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dem König volle Handlungsfreiheit verbliebe – das war das beau idéal, das Friedrich Wilhelm IV. zu verwirklichen sich vorgenommen und das er gegenwärtig erneut zu verwirklichen strebt.

      Es dauerte einige Zeit, bis die in theoretischen Fragen nicht sonderlich beschlagene preußische Bourgeoisie hinter den wirklichen Sinn der Absichten ihres Königs kam. Was sie aber sehr bald herausfand, war die Tatsache, daß er zu Dingen entschlossen war, die ihren Wünschen schnurstracks entgegengesetzt waren. Kaum war das Mundwerk des neuen Königs durch den Tod seines Vaters entfesselt, da fing er auch schon an, seine Absichten in Reden sonder Zahl kundzutun, und jede seiner Reden, jede seiner Handlungen war dazu angetan, ihm die Sympathien der Bourgeoisie noch mehr zu entfremden. Das hätte ihm wenig verschlagen, hätte es nicht einige harte, beunruhigende Tatsachen gegeben, die ihn in seinen poetischen Träumen störten. Ach, warum versteht sich die Romantik so schlecht aufs Rechnen, und warum macht der Feudalismus seit Don Quijote immer die Rechnung ohne den Wirt? Friedrich Wilhelm IV. hatte zu viel von jener Verachtung für bares Geld an sich, die seit jeher das vornehmste Erbe der Söhne der Kreuzfahrer gewesen ist. Er fand bei seiner Thronbesteigung ein wenn auch knauserig eingerichtetes, so doch kostspieliges Regierungssystem und einen mäßig gefüllten Staatsschatz vor. Innerhalb zweier Jahre war jede Spur eines Überschusses für höfische Feste, königliche Reisen, reiche Schenkungen, Unterstützungen an hungernde und lungernde, gierige und schmierige Adelige usw. vertan, und die regelmäßigen Steuereingänge reichten nicht mehr für die Bedürfnisse des Hofes noch die des Staates. Und so befand sich Seine Majestät sehr bald in der Klemme zwischen einem gähnenden Defizit auf der einen und einem Gesetz aus dem Jahre 1820 auf der anderen Seite, das jede neue Anleihe und jede Erhöhung der bestehenden Steuern ohne Zustimmung der »künftigen Volksvertretung« für ungesetzlich erklärte. Diese Volksvertretung existierte nicht; der neue König war noch weniger als selbst sein Vater geneigt, sie zu schaffen, und wenn er es gewesen wäre, so wußte er, daß die öffentliche Meinung seit seinem Regierungsantritt sich erstaunlich gewandelt hatte.

      In der Tat, die Bourgeoisie, die zum Teil erwartet hatte, der neue König werde sofort eine Verfassung gewähren, Pressefreiheit proklamieren, Schwurgerichte einführen usw. usf., kurz, sich selbst an die Spitze jener friedlichen Revolution stellen, die sie brauchte, um die politische Macht zu erlangen – die Bourgeoisie hatte ihren Irrtum erkannt und sich wütend gegen den König gewandt. In der Rheinprovinz und mehr oder minder in ganz Preußen war sie so erbittert, daß sie sich in der Ermangelung genügender eigener Leute, die fähig waren, sie in der Presse zu vertreten, bis zu einem Bündnis mit jener extremen philosophischen Richtung verstieg, von der wir oben gesprochen. Die Frucht dieses Bündnisses war die »Rheinische Zeitung« in Köln, ein Blatt, das nach fünfzehnmonatigem Bestehen unterdrückt wurde, von dem man aber den Beginn des modernen Zeitungswesens datieren kann. Das war im Jahre 1842.

      Der arme König, dessen geschäftliche Schwierigkeiten die schärfste Satire auf seine mittelalterlichen Neigungen waren, fand sehr bald heraus, daß er nicht weiter regieren könne, wenn er sich nicht zu einem geringfügigen Zugeständnis an die allgemeine laute Forderung nach jener »Volksvertretung« verstand, die als letzter Rest der längst vergessenen Versprechungen von 1813 und 1815 in dem Gesetz von 1820 Ausdruck gefunden hatte. Diesem lästigen Gesetz zu genügen, indem er die ständischen Ausschüsse der Provinziallandtage zusammenberief, hielt er für den annehmbarsten Weg. Die Einrichtung der Provinziallandtage stammte aus dem Jahre 1823. Sie waren in allen acht Provinzen des Königreiches zusammengesetzt: 1. aus dem Hochadel, den ehemals regierenden Häusern des deutschen Reiches, deren Häupter von Geburt Mitglieder des Landtages waren; 2. aus den Vertretern der Ritterschaft oder des niederen Adels; 3. aus Vertretern der Städte und 4. aus Abgeordneten der Bauernschaft oder der Klasse der kleinen Landwirte. Das Ganze war so eingerichtet, daß in jeder Provinz die beiden Gruppen des Adels immer die Mehrheit im Landtag hatten. Jeder dieser acht Provinziallandtage wählte einen Ausschuß, und diese acht Ausschüsse wurden nun nach Berlin berufen, um eine Volksvertretung zu bilden, die die so heiß begehrte Anleihe bewilligen sollte. Man erklärte, die Staatskasse sei gefüllt und die Anleihe werde nicht zur Deckung laufender Ausgaben benötigt, sondern für den Bau einer Staatseisenbahn. Doch die Vereinigten Ausschüsse antworteten dem König mit einer glatten Ablehnung, indem sie erklärten, sie seien nicht befugt als Vertreter des Volkes zu handeln, und sie forderten Seine Majestät auf, das Versprechen einer Repräsentativverfassung einzulösen, das sein Vater gegeben, als er der Hilfe des Volkes gegen Napoleon bedurfte.

