer geliebten Angehörigen wachgerufen wurde.

      „Möchtest du darüber sprechen?“, fragte Jarick holprig. Zwar verlor auch er im Laufe seines Lebens geliebte Personen, doch die Gabe, anderen in ihrer Trauer beizustehen, war ihm nicht gegeben. Jeder ging auf seine Weise mit dem Verlust um, demnach war es stets eine Herausforderung, den richtigen, individuellen Beistand zu leisten. Diese Fähigkeit besaßen die Disen bis zur Perfektion, aber nicht die Asen und schon gar nicht er.

      „Worüber?“ Bedächtig drehte sie sich zu ihm um.

      „Über deinen großen Verlust.“

      Mit Tränen in den Augen schüttelte Nela den Kopf. Innerhalb einer Sekunde überwand Jarick die Distanz vom Sessel zu seiner Minamia, die kurz zusammenzuckte, als er sie tröstend in den Arm nahm. Noch war sein plötzliches Erscheinen für sie ungewohnt, aber mit der Zeit würde sie sich an seine lysanischen Besonderheiten gewöhnen, ihn sogar rechtzeitig erahnen. Zärtlich drückte er ihr einen Kuss auf die salzige Wange. „Der Schmerz wird vergehen.“

      Zuversichtlich nickte sie, dabei rieb ihr Gesicht an seinem Hemd. Tief atmete sie durch, ihre Emotionen in den Griff bekommend, bevor sie zu ihm hinauf schaute. „Schön, dass du hier und für mich da bist.“

      „Immer.“

      „Weißt du schon, wann du und Tristan das Bündnis der Alvaren eingeht?“

      „Eigentlich muss Tristan noch erfahren, bevor wir das Ritual vollziehen, welche Verpflichtungen er als Alvare eingeht. Jedoch verlangen die äußeren Umstände regelrecht danach, dass es schon bald sein wird.“

      „Wie läuft das Ritual ab?“ Erwartungsvoll auf eine detaillierte Beschreibung der Bündniszeremonie sah Nela ihn an.

      Mit einem Räuspern machte Till sich bemerkbar. „Oswin steht vor dem Tor.“

      „Oswin?“ Ungern, aber unvermeidlich löste er die Umarmung mit Nela. Zu seinem und gewiss auch zu Nelas Bedauern musste ihr Gespräch vorerst verschoben werden. Gerne hätte er sie weiter im Arm gehalten, dabei ihr die Welt der Alvaren erklärt, jedoch musste er sich nun Oswin und seinem Anliegen zuwenden.

      „Lass ihn herein.“ Es musste etwas sehr Wichtiges sein, wenn Oswin ihn in seiner Auszeit aufsuchte. Was war in Asgard geschehen, dass Oswin den Palast Glitnir verließ, um Jarick darüber persönlich in Kenntnis zu setzen? Der Lysane ahnte nichts Gutes.

      „Nela, lass uns bitte alleine.“ Widerstrebend kam sie seiner Aufforderung nach. Natürlich verstand Jarick ihre Neugierde, den Grund seines Kommens zu erfahren, aber zuerst musste Jarick mit Oswin unter vier Augen sprechen.

      „Ansu“, verneigte Oswin sich ehrfürchtig, nachdem er von Till in das Wohnzimmer geführt worden war. „Ich habe eine überaus wichtige Botschaft vom Allvater.“ Oswin, dem man sein hohes Alter mittlerweile ansah, überreichte ihm die Schriftrolle, die mit Odins Wappen versiegelt war.

      „Danke“, nahm Jarick die Nachricht zögernd entgegen. Augenblicklich zog Oswin sich zurück, aber wartete vor der Tür des Wohnzimmers auf Anweisungen, die sich oft ergaben, wenn hochgeborene Lysane Nachrichten

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