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die nicht vergehen kann und alle künftigen Wirtschaftsformen in ihrem Schoße trägt. Das war wohl die sichtbare Frucht, die der alternde Stamm nach auferlegtem Willen tragen durfte; nun schüttet er die verspäteten Knospen und Blätter in euren Schoß.

      Grund meines Redens ist nicht der Krieg, sondern der geistige Niederbruch, den er offenbart, nicht die Furchtbarkeit dessen, was ist, sondern dessen, was war und was bevorsteht. Die Stumpfesten glauben ein Gewitter zu sehen, kurz und heftig meinten sie zuerst, heftig und absehbar meinen sie jetzt, und denken bald wieder da anzufangen, wo sie aufgehört haben, am liebsten möchten sie ihn als Mittel betrachten, um einige ihrer alten Zwecke zu erreichen.

      Andere trösten sich mit einer Theorie wirtschaftlicher Evolutionen: immer haben Kriege die Übergänge der Wirtschaftsformen begleitet, dieser ist größer, doch nichts anderes; wir werden den Endzustand erwarten und versuchen, ihn nach unserem Willen zu lenken. Sie haben nur zur Hälfte Unrecht, denn dieser ist wahrhaft der Weltbrand des europäischen Sozialgebäudes, das nie wieder erstehen wird. Doch ist nicht jede Brandstätte ein Baugrund, manche ist wüst geblieben und manche zur Spukstätte für Gespenster und Gesindel geworden.

      Die wenigen, die das Ereignis kommen sahen, so wie es ist, nicht als mannhaften Zweikampf, nicht als frisch-fröhlichen Reiterkrieg, sondern als Weltgericht: diese wenigen haben es verkündet, nicht als politisch-wirtschaftliche, sondern als sittliche Notwendigkeit, als Blutgericht, um zum letztenmal die Seele und das Gewissen, die Würde und Gerechtigkeit der westlichen Welt zu wecken und zu retten.

      Wir gingen zugrunde mit aller Üppigkeit der Technik und mit dem verruchten Stolze unseres banalen Wissens; und wir gehen weiter und unaufhaltsam zugrunde, mit und trotz und wegen aller Opfer, so wir nicht begreifen und uns ermannen.

      Noch jetzt, im fünften Jahr, sind die Nationen nicht fertig, ihre Kriegsgründe, Kriegsursachen und Kriegsziele zu erklügeln – freilich, sie wissen sie nicht und werden sie nicht wissen! – Weltanschauungen zu erdichten und zu ertüfteln, die sie nicht haben, Charaktere einander vorzuwerfen, die sie aus Zeitungen oder von mißvergnügten Reisenden erlernt haben. Noch heute beschimpfen sich Staatsleute und strafen sich Lügen, und deuteln an ihren Forderungen. Nüchterne Polizeiideale werden angepriesen, kapitaldurstige Kreuzzüge werden gepredigt, unüberzeugte Gerechtigkeiten werden gefordert. Und im Innern der Völker blüht Kriegswucher, Geschwätz und Roheit, während treuherzige Jugend an den Fronten verblutet.

      Was sind alle Zerstörungen und leiblichen Opfer verglichen mit den Zuckungen und Verzerrungen des europäischen Geistes? Dies Leiden ist nicht dem Kriege entsprungen, es lag in uns, und was wir schaudernd sehen und fühlen, ist nur der Paroxysmus des Ausbruchs. Und diese Krankheit geht nicht mit dem Kriege, nicht durch den Krieg zu Ende; in erneuten Schreckensformen, mit inneren Giften und Zersetzungen zehrt sie weiter bis zur tödlichen Erschöpfung. Die Geisteskrankheit, der sittliche Wahnsinn Europas ist heilbar nur durch die Macht des Gewissens, die Gewalt der Umkehr und Einkehr. Die nüchterne Wirtschaftsrechnung verschlägt nichts, sie mag den Apotheker bezahlen.

      Ist uns Rettung bestimmt, so dringt sie aus unseren Tiefen. Kein Staatsmann kann helfen, kein Staatsakt, keine Änderung der Einrichtungen. Denn wäre selbst alles aufs beste geschaffen und bestimmt, es zerschellte und zersplitterte am Wust der Interessen, an der Überzeugungslosigkeit, an der Indolenz, an der geistreichen Tüftelei, am falschen, eitlen Individualismus, und sänke zurück ins Chaos. Wurstelei und Gewaltherrschaft sind die einzigen Formen, die den anarchischen Körper im Scheindasein erhalten können, und beide ertöten vollends den Geist.

