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Aus meinem Leben - 2. Teil. August Bebel
Читать онлайн.Название Aus meinem Leben - 2. Teil
Год выпуска 0
isbn 9783966511681
Автор произведения August Bebel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Die Generalversammlung erklärt, da der Druck des Kapitals und der Reaktion in allen Kulturländern aus im wesentlichen gleichen Ursachen auf der Arbeiterklasse lastet und da die Bestrebungen der Arbeiter nur dann erfolgreich sein können, wenn sie einheitlich zusammenhängend in allen Kulturländern auftreten, ist es die Pflicht der deutschen Arbeiterpartei und der Arbeiterparteien aller Kulturländer, die von denselben Prinzipien geleitet werden, gemeinsam vorzugehen.«
Dieser Antrag wurde einstimmig angenommen. Aber wie radikal sich Schweitzer auch gebärdete, die Unzufriedenheit mit seiner Diktatur nahm zu. So beantragten die Erfurter Mitglieder: Schweitzer solle spezifizierte Rechnung ablegen über die Gelder, die er seit dem 1. Januar 1868 der Kasse entnommen habe. Der Vorstand solle die Abrechnung prüfen. Düsseldorf verlangte, daß Präsidium und Redaktion des Vereinsorgans getrennt würden, die Einrichtung könne leicht zu Despotismus führen; sie hätte bereits dazu geführt. Weiter waren lebhafte Klagen auf den vermiedenen Generalversammlungen laut geworden, daß die Redaktion des »Sozialdemokrat« ihr mißfallende Korrespondenzen unterdrücke, andere willkürlich ändere, ja fälsche. Ein Antrag, das Organ von seiten des Vereins zu übernehmen, wurde auf der Generalversammlung für untunlich, die Trennung der Redaktion vom Präsidium als unzweckmäßig erklärt. Dagegen wurde beschlossen, daß der vierundzwanzigköpfige Vorstand des Vereins, der in vielen Orten verteilt wohnte, konzentriert werden solle. Er wurde nach Hamburg verlegt. Das war der erste harte Schlag, der die Diktatur Schweitzers traf. Bei den Erörterungen hierüber machte er eine Mitteilung, durch die er sich wider Willen denunzierte. Er äußerte: »Dies wird unsere letzte Generalversammlung sein. Die Feindseligkeit der preußischen Regierung wird immer mehr hervortreten. Der Verein wird aufgelöst werden.« Und siehe da, kaum drei Wochen später löste die Leipziger Polizeibehörde, da der Verein in Leipzig seinen Sitz hatte, den Verein wegen der örtlichen Kassenverwaltungen auf, einer Einrichtung, die von Anfang an im Verein bestanden hatte.
Es ist ganz zweifellos, daß Schweitzer vorher von dieser Auflösung wußte, ja daß sie zwischen ihm und dem Berliner Polizeipräsidium verabredet war und die Leipziger Polizei auf Wunsch von Berlin den Verein auflöste. Natürlich unterließ unter so bewandten Umständen Schweitzer jede Beschwerde gegen das Vorgehen der Leipziger Polizei bei Kreishauptmannschaft und Ministerium. Schweitzer schloß seinen bezüglichen Artikel, worin er die Auflösung besprach, mit den Worten:
»Wir fügen uns einfach darum, weil es nach Lage der Dinge das Vernünftigste ist, was wir tun können. Daher erkläre auch ich andurch:
'Der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein hat sich aufzulösen...' Arbeiter in ganz Deutschland! Wir stehen heute am Grabe des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins.
Aber der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein lebt unter uns fort.
So stehen wir auch am Grabe Lassalles; er selbst aber weilt noch unter uns.
Daß unser Verein aufgelöst wurde, gereicht ihm, gereicht uns zur Ehre. Der Verein hat seine Schuldigkeit getan für die Arbeitersache – darum wurde er aufgelöst.
Die alte Form ist gefallen – wir werden neue Formen für die Betätigung unseres Strebens zu finden wissen.«
Dann dankt er für das ihm geschenkte Vertrauen.
»Wir haben gemeinsam gekämpft und gelitten – wir werden auch in Zukunft gemeinsam kämpfen und leiden.«
So auf die Rührseligkeit spekulierend, rührte er die Mitglieder zu Tränen, und sie vertrauten ihm weiter.
