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      [94]Es war eines Abends in der Dämmerung, da L[obenstein] in einem dunklen abgelegenen Gemache sich eines warmen Kräuterbades bediente, wobei ihm Anton zur Hand sein musste. Da er nun in diesem Bade schwitzte, und große Angst ausstund, so sagte er zu Anton mit einer Stimme, die ihm durch Mark und Beine drang: »Anton! Anton! hüte dich vor der Hölle!« – und dabei sah er starr in eine Ecke hin. –

      Anton zitterte bei diesen Worten, ein plötzlicher Schauder lief ihm durch den ganzen Körper. Alle Schrecken des Todes überfielen ihn, – denn er zweifelte nicht im Geringsten, dass L[obenstein] in diesem Augenblick eine Erscheinung gehabt habe, wodurch ihm Antons Tod angedeutet sei; und das habe ihn zu dem fürchterlichen Ausruf: »Hüte, ach! hüte dich vor der Hölle!« bewogen.

      L[obenstein] stieg nach diesem Ausruf plötzlich aus dem Bade, und Anton musste ihm zu seiner Kammer leuchten. Mit bebenden Knien ging er vor ihm her: und L[obenstein] schien ihm blasser als der Tod auszusehen, da er von ihm wegging.

      Ist nun je mit wahrer Andacht und Heftigkeit zu Gott gebetet worden, so geschahe es itzt von Anton, sobald er allein war; er warf sich in einem Verschlag bei der Werkstätte, nicht auf die Knie, sondern aufs Angesicht nieder, und flehte zu Gott, und bat ihn, wie ein Missetäter über den schon der Stab gebrochen ist, um sein Leben – nur um eine Frist zur Bekehrung, wenn er ja sterben solle – denn ihm fiel ein, dass er mehr als zwanzigmal auf der Straße gelaufen, gesprungen, und mutwillig gelacht hatte – und nun lagen alle die Qualen der Hölle auf ihm, welche er dafür ewig würde erdulden müssen. – »Hüte, ach, hüte dich vor der [95]Hölle!«, gellte noch immer in seinen Ohren, als ob ein Geist aus dem Grabe ihm diese Worte zugerufen hätte – und er fuhr fort eine volle Stunde nacheinander zu beten, und würde die ganze Nacht nicht aufgehört haben, wenn er keine Linderung seiner Angst verspürt hätte; – aber sowie seine Brust einen ängstlichen Seufzer nach dem andern ausstieß, und endlich seine Tränen flossen, schien es ihm, als sei ihm von Gott Erhörung seiner Bitte gewährt – der nun lieber, wie dort bei den Niniviten, einen Propheten wolle zuschanden werden lassen, als dass er eine Seele verderben ließe. – Anton hatte sein Fieber weggebetet, worin er wahrscheinlich wieder zurückgefallen sein würde, wenn seine empörten Geister nicht diesen Ausweg gefunden hätten. – So heilt oft eine Schwärmerei, eine Tollheit die andere – die Teufel werden ausgetrieben durch Beelzebub.

      Anton wurde nach dieser Ermattung durch einen ruhigen Schlaf erquickt, und stand am andern Morgen wieder gesund auf – aber der Gedanke an den Tod erwachte wieder mit ihm – höchstens glaubte er, sei ihm eine kleine Frist zur Bekehrung gegeben, und nun müsse er sehr eilen, wenn er noch seine Seele retten wolle.

      Das tat er denn auch, sosehr er konnte; er betete des Tages unzählige Mal in einem Winkel auf seinen Knien, und erträumete sich zuletzt dadurch eine feste Überzeugung von der göttlichen Gnade, und eine solche Heiterkeit der Seele, dass er sich oft schon im Himmel glaubte, und sich nun manchmal den Tod wünschte, ehe er wieder von diesem guten Wege abkommen möchte.

      Aber es konnte nicht fehlen, dass bei allen diesen Ausschweifungen seiner Phantasie, die Natur ihren Zeitpunkt wahrnahm, wo sie wieder zurückkehrte – und dann die [96]natürliche Liebe zum Leben, um des Lebens willen, in Antons Seele wieder erwachte. – Dann war ihm freilich der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod sehr etwas Trauriges und Unangenehmes, und er betrachtete diese Augenblicke, als solche, wo er wieder aus der göttlichen Gnade gefallen sei, und geriet darüber in neue Angst, weil es ihm nicht möglich war, die Stimme der Natur in sich zu unterdrücken.

