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      »Vom gewöhnlichen Durchschnittsmenschen«, lautete die Antwort.

      »Der schwach und fehlbar und Irrtümern verfallen ist?«

      Bischof Morehouse nickte.

      »Und kleinlich und selbstsüchtig?« Er nickte wieder. »Beachten Sie wohl,« sagte Ernst, »ich sagte >selbstsüchtig<.«

      »Der Durchschnittsmensch ist selbstsüchtig«, gab der Bischof tapfer zu.

      »Begehrt alles, was er bekommen kann.«

      »Begehrt alles, was er bekommen kann — leider wahr.«

      »Dann habe ich Sie.« Ernst ließ seine Kiefer wie eine Falle zuklappen. »Ich werde es Ihnen zeigen. Nehmen Sie einen Mann, der an der Straßenbahn arbeitet.«

      »Er hätte diese Arbeit nicht, wenn das Kapital nicht wäre«, unterbrach ihn der Bischof.

      »Stimmt, aber Sie werden mir zugeben, dass das Kapital zugrunde gehen würde, wenn die Arbeiter nicht die Dividenden verdienten.«

      Der Bischof schwieg.

      »Geben Sie das zu?« beharrte Ernst.

      Der Bischof nickte.

      »Dann heben unsere Behauptungen sich gegenseitig auf«, sagte Ernst geschäftsmäßig, »und wir sind wieder, wo wir waren. Also lassen Sie uns wieder von vorne anfangen. Die Arbeiter bei der Straßenbahn liefern die Arbeit. Die Aktionäre liefern das Kapital. Durch die vereinigte Wirkung von Arbeit und Kapital wird das Geld verdient. Das verdiente Geld wird zwischen ihnen geteilt. Der Verdienstanteil des Kapitals heißt >Dividende<, der der Arbeit >Lohn<.«

      »Sehr richtig«, bemerkte der Bischof. »Und es ist kein Grund vorhanden, dass die Teilung nicht auf friedlichem Wege erfolgen sollte.«

      »Sie haben schon vergessen, worüber wir uns einig waren«, erwiderte Ernst. »Wir waren uns darüber einig, dass der Durchschnittsmensch selbstsüchtig ist. Er ist der Mensch der Tatsache. Sie sind ins Blaue geflogen und haben einen Unterschied zwischen den Menschen aufgestellt, wie sie sein sollten, aber nicht sind. Kehren Sie wieder auf die Erde zurück. Der Arbeiter, der selbstsüchtig ist, will bei der Teilung haben, was er bekommen kann. Der Kapitalist, der auch selbstsüchtig ist, will ebenfalls bei der Teilung haben, was er bekommen kann. Wenn es aber nur soundso viel zum Teilen gibt, und wenn zwei alles haben wollen, dann ist der Interessenkonflikt zwischen Arbeit und Kapital ein unversöhnlicher. Solange es Arbeiter und Kapitalisten gibt, werden sie sich über die Teilung streiten. Wenn Sie heute abend in San Franzisko wären, müssten Sie zu Fuß gehen. Dort fährt nicht eine Straßenbahn.«

      »Wieder Streik?« fragte der Bischof erschrocken. »Ja, sie streiten sich über die Verteilung des Gewinns der Straßenbahn.«

      Bischof Morehouse wurde erregt.

      »Es ist unrecht«, rief er. »Es ist so kurzsichtig von den Arbeitern. Wie können sie Sympathie von uns erwarten —« »Wenn wir gezwungen werden, zu Fuß zu gehen«, Ernst schmunzelte.

      Aber Bischof Morehouse beachtete ihn nicht und fuhr fort: »Ihr Horizont ist zu eng. Menschen sollten Menschen sein und keine wilden Tiere. Jetzt wird es wieder Gewalt und Mord, trauernde Witwen und Waisen geben. Kapital und Arbeit sollten Freunde sein. Sie sollten Hand in Hand zu gegenseitigem Nutzen arbeiten.«

      »Ach, jetzt schweben Sie wieder im Blauen«, bemerkte Ernst trocken. »Kommen Sie auf die Erde zurück. Vergessen Sie nicht: Wir waren uns einig, dass der Durchschnittsmensch selbstsüchtig ist.«

      »Aber er sollte es nicht sein«, rief der Bischof.

      »Da stimme ich mit Ihnen überein«, lautete Ernsts Erwiderung- »Er sollte nicht selbstsüchtig sein. Aber er wird es sein solange er unter einem sozialen System lebt, das auf einer Schweine-Ethik beruht.«

      Der Bischof war entsetzt, und mein Vater schmunzelte.

