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auf den Boden. Ein älterer Herr hatte das mitbekommen und äußerte sich mit einem verständnislosen Blick.

      „Ein blödes Wort und du frisst die Scherben“, drohte der Typ dem alten Mann, welcher eingeschüchtert weiter seines Weges zog.

      8

      Der Muskelberg lief schnurstracks zu der S-Bahn Richtung Ostkreuz und stellte sich direkt vorne an die Sicherheitslinie. Borchardt stellte sich zwei Meter schräg hinter ihm.

      Die Plattform war gerammelt voll. Ein schreiendes Kleinkind lag auf dem Boden und bescherte seinem hilflosen Vater einen Wutanfall. Weiter hinten grölten irgendwelche Jugendliche halbstarke Sätze. Zwei Obdachlose hatten eine Auseinandersetzung und schrien sich lallend an. Die Lautsprecheranlage war zu laut und die Ansagerin hatte eine unangenehm piepsende Stimme - man verstand sie gar nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite stand eine Gruppe Polizisten, deren Anwesenheit Borchardt Freiraum zum Atmen gab.

      Die Oberarme des Bodybuilders hatten einen Umfang größer als Borchardts Oberschenkel und sein Hals war steinig und sehnig und bildete eine Einheit mit dessen Kopf. Bei einer körperlichen Auseinandersetzung hätte Borchardt nicht die geringste Chance. Der Typ war mindestens 1,90 Meter groß und Borchardt maß gerade mal 1,74 Meter.

      Die einfahrende S-Bahn war ebenfalls bis in alle Winkel überfüllt. Die Türen hatten sich gerade erst geöffnet, als sich der Muskelberg einfach in die aussteigende Menge drängte und die Fahrgäste schupste und hinnahm, dass gleich mehrere stürzten.

      Eine junge gutaussehende Geschäftsfrau hatte Probleme, sich nach dem Sturz wieder aufzurichten und einen stechenden Schmerz im linken Fußknöchel. Borchardt reichte ihr die Hand. „Kommen Sie, junge Dame, ich helfe Ihnen“, sagte er.

      „Danke, das ist sehr aufmerksam. Was war das denn für ein Rüpel?“

      „Keine Ahnung. Sehen Sie die Polizisten dort drüben?“

      „Ja.“

      „Die werden Ihnen behilflich sein“, rief er ihr zu, während sich die Tür schloss.

      Der Wagen war jetzt voller als bei der Ankunft. Borchardt musste an der Tür stehen bleiben und wurde von einer Gruppe junger Touristen umzingelt, jeder mit einem großen Reisekoffer. Am hinteren Ende ertönte die schräge Blasmusik rumänischer Minderjähriger. Einer hielt eine kleine mobile Musikbox, aus der ein viel zu lauter und verzerrter Bass tönte. Der andere blies schräge Töne in seine ungestimmte Trompete, während sich der dritte mit einem Plastikbecher in der Hand von Fahrgast zu Fahrgast schlängelte.

      Borchardt stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, wo der Typ abgeblieben war, und musste sich immer wieder den Schweiß von der Stirn wischen. Wie gerne hätte er jetzt sein Sommersakko ausgezogen, wenn er doch nur genügend Platz gehabt hätte. Er konnte sich noch nicht einmal an einer der Stangen festhalten, sondern musste sich auf die Tür hinter ihm und den Halt, den ihm die Gruppe bot, verlassen.

      Die Bahn war abstoßend warm. Wie kann es sein, dass die Hauptstadt einer der reichsten Länder der Welt S-Bahnen einsetzt, die keine vernünftigen Klimaanlagen haben, schimpfte Borchardt innerlich. Und heute war es der ungewöhnlich schwülen Sommerluft zu verdanken, dass der Wagen nach einer Mischung aus Feuchtigkeit und menschlichen Ausdünstungen roch. Wenngleich Borchardt die öffentlichen Verkehrsmittel gerne nutzte, so vermied er sie an heißen Tagen wie diesem. Sein Kreislauf machte einfach nicht mehr mit, obwohl er mit seinen 48 Jahren überdurchschnittlich fit war. Und obgleich mehrere Fensterchen geöffnet waren, so stand die Luft auch während der Fahrt wie eingemeißelt im Raum.

      Der Typ drängelte sich nach vorne, sein Verhalten immer noch rabiat. Dann blieb er vor einem Vierersitzplatz stehen und sprach jemanden an. Ein altes gebrechliches Mütterchen stand auf, und der Typ drängte sich an ihr vorbei und ließ sich auf den Sitz fallen.