      Die Tagung der Vereinigten Ausschüsse bewies, daß der oppositionelle Geist sich nicht mehr auf die Bourgeoisie beschränkte. Ein Teil der Bauernschaft hatte sich ihr angeschlossen und viele Adlige, die auf ihren eigenen Gütern selbst Großwirtschaft betrieben und mit Getreide, Wolle, Spiritus und Flachs handelten, hatten sich gleichfalls gegen die Regierung und für die Repräsentativverfassung ausgesprochen, da auch sie Garantien gegen den Absolutismus, die Bürokratie und die Restauration des Feudalsystems brauchten. Der Plan des Königs war völlig gescheitert; er hatte kein Geld bekommen und den Einfluß der Opposition gestärkt. Die folgende Tagung der Provinziallandtage selbst verlief noch unglücklicher für den König. Alle forderten sie Reformen, Erfüllung der Versprechungen von 1813 und 1815, eine Verfassung und Pressefreiheit; die diesbezüglichen Resolutionen einiger von ihnen führten eine recht respektlose Sprache, und die übellaunigen Antworten des aufgebrachten Königs machten den Schaden noch größer.

      Mittlerweile steigerten sich die finanziellen Schwierigkeiten der Regierung immer mehr. Durch widerrechtliche Verwendung von Mitteln, die für verschiedene öffentliche Einrichtungen bestimmt waren, und durch betrügerische Manipulationen mit der »Seehandlung«, einem kommerziellen Unternehmen, das auf Rechnung und Gefahr des Staates spekulierte und Handel trieb und für ihn seit langem als Geldmakler tätig war, gelang es eine Zeitlang, den Schein zu wahren; vermehrte Emissionen von staatlichem Papiergeld lieferten gleichfalls einige Mittel; und alles in allem wurde das Geheimnis recht gut gehütet. Aber diese Kunstgriffe waren bald alle erschöpft. Jetzt versuchte man es mit einem anderen Plan: der Gründung einer Bank, deren Kapital teils der Staat, teils private Aktionäre aufbringen sollten; die oberste Leitung sollte in den Händen des Staates liegen, um so der Regierung die Möglichkeit zu verschaffen, der Bank hohe Beträge zu entziehen und so die gleichen betrügerischen Manipulationen zu wiederholen, die mit der »Seehandlung« nicht länger möglich waren. Aber natürlich waren keine Kapitalisten zu finden, die ihr Geld unter solchen Bedingungen hergeben wollten; die Statuten der Bank mußten geändert und das Eigentum der Aktionäre gegen Übergriffe des Finanzministers gesichert werden, ehe Aktien gezeichnet wurden. Nachdem dieser Plan gescheitert war, blieb somit nichts anderes übrig, als es mit einer Anleihe zu versuchen – wenn Kapitalisten zu finden waren, die ihr Geld herliehen, ohne die Bewilligung und Garantie jener geheimnisvollen »künftigen Volksvertretung« zu verlangen. Man wandte sich an Rothschild, und der erklärte, wenn diese »Volksvertretung« die Anleihe garantiere, übernehme er sie auf der Stelle; wenn nicht, wolle er mit dem Geschäft nichts zu tun haben.

      So war jede Hoffnung, Geld zu erhalten, geschwunden, und es bestand keine Möglichkeit, der fatalen »Volksvertretung« zu entrinnen. Rothschilds Absage wurde im Herbst 1846 bekannt, und im Februar des nächsten Jahres berief der König alle acht Provinziallandtage nach Berlin, um aus ihnen einen »Vereinigten Landtag« zu bilden. Dieser Landtag sollte die Aufgabe bewältigen, die in dem Gesetz von 1820 für den Notfall vorgesehen war; er sollte Anleihen und erhöhte Steuern bewilligen, darüber hinaus aber keine Rechte haben. An der Gesetzgebung im allgemeinen sollte er nur beratend mitwirken; zusammentreten sollte er nicht in regelmäßigen Zeitabständen, sondern nur, wenn der König es für gut befand; diskutieren sollte er nur über Fragen, die ihm die Regierung vorzulegen geruhte. Natürlich waren die Mitglieder von der ihnen zugedachten Rolle wenig erbaut. Sie wiederholten die Wünsche, die sie bereits auf den Tagungen der Provinziallandtage bekanntgegeben hatten; ihre Beziehungen mit der Regierung spitzten sich bald heftig zu, und als man von ihnen die wieder mit der angeblichen Notwendigkeit von Eisenbahnbauten begründete Anleihe forderte, lehnten sie die Bewilligung abermals ab.

      Diese Abstimmung bereitete ihrer Tagung bald ein Ende. Immer mehr erbittert, schickte sie der König mit einem Tadel nach Hause, blieb aber nach wie vor ohne Geld. Und in der Tat hatte er alle Ursache, über seine Lage beunruhigt zu sein, wenn er sah, daß die liberale Partei, die unter Führung der Bourgeoisie stand, einen großen Teil des

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