      Dies ist die Frage, die dir, deutsche Jugend, gestellt ist: Kannst du noch einmal den deutschen Geist zur Einheit der Überzeugung, zur Treue der Weltanschauung aufrufen? Es sei nicht die heilige Einheit des Mittelalters, die bleibt uns verloren; es sei eine vielfältige Kraft, doch darin einig, daß sie das Geistige über das Irdische stellt. Dann mag sie vielspältig, mag sie vom Glauben aller Welt verschieden sein, denn zwischen echten Anschauungen gibt es zwar keinen Frieden, doch keinen tötenden Haß und jederzeit die wölbende Synthese. Kannst du Menschen finden und sammeln? Nicht Heilige, nicht Genien, doch Geistige, Aufrechte, frei und weit Blickende, Würdevolle, Spendende, Innerliche, Wirkende; nicht Umhüllte von Interessen, Standesverblendung, Seichtheit, Streberei, Phrase, Liebedienerei, eitler Geschäftigkeit? Denn vergiß nicht: Wäre ein deutsches Paradies auf Erden verwirklicht, wir hätten heute die Menschen nicht, es zu verwalten. Blicke um dich, auf diese Parlamente, diese Ämter, diese Akademien –, überall der gleiche Ton, die gleiche Redensart, die gleiche mechanisierte Sicherheit, bestenfalls hier und da ein wenig weltfremde, spintisierende Grübelei, und nirgends ein Mensch, der auch nur von ferne den alten mannhaft Großen gleicht in allen diesen redenden und schaustellenden Berufen. Die Besten des Landes sind einsam an ihren stillen Werken, einseitig, aufgezehrt, gealtert, dem Treiben abhold. Wir alle müssen abtreten, zurück in Finsternis und Vergessenheit; wir haben das Unsere nicht getan, wir sind nicht die Rechten.

      Unter denen, die weitab, hilflos, ihrer Unzulänglichkeit bewußt, der Wende unwürdig das Geschick sich erfüllen sahen, habe auch ich meine Stimme erhoben, das Drohende ausgesprochen, das Geschehene gedeutet und das Kommende dargestellt. Was die Zukunft fordert und dereinst erzwingen wird, die Änderung von Einrichtungen und Gesinnung, den wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich, die Durchgeistigung und Versittlichung der Wirtschaft habe ich geschildert und die Vollendung irdischer Ordnung im Reich der Seele. Unverbrüchlich glaube ich an diese Dinge, denn sie sind im Anzuge, ja sie sind unsichtbares Schicksal geworden, denn sie sind erschaut, ausgesprochen, erhört und somit im Geiste verwirklicht.

      Doch die Liebe zur Heimat überwiegt alles und verlangt, die kommende Gerechtigkeit und Adelung möchte als ein Werk deutschen Geistes, als ein Geschenk deutschen Herzens an die Völker in die Welt treten, Deutschland möchte nicht zag, spät und verdrossen dem Weltlauf folgen, Deutschland möchte den Anspruch auf Führung und Verantwortung, also den Anspruch auf eigenes Leben nicht mürrisch und verbittert jüngeren Völkern preisgeben, um sich, so lange es geht, feindselig alternd hinter trockenen Rechten und böser Gewalt zu verschanzen.

      Und abermals werde ich mutlos und frage: Wo sind die Menschen? Wo sind in dieser Zerfahrenheit der Interessen, der Stumpfheit, der selbstverliebten Geschwätzigkeit, in dieser Unklarheit der Wertungen, in der prüfungslosen Verbohrtheit der Standesmeinungen, in der Verfilzung der Staatseinrichtungen – wo sind noch Ansätze möglich für die Keimkräfte des neuen, reinen, freien Lebens? Kann es außerhalb einer politisch beeinflußten Tagesmeinung überhaupt noch eine geistige deutsche Überzeugung geben? Wenn deutsche Gedanken entständen, wirkliche Gedanken des Geistes und Herzens, Ideen, nicht Forderungen alltäglicher Nützlichkeit noch gehässiger Zeitungs- und Versammlungsdunst –, können solche Gedanken in Deutschland noch Träger und Verwirklicher finden? Ist unser Volk einer nicht bloß herkömmlichen, nicht bloß interessierten, nicht bloß agitatorischen Anschauung noch fähig? Was sind überhaupt die Voraussetzungen für die Möglichkeit einer deutschen Anschauung? Und sind sie verwirklichbar?

      Die erste Prüfung endet freilich schlimm. In keinem Lande der Erde wird soviel wie bei uns von Anschauung, Weltanschauung, Kultur und Ideal geredet. Das kommt daher, daß wir in der vormechanistischen Epoche eine wundervolle Blüte des Geistes erlebt haben. Das war in einem kleinen, in den Tiefen kaum emanzipierten Volke mit einer Schicht von knapp fünftausend Gebildeten, einem Volk also, das eigentlich nur aus sichtbarem Geist bestand, oder in dem nur der engverschwisterte, uninteressierte Geist das Wort hatte. In den letzten drei Menschenaltern war die Zahl und Kraft der idealistischen Geister so gering, daß es zweifelhaft erscheint, ob unsere wissenschaftliche, technische und organisatorische Zivilisation noch den Namen einer Kultur verdient.

      Als wir in den Krieg zogen, fragten uns die Neutralen nach der Weltanschauung und den Idealen, für die wir kämpften. Wir erklärten ihnen, unsere Feinde seien Händler, wir aber verträten eine heldenhafte Weltanschauung, wobei denn freilich der ganze bei uns herrschende Kapitalismus abgeschaltet werden mußte, der technisch-organisatorische Teil der Kriegführung im Dunkel blieb, und die Gegenfrage abgelehnt wurde, wieweit wir Kellner, Barbiere und Handlungsreisende, die in unserem Namen die Welt versorgten, in das Heldenideal einzubeziehen wünschten.

      Dann haben uns Gelehrte ein Ideal der deutschen Freiheit beschieden, das weniger eine Freiheit als eine sympathische Unfreiheit war, das auffällig mit den

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