      An den Hackeschen Höfen stiegen nochmals mehr Fahrgäste ein als aus. Borchardt wurde weiter in den Wagen gedrängt und konnte eine Stange erreichen. Die nervtötende Blasmusik wurde durch einen harmonischen mit Gitarre begleiteten Gesang eines Straßenmusikers ausgewechselt. Borchardt setzte seine ganze Hoffnung auf den nächsten Halt - Bahnhof Alexanderplatz. Und seine Hoffnung wurde belohnt. Diesmal stiegen mehr aus als ein. Der Zug blieb überfüllt, bot aber Borchardt endlich die Möglichkeit, sich weiter an den Typen heranzutasten.

      9

      Das darf nicht wahr sein, bitte nicht jetzt, dachte Borchardt, als er am anderen Ende des Durchgangs eine ihm nur allzu vertraute Obdachlose samt ihrer Obdachlosenzeitung stehen sah. Sie musste am Alex eingestiegen sein. Die obdachlosen Zeitschriftenverkäufer gehören genauso selbstverständlich zu Berlins Stadtbild wie die überall anwesenden Flaschensammler.

      Borchardt hatte sie bereits des Öfteren gesehen und ihr immer wieder Geld gegeben. Sie kannte ihn, und er kannte sie. Heute sah sie besonders heruntergekommen aus. Als hätte sie drei Tage unter der Erde gelegen. Ihr Schweißgeruch war immerzu unerträglich. Selbst wenn sie längst aus dem Umkreis war, hinterließ sie einen beißenden Gestank. Borchardt vermutete, dass sie unter einer Krankheit der Schweißdrüsen litt. Anders konnte er sich diesen abstoßenden Geruch nicht erklären, zumal ihre Kleidungen immer recht gepflegt waren.

      Sie war circa 1,60 Meter groß und abgemagert. Mehrere Zähne fehlten ihr. Ihre Augen waren stets wässrig, als würde sie ununterbrochen weinen. Sie musste um die 30 Jahre alt sein, wirkte allerdings wie um die 50. Hin und wieder hatten Borchardt und sie miteinander kurz gesprochen, was ihr stets schwerfiel, als würde sie das körperlich anstrengen. Als sie sich zum ersten Mal über den Weg gelaufen sind, hatte Borchardt den Eindruck, sie würde nicht mehr lange leben. Er hatte falsch gelegen und das beeindruckte ihn.

      Die Obdachlose begann, ihrer Arbeit nachzugehen, indem sie ihren Verkaufstext monoton und gefühllos aufsagte: „Werte Mitfahrer und Mitfahrerinnen, ich bitte Sie um Ihre kurze Aufmerksamkeit. Ich weiß, ich bin nur eine von vielen. Trotzdem muss ich diese Zeitschrift verkaufen, damit ich auf ehrliche Weise an Geld für Nahrung komme…“

      Der Bodybuilder saß direkt neben ihr und tippte auf seinem Smartphone rum. Er benahm sich, als gehörte ihm der gesamte Vierersitzplatz allein. Mit seinen gespreizten Beinen zwang er seinen jungen Platznachbarn, sich kleinlaut an die Wagenwand zu kauern. Auch den anderen beiden Fahrgästen ließ er kaum Freiraum.

      „Mach den Kopf zu, du stinkende Missgeburt“, brummelte er Borchardts alter Bekannten zu, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

      „…Ich lebe seit vielen Jahren auf der Straße. Niemand hat Interesse…“, fuhr sie teilnahmslos fort.

      Angewurzelt stand Borchardt da und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Dann griff der Typ blitzschnell Borchardts Bekannten am Hemdkragen. „Du stinkende Missgeburt hast jetzt Pause!“, und schuppste sie mühelos nach unten.

      Sie knallte auf den Boden. „…Trotzdem bitte ich Sie, mir zu helfen…“, verstummte sie langsam, während Blut um ihrem Gesicht herum sichtbar wurde.

      Auf dem Vierersitzplatz nebenan erhob sich ein Fahrgast. Der Stier jedoch war schneller aufgerichtet als er und brüllte sich langsam um seine Achse drehend: „Wenn irgendjemand hier ein scheiß Problem mit mir hat, dann soll er es JETZT sagen!“, und fletschte seine Zähne gegen den angehenden Helden, der sich gleich wieder hinsetzte.

      „Okay“, während der Stier die vor Schmerzen schreiende Obdachlose an den Haaren packte und sie spielendleicht nach oben zog, „du hast jetzt Feierabend!“ Er zerrte sie bis zur Tür und wartete, bis die Bahn Sekunden später an der Jannowitzbrücke ankam.

      Eine Frau direkt neben Borchardt erhob sich und öffnete eines der letzen geschlossenen Fenster.

      Die Bahn kam zum Erliegen, und der Muskelberg öffnete die Tür, schleppte Borchardts Bekannte wie einen leblosen Gegenstand nach draußen und ließ sie einfach auf den Boden fallen.

      „Du verseuchter Abfall“, während er gemütlich zum anderen Wagen lief, „komm mir nie mehr

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