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Nummer zu groß zu sein und so konnte man eigentlich nur ahnen, wie es darunter aussah. Alleine seine Unterarme, die wegen des kurzärmeligen Hemdes nicht verdeckt waren, gaben Aufschluss darüber.

      Wie gesagt, er war hager, doch seine Arme waren sehnig und ich erinnerte mich an seinen Händedruck, als wir uns das letzte Mal begegnet waren. Er war kräftig und angenehm gewesen. Auf eine solche Art der Begrüßung hatten wir heute verzichtet, denn Kämmerlein hatte sich sofort seiner Arbeit zugewandt.

      Peters, Franzen und ich sahen dem Arzt bei seiner Arbeit zu. Mehr konnten wir im Moment nicht tun. Kämmerlein drehte die Leiche nach allen Seiten und als er die Rückenpartie der Frau sah, stutze er.

      „Ungewöhnlich“, hörte ich ihn vor sich hin sagen. „Äußerst ungewöhnlich.“

      Es hatte den Anschein, als dachte er einen Moment nach, doch dann fuhr er mit der Untersuchung fort. Er betrachtete die Halsgegend und drückte an verschiedenen Stellen, dann packte er die Unterarme der Frau, einen nach dem anderen, hielt ihn hoch, drehte die Innenseiten zu sich und schüttelte schließlich den Kopf.

      Dann wandte er sich den Beinen der Toten zu, die unter dem knielangen, dunkelblauen Rock weder in Strümpfe noch in eine Strumpfhose gekleidet waren. Auch hier vollführte er die gleiche Prozedur, nahm erst das eine Bein, hob es an, schaute es sich von allen Seiten an, um sich anschließend mit dem anderen Bein zu befassen. Dann nickte er lautlos vor sich hin und erhob sich aus seiner unbequemen Haltung.

      Peters, dessen junger Kollege und ich sahen Kämmerlein erwartungsvoll an, während er sich langsam die Latex-Handschuhe abstreifte, sie in eine leere Plastiktüte stopfte und dann in seiner Arzttasche verstaute.

      „Was is`, Doc?“ Während ich noch die kurze Frage stellte, kam mir der Filmtitel der Komödie mit Barbra Streisand in den Sinn und am liebsten hätte ich die wenigen Worte wieder rückgängig gemacht. Kämmerlein kniff die Augen leicht zusammen und sah mich geradeheraus an.

      „Also: Ein Sexualdelikt kann ich nicht erkennen. Aber eines steht mit Sicherheit fest: Die Frau ist verblutet.“

      „Wie ich schon sagte“, meldete sich Peters.

      „Aber nicht so, wie Sie denken.“

      Kämmerlein machte eine Pause, um das auszukosten, was Peters bei seiner polizeilichen Leichenschau offensichtlich übersehen hatte.

      „Sondern?“

      „Es hat den Anschein, dass man der Frau das Blut abgezapft hat.“

      Peters lächelte und ich sah ihn erstaunt an. Endlich fuhr Kämmerlein fort.

      „Da ist ein Einstich in ihrem Bein. Man hat der Frau eine Kanüle an der Vene des rechten Unterschenkels angesetzt, mehr oder weniger fachgerecht – was im Endeffekt auch keine Relevanz hat - und hat einfach abgewartet, bis die unfreiwillige Spende von selbst zum Stillstand kam. Vermutlich hat sie gesessen.“

      „Gesessen? Wie meinen Sie das?“

      „Na ja, ich vermute, sie hat auf einem Stuhl oder etwas Ähnlichem gesessen, als man ihr das Blut abzapfte. Sehen Sie dort an den Beinen. Im Bereich der Knöchel. Blutstauungen. Die Unterschenkel müssen also während der Tat senkrecht gestanden haben. Und die Verletzungen an den Händen. Fesselungsmerkmale. Eindeutig. Ja. So wird es gewesen sein. Auf die Obduktion bin ich gespannt.“

      „Einem Menschen das Blut abzapfen. Wer macht denn so was und vor allem: Warum?“

      Ich sah zu der Toten hinunter und auf einmal kam sie mir noch blasser und weißer vor, als ich es vom letzten Hinschauen in Erinnerung hatte.

      „Es gibt da zahlreiche Möglichkeiten, die Sie sicherlich auch irgendwelchen Kriminalakten entnehmen können. Ich jedenfalls werde in diese Richtung keinen Tipp abgeben. Das ist Ihre Aufgabe. Reden Sie mit dem Obduzenten. Ich wette, dann sind Sie ein gutes Stück weiter. Meine Arbeit ist getan.“

      Kämmerlein entnahm seiner Tasche eine Mappe mit Papieren und begann zu schreiben.

