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sich bei dem Gedanken und die anderen nickten. Obwohl sie beim Verlust einiger Geschenke der Kinder – einer sprechenden Klopapierrolle, dem ›Clubausweis für alte Schachteln‹ oder dem kriechenden Zombie-Gartenzwerg – schon ein Auge zugedrückt hätte. Ihre Jungs waren nämlich sehr kreativ.

      Vera Jensen hatte dasselbe Thema, allerdings auf ihren Mann gemünzt. »Ich hab Werner gestern Abend von den Männern erzählt, aber das hat ihn überhaupt nicht interessiert.« Das mit dem Alkohol behielt sie erst mal für sich. Sie wollte nicht so viel Diskussionsstoff bieten. Sofort würde das im Dorf die Runde machen.

      »Is so, Kerle, halt. Aber niemand soll sagen, dass wir sie nicht gewarnt hätten.«

      »Ich habe neulich in einer Zeitschrift gelesen, dass laut Kriminalitätsstatistik nur ein Viertel aller Straftaten von Frauen begangen werden«, meldete sich Anke zu Wort, »Frage: Sind Frauen nun weniger kriminell oder lassen sie sich einfach nicht erwischen?«

      »Sie lassen sich einfach nicht erwischen!«, tönte es laut im Chor und die Damen klatschten sich lachend ab.

      Frau Schneider wollte gerade zum dritten Mal aufbrechen, als zwei Männer den Tante-Emma-Laden betraten. Alle anwesenden Frauen drehten sich um und es wurde ganz still. Jetzt wurden die Fremden erst einmal von oben bis unten begutachtet.

      Birgit Schneider erkannte die Typen sofort wieder.

      Schwarze Haare, dunkle Augen, kantiges Gesicht; ungefähr fünfzehn Zentimeter Größenunterschied trennten die beiden Männer voneinander. Der Größere trug einen Dreitagebart, mit dem er ziemlich verwegen aussah und Birgit Schneider ein wenig wuschig machte. Sie zupfte an ihrem linken Ohrläppchen und wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ohne den Mann dabei aus den Augen zu lassen. Endlich mal ein richtiger Kerl, dachte sie und leckte ihre Lippen.

      Ihr Unterbewusstsein dachte: wow – ihr Verstand ebenso.

      Beide Männer hatten sich in lange und natürlich auch dunkle Mäntel gehüllt, unter denen alles vermutet werden konnte – auch Waffen.

      Bis auf eine schlecht verheilte Narbe auf der Wange, wirkte der kleinere Mann eher unscheinbar. Frau Schneider stachen sofort die gepflegten Hände der Italiener ins Auge. Dafür hatte sie einen Blick. Doch das war ja auch kein Wunder, denn die Mafia hatte garantiert andere, die die schmutzige Arbeit für sie erledigten.

      »Buon giorno! Come sta? Mein Name ist Toni Mazzarelli, das ist mein Bruder Stefano.«

      Er selbst verbeugte sich kurz und zeigte dann auf seinen Bruder. »Scusi, meine Damen. Können Sie uns helfen? Wir suchen Ihren Padre.«

      Frau Puttfarken blieb ihr veganes Dinkelhörnchen im Halse stecken und füllte ihren Mund komplett aus. Sie hustete einmal, dabei flogen einige Brocken quer über den Stehtisch und blieben am Spuckschutz der Wursttheke kleben. Die weiche Dinkelpampe hatte sich zusätzlich an ihre Zähne geheftet. Sie sah aus wie ein Backenhörnchen, das sich jetzt schon für den Winter mit Fressen versorgte. Gut, dass sie schon am Morgen die Farbe Rot ihres Anzug-Dingens als Warnung vor Fressfeinden gewählt hatte.

      Frau Hoyer-Schmidt verschüttete spontan ihr Prickelwasser und fluchte.

      »Oh, Sie sind wie Italiani. un Prosecco verso mezzogiorno!« Ein Prosecco am Mittag also.

      Der Mann wendete sich jetzt Vera Jensen zu, fummelte nebenbei ein paar Euro aus der Manteltasche und orderte: »Signora, einen neuen Prosecco für la bella Signorina.«

      »Können wir Ihnen helfen?«, fragte Vera, während sie tatsächlich neuen Sekt eingoss.

      »Wir suchen Ihren Padre«, wiederholte der Mann.

      »Mein Vater ist schon lange tot. Das muss sich um ein Missverständnis handeln.«

      Missverständnis? No. Wieso tot!?«

      »Na, mein Vater halt. Er ist tot … my father … dead.« Vera versuchte es nun international.

      »Ah so, no, ich meine den Padre von Ihrer Kirche«, lachte der Italiener.

      Vera Jensen begriff nichts.