      Jetzt empfand er doppelt alle die traurigen Folgen des Aberglaubens, der ihm von seiner frühesten Kindheit an, eingeflößet war – seine Leiden konnte man, im eigentlichen Verstande, die Leiden der Einbildungskraft nennen – sie waren für ihn doch würkliche Leiden, sie raubten ihm die Freuden seiner Jugend. –

      Von seiner Mutter wusste er, es sei ein sicheres Zeichen des nahen Todes, wenn einem beim Waschen die Hände nicht mehr rauchen – nun sahe er sich sterben, sooft er sich die Hände wusch. – Er hatte gehört, wenn ein Hund im Hause mit der Schnauze zur Erde gekehrt, heule, so wittre er den Tod eines Menschen; – nun prophezeite ihm jedes Hundegeheul seinen Tod. – Wenn sogar ein Huhn wie ein Hahn krähete, so war das ein untrügliches Zeichen, dass bald jemand im Hause sterben würde – und nun ging hier gerade ein solches unglückweissagendes Huhn auf dem Hofe herum, welches beständig auf eine unnatürliche Weise wie ein Hahn krähte. – Für Anton klang keine Totenglocke so fürchterlich, als dieses Krähen; und dieses Huhn hat ihm mehr trübe Stunden in seinem Leben gemacht, als irgendeine Widerwärtigkeit, die er sonst erlitten hat.

      Oft schöpfte er wieder Trost und Hoffnung zum Leben, wenn das Huhn einige Tage schwieg – sobald es sich dann [97]wieder hören ließ, waren alle seine schönen Hoffnungen und Entwürfe plötzlich gescheitert.

      Da er nun so schon mit lauter Todesgedanken umging, fügte es sich, dass er das erste Mal nach seiner Krankheit wieder zu dem Pastor P[aulmann] in die Kirche kam. Dieser stand schon auf der Kanzel, und predigte über – den Tod.

      Das war für Anton ein Donnerschlag; denn da er nun einmal gelernet hatte, nach dem, was ihm von einer besondern göttlichen Führung in den Kopf gesetzt war, alles auf sich zu beziehen – wem anders, als ihm sollte nun wohl die Predigt vom Tode gehalten werden? – Mit nicht mehr Herzensangst kann ein Missetäter sein Todesurteil anhören, als Anton diese Predigt – der Pastor P[aulmann] fügte zwar Trostgründe gnug gegen die Schrecken des Todes hinzu, aber was verschlug das alles gegen die natürliche Liebe zum Leben, die, trotz aller Schwärmereien, wovon Anton den Kopf vollgepfropft hatte, dennoch bei ihm die Oberhand behielt.

      Niedergeschlagnes und betrübtes Herzens ging er zu Hause, und vierzehn Tage lang machte ihn diese Predigt melancholisch, die der Pastor P[aulmann], wenn er gewusst hätte, dass sie noch auf zwei Menschen solche Würkung, wie auf Anton tun würde, wahrscheinlich nicht würde gehalten haben.

      So war Anton nun in seinem dreizehnten Jahre, durch die besondre Führung, die ihm die göttliche Gnade, durch ihre auserwählten Werkzeuge hatte angedeihen lassen, ein völliger Hypochondrist geworden, von dem man im eigentlichen Verstande sagen konnte, dass er in jedem Augenblick lebend starb. – Der um den Genuss seiner Jugend [98]schändlich betrogen wurde – dem die zuvorkommende Gnade den Kopf verrückte. –

      Aber der Frühling kam wieder heran, und die Natur, die alles heilet, fing auch hier allmählich an, wiedergutzumachen, was die Gnade verdorben hatte.

      Anton fühlte neue Lebenskraft in sich; er wusch sich, und seine Hände rauchten wieder – es heulten keine Hunde mehr – das Huhn hörte auf zu krähen – und der Pastor P[aulmann] hielt keine Todespredigten mehr. –

      Anton fing wieder an, des Sonntags für sich allein spazieren zu gehen, und einmal fügte es sich, dass er, ohne es erst selbst zu wissen, gerade an das Tor kam, wo er vor ohngefähr anderthalb Jahren mit seinem Vater zuerst von H[annover] eingewandert war. Er konnte sich nicht enthalten, hinauszugehn, und die mit Weiden bepflanzte breite Heerstraße zu verfolgen, die er damals gekommen war. Sonderbare Empfindungen entwickelten sich dabei in seiner Seele. – Sein ganzes Leben von jener Zeit an – da er zuerst die Schildwache auf dem hohen Walle hin- und hergehend erblickte, und sich allerlei Vorstellungen machte, wie nun wohl die Stadt inwendig aussehen, und wie das L[obenstein]sche Haus beschaffen sein würde? – stand jetzt auf einmal in seiner Erinnerung da. – Es war ihm, als ob er aus einem Traume erwachte – und nun wieder auf dem Flecke wäre, wo der Traum anhub; – alle die abwechselnden Szenen seines Lebens, die er diese anderthalb Jahre hindurch in B[raunschweig] gehabt hatte, drängten sich dicht ineinander, und die einzelnen Bilder schienen sich nach einem größern Maßstabe, den seine Seele auf einmal erhielt, zu verkleinern. –

      So mächtig wirkt die Vorstellung des Orts, woran wir alle [99]unsre übrige Vorstellungen knüpfen. – Die einzelnen Straßen und Häuser, die Anton täglich wiedersahe, waren das Bleibende in seinen Vorstellungen, woran sich das immer Abwechselnde in seinem Leben anschloss, wodurch es Zusammenhang und Wahrheit erhielt, wodurch er das Wachen vom Träumen unterschied. – –

      In der Kindheit ist es insbesondre nötig, dass alle übrigen Ideen sich an die Ideen des Orts anschließen,

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