      „Ist die Person identifiziert?“

      „Nein, bisher noch nicht. Ich hoffe, dass wir in ein paar Stunden mehr wissen. Was glauben Sie, wann ist der Tod der Frau eingetreten?“

      „Aufgrund des Blutverlustes kann ich mich nicht an den Leichenflecken orientieren. Dem optischen Eindruck nach zu urteilen würde ich sagen – ohne mich festlegen zu wollen, das ist, wie gesagt, Aufgabe des Obduzenten -, dass die Tat im Laufe der vergangenen Nacht oder dem gestrigen Tag verübt worden sein kann. Aber wie gesagt: Legen Sie mich bitte nicht fest.“

      „Körpertemperatur?“ Ich sagte nur dieses eine Wort.

      Kämmerlein sah mich leicht erschrocken an. „Tut mir leid, ein Thermometer habe ich nicht dabei.“

      Ehe ich einen Vorwurf loslassen konnte kramte Peters in seinem Koffer und brachte ein Fieberthermometer zum Vorschein. Er hielt es dem Doktor mit einem freundlichen Lächeln entgegen und Kämmerlein blieb nichts Anderes übrig, als es entgegenzunehmen.

      Es vergingen etwa zwei Minuten, als er sich erhob und auf die Skala des Thermometers sah.

      „27,3 Grad“, las er ab. Wenn Sie von der menschlichen Körpertemperatur pro Stunde ein Grad abziehen, was wir bei dieser Außentemperatur durchaus tun können, ist der Tod vor etwa neun Stunden eingetreten. Mit kleinen möglichen Abweichungen.“

      „Die Leiche wurde heute Morgen gegen acht Uhr gefunden. Also wurde die Tat gegen 23 Uhr am gestrigen Abend verübt“, überlegte ich. Ja, so musste es gewesen sein.

      Kämmerlein reichte mir mit einem Seitenblick ein Formular, dem mehrere Durchschläge anhingen.

      „Die Todesbescheinigung. Person derzeit unbekannt. Ich habe das Kreuz bei ‚Nicht aufgeklärte Todesursache‘ gemacht. Bei Fragen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung. Also dann! Viel Glück bei Ihren Ermittlungen.“

      Kämmerlein schnappte sich seine Arzttasche, klemmte sie unter seinen dünnen rechten Arm und verließ den Ermittlungsort gebückt unter dem roten Flatterband hindurch, das zwei Kollegen der Hermeskeiler Schutzpolizei für ihn in die Höhe hielten.

      „Wir sollten uns tatsächlich schnellstens an die Ermittlung der Angehörigen machen. Kennt jemand diese Frau?“, wandte ich mich an die Kollegen, die inzwischen damit beschäftigt waren, die Neugierigen, von denen es nun immer mehr gab, auf Distanz zu halten. Ich erntete Kopfschütteln und sah Peters noch kurze Zeit zu, wie er die Leiche von allen Seiten fotografierte.

      „Ich maile dir die Fotos sofort auf deinen PC“, rief er mir zu, denn ich hatte mich bereits zum Gehen gewandt. „Wir werden uns hier noch nach Reifenspuren umsehen. Ich melde mich bei dir.“

      Ich musste Leni anfordern, ich brauchte jetzt ihre Unterstützung. Beim Präsidium meldete sich ein Kollege des Kriminal-Dauerdienstes, den ich bat, Leni zu Hause anzurufen. Ich hätte es auch selbst per Handy tun können, aber in diesem Fall wollte ich doch den Dienstweg einhalten.

      „Einen Moment“, sagte der Kollege und dann war es kurz still in der Leitung.

      „Kommt der Herr Hauptkommissar wieder einmal nicht ohne mich aus, stimmts, Heiner?“

      Es war Leni. Sie war in Trier. Im Präsidium. Man hatte sie also doch verständigt. Gut so.

      „Hast du irgendwelche Ermittlungen, die ich von hier aus tätigen kann?“, fragte Leni. „Dann brauchst du nicht zur Dienststelle zu kommen.“

      „Ja, du kannst nachsehen, ob es irgendwelche Vermissten-Fälle in den vergangenen Tagen oder auch Wochen gab. Eine junge Frau, um die Dreißig, schlank, dunkelblond, bekleidet mit einer hellen Bluse und einem dunkelblauen Rock. Wenn Peters auftaucht, soll er dir ein Foto von der Frau geben. Gib das Foto auch mit einem kleinen Text an die Presse, nach dem Motto: Wer kennt diese Frau? Oder warte! Bereite die Pressenachricht vor, lass sie aber vorläufig noch auf deinem Schreibtisch liegen. Vielleicht meldet sich ja doch noch jemand. Und dann komm nach Forstenau. Es gibt einiges zu tun in diesem Ort, der seit einiger Zeit in seinen Grundfesten erschüttert wird.“

      „Ist

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