      Aber dafür hatte sie ja die weltgewandte, im London-Style manikürte Frau Schneider an ihrer Seite, die sich nun in den Vordergrund drängelte und für Aufklärung sorgte.

      »Ich glaube, die suchen nach Knuth«, sagte sie leise und lächelte unnatürlich. Nachdem das geklärt war, schickte man die beiden Männer weiter zur Kirche.

      Birgit Schneider, die ja sowieso schon seit mindestens zehn Minuten weg sein wollte, griff sich ihren Mantel und folgte den Männern nach draußen vor die Tür. Dort zeigte sie noch schnell die Richtung an, bevor sie selbst in ihr Auto stieg, sich bekreuzigte und nach einem letzten Blick in den Rückspiegel losbretterte.

      Frau Puttfarken kaute nun endlich zu Ende, löste mit der Zunge die restliche Dinkelmischung von ihren Zähnen und hinterfragte den Auftritt der Männer.

      »Was war das denn!?«

      »Das war … unheimlich«, antwortete Frau Jensen und schenkte sich erstmal einen Schnaps ein.

      »Für mich auch.« Frau Hoyer-Schmidt hatte sich die ganze Zeit mit dem Sprechen zurückgehalten – nicht aber mit dem Alkohol.

      »Du hattest schon ein Sekt«, bemerkte Vera Jensen streng. »Nee, eigentlich zwei«, berichtigte sie sich.

      »Was bist du … meine Mutter? Ein-schen-ken!«, forderte Anke mit Nachdruck und ihr entglitt ein kleiner Rülpser.

      Frauke brauchte noch ein weiteres inhaltsloses Brötchen hinterher – für die Nerven. In diesem Moment, als der erste Bissen des zweiten Frühstücks gerade in ihrem Mund versenkt wurde, standen die beiden Männer wieder in der Tür.

      »Sie sind sehr hungrig, Signora«, bewunderte Toni Mazzarelli die Nahrungsaufnahme der veganen, farbenfrohen Frau. Frau Puttfarken nickte kurz und versuchte zu lächeln. Dabei lugte etwas Pampe zwischen ihren Lefzen hervor.

      »Padre war nicht da.« Die Stimme des Mannes klang enttäuscht.

      Jetzt fiel Vera Jensen ein, dass ja heute Freitag war und der Pastor im Sex-Shop seinem Hobby nachging. Dort trank er gerne mal einen – auch gerne mal zwei, drei.

      Hunoldt war ein guter Pastor. Immer fand er die richtigen Worte. Selbst wenn etwas Unvorhergesehenes passierte, blieb er ruhig und besonnen. Wie damals, als jemand während einer Hochzeit spontan verstarb. Das war gar nicht gut und einige sprachen schon von einem schlechten Omen. Gemeinschaftlich rollte man den Toten kurz zur Seite und Hunoldt fuhr mit den Segenssprüchen fort. Erst nachdem sich die Brautleute ihr Ehegelöbnis versprachen und Ja sagten, sich die Ringe ansteckten und … bla, bla, bla, legte man den Verstorbenen zur kurzfristigen Aufbewahrung auf eine der hinteren Bänke, bis sich der Pastor zum Bestatter verwandelte und die Leiche zur Begutachtung der Todesursache abholen ließ.

      Trotz dieser Misere trübte das die Stimmung nicht im Geringsten. Im Gegenteil, diese Hochzeit wurde zu einem Event, das niemand so schnell vergaß und in die Chronik Tottenbüttels einging.

      Vor allem, weil die Braut nach nur einem Ehejahr mit einem anderen Mann, von heute auf Morgen verduftete, und der Bräutigam sich kurz danach erhängte. Und zwar in der Kirche.

      Vielleicht war der Spontantod des Hochzeitsgastes damals während der Hochzeit tatsächlich schlechtes Karma.

      Knuth Hunoldt war aber nicht nur Pastor, sondern auch der Bestatter im Ort. Alles fing mit einem Nebenjob an, einer AB-Maßnahme, der aber schnell zu einer Passion wurde. Das machte auch irgendwie Sinn. Trauerrede ausarbeiten, Grube ausheben – alles blieb in einer Hand. Nach dem Tod eines Dorfbewohners konnte er sofort die Maße des Verblichenen nehmen, jedenfalls so Pi mal Daumen, und in seinem Showroom schon mal ganz in Ruhe eine Vorauswahl geeigneter Endlagerungen treffen. Eiche rustikal, Kiefer oder Birke neutral, manchmal auch Furnier, scheißegal – er liebte den Geruch von Holz. Regelmäßig wurden seine selbst kreierten Werbe-Flyer verteilt. Das übernahm er meistens in Eigenregie. Sein Slogan: Wie bei einer Immobilie ist nicht der Preis entscheidend, sondern die Lage.

      Peng

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