      »Ja, Schweine-Ethik«, fuhr Ernst unbarmherzig fort, »das ist das kapitalistische System. Und dafür tritt Ihre Kirche ein, die predigen Sie, so oft Sie die Kanzel besteigen. Schweine-Ethik! Es gibt keine andere Bezeichnung dafür.«

      Bischof Morehouse wandte sich flehend zu meinem Vater, aber der nickte lachend.

      »Ich fürchte, Herr Everhard hat recht«, sagte er. »Laissez-faire, die Unterlassungspolitik, jeder für sich, und den Rest soll der Teufel holen. Wie Herr Everhard neulich sagte, ist es die Aufgabe von euch Männern der Kirche, die bestehende Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten, und auf dieser Grundlage steht die Gesellschaft eben.«

      »Aber das ist nicht die Lehre Christi!« rief der Bischof.

      »Die heutige Kirche lehrt nicht Christus«, warf Ernst schnell ein. »Deshalb will der Arbeiter nichts mit der Kirche zu tun haben. Die Kirche sanktioniert die furchtbare Brutalität und Grausamkeit der Kapitalisten gegen die arbeitende Klasse.«

      »Die sanktioniert die Kirche nicht«, wandte der Bischof ein.

      »Jedenfalls protestiert die Kirche nicht dagegen«, erwiderte er. »Und wenn die Kirche nicht protestiert, sanktioniert sie; denn vergessen Sie nicht, dass die Kirche von der kapitalistischen Klasse unterhalten wird.«

      »In diesem Licht habe ich es noch nicht gesehen«, sagte der Bischof naiv. »Sie müssen unrecht haben. Ich weiß wohl, dass manches in dieser Welt hässlich und schlecht ist. Ich weiß, dass die Kirche das — das Proletariat, wie Sie es nennen, verloren hat.«

      »Sie haben das Proletariat nie gehabt«, rief Ernst. »Das Proletariat ist abseits von der Kirche und ohne sie entstanden.«

      »Ich verstehe Sie nicht«, sagte der Bischof verzagt.

      »Dann lassen Sie es mich Ihnen erklären. Mit der Einführung der Maschine und des Fabriksystems gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts wurde die große Masse der arbeitenden Bevölkerung heimatlos gemacht. Das alte Arbeitssystem war zusammengebrochen. Das arbeitende Volk wurde von seinen Dörfern vertrieben und in Fabrikstädten zusammengepfercht. Mütter und Kinder mussten an den neuen Maschinen arbeiten. Alles Familienleben hörte auf. Die Bedingungen waren furchtbar. Es ist eine blutige Geschichte.«

      »Ich weiß, ich weiß«, unterbrach Bischof Morehouse ihn mit schmerzlicher Miene. »Es war schrecklich. Aber das ist anderthalb Jahrhunderte her.«

      »Und damals, vor anderthalb Jahrhunderten entstand eben das moderne Proletariat«, fuhr Ernst fort. »Und die Kirche kümmerte sich nicht darum. Während die Kapitalisten aus der Nation ein Schlachthaus machten, blieb die Kirche stumm. Sie protestierte damals so wenig, wie sie es heute tut. Wie Austin Lewis, wenn er von jener Zeit spricht, sagt, haben die, an welche das Gebot >Weidet meine Lämmer< ergangen ist, ruhig zugesehen, wie diese Lämmer in die Sklaverei verkauft wurden und sich zu Tode arbeiten mussten. Damals war die Kirche stumm, und ehe ich fortfahre, bitte ich Sie, mir zu sagen, ob Sie mir recht geben oder nicht. War die Kirche damals stumm?«

      Bischof Morehouse zögerte. Wie Dr. Hammerfield war er einen solchen »Zusammenprall«, wie Ernst es nannte, nicht gewohnt.

      »Die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts ist geschrieben«, sagte Ernst schnell. »Wäre die Kirche nicht stumm, würde sie in den Büchern nicht schweigen.«

      »Ich fürchte, die Kirche war stumm«, gestand der Bischof.

      »Und die Kirche ist heute noch stumm.«

      »Da muss ich widersprechen«, sagte der Bischof.

      Ernst machte eine Pause, sah ihn forschend an und nahm dann die Herausforderung an.

      »Also schön«, sagte er. »Lassen Sie uns sehen. In Chikago gibt es Frauen, die die ganze Woche für nur neunzig Cents arbeiten. Hat die Kirche dagegen protestiert?«

      »Das ist mir ganz neu«, lautete die Antwort. »Neunzig Cents die Woche! Das ist ja schrecklich.«

      »Hat die Kirche dagegen protestiert?« beharrte Ernst.

      »Die Kirche weiß das nicht.« Der Bischof war offenbar in schwerer Bedrängnis.

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