Wäre es die Feindseligkeit der preußischen Regierung gegen den Verein gewesen, wie Schweitzer wider besseres Wissen schrieb, dann war es jetzt seine Pflicht und Schuldigkeit, den Verein dem Einfluß der preußischen Regierung nach Möglichkeit zu entziehen, zum Beispiel dessen Sitz nach Hamburg zu verlegen, dessen Vereins- und Versammlungsgesetz kein Verbindungsverbot kannte. Außerdem hatte der Verein in Hamburg-Altona seine stärkste Mitgliedschaft, die für die Finanzen des Vereins wie für das Blatt das eigentliche Rückgrat bildete. Auch fehlte es in Hamburg nicht an geistigen Kräften. Statt dessen gründete Schweitzer den neuen Verein unter den Augen der Berliner Polizei, und Berlin wurde dessen Sitz. In Preußen bestand aber das Verbindungsverbot so gut wie in Sachsen, und außerdem verlangte das damalige preußische Vereins- und Versammlungsgesetz, daß die Mitgliederlisten des Vereins aus ganz Deutschland bei dem Polizeipräsidium eingereicht werden mußten. Und wiederum verriet er seine Beziehungen zum Berliner Polizeipräsidium und sein Einverständnis mit der Auflösung, indem er in Nr. 119 des »Sozialdemokrat« sagte:
»Man habe Berlin als Sitz der Partei gewählt, damit die Polizei fortwährend Gelegenheit habe, sich davon zu überzeugen, daß die Partei ihre Agitation auf Grund und in Gemäßheit der bestehenden Gesetze betreibe.«
Wie rührend folgsam gegen die liebe Polizei von der Leitung einer demokratischen Partei!
Wenn je die innige Verbindung zwischen Schweitzer und dem Berliner Polizeipräsidium nachgewiesen werden konnte, so jetzt. Aber nicht allein, daß der Verein nunmehr unter die Kontrolle des Berliner Polizeipräsidiums kam, Schweitzer benutzte auch die Neugründung, um die ihm unbequemen Beschlüsse der Hamburger Generalversammlung aus der Welt zu schaffen und durch die neue Organisation seine Diktatur unumschränkter denn je zuvor zu befestigen. Er verkündete den neuen Plan mit den Worten:
»Jedenfalls wird dafür gesorgt werden, daß die Einheitlichkeit der Partei durch ganz Deutschland gewahrt werde. Denn diese Einheitlichkeit ist unser bestes Kleinod – sie ist der Grundgedanke der Lassalleschen Organisation, und von dieser werden wir niemals abgehen.«
So mußte also die beständige Berufung auf Lassalle dazu dienen, seine Autorität aufrecht zu erhalten und den Mitgliedern Sand in die Augen zu streuen.
Die neue Vereinsgründung fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt in einem kleinen Kreise Auserwählter, die mit ihm durch dick und dünn gingen. Das neue Statut enthielt geradezu ungeheuerliche Bestimmungen. So sollte der Präsident sechs Wochen vor der ordentlichen Generalversammlung in Urabstimmung durch die Mitglieder des Vereins gewählt werden, also ehe noch die Generalversammlung gesprochen und dessen Geschäftsführung geprüft hatte. Ein Mißtrauensvotum auf der Generalversammlung war dann wirkungslos, ebenso eine unliebsame Kritik seiner Tätigkeit. Ferner besagte §5 der Statuten:
»Wenn der Präsident es für dringlich hält, so kann er, vorbehaltlich der in drei Monaten einzuholenden Genehmigung des Vorstandes, alle Anordnungen treffen.«
Der Vorstand selbst sollte, im Gegensatz zu den Beschlüssen der Hamburger Generalversammlung, wieder über ganz Deutschland verteilt wohnen. Die Generalversammlung sollte eine Statutenänderung nur dann vornehmen können (§7), wenn ein solcher Antrag von 60 Mitgliedern unterzeichnet und drei Monate vor der Generalversammlung beim Vorstand eingereicht worden war. Wo und wie der Verein aufs neue gegründet wurde, darüber hat man nie Sicheres erfahren. Aber die Polizei mußte davon unterrichtet sein, sonst hätte sie den Verein nicht anerkannt. Der organisierte Arbeiter unserer Zeit wird sich bei dem Lesen solcher Vorgänge fragen, wie denn dergleichen möglich gewesen sei und ob denn nicht die ungeheure Mehrheit der Mitglieder des Vereins sich wie ein Mann erhob und gegen solche Ungeheuerlichkeiten protestierte, den Urheber derselben aber sofort von seinem Posten entfernte? Von alledem keine Spur. Mit seinem Blatte beherrschte Schweitzer absolut den Verein; jeder, der wagte aufzumucken, dessen Beschwerde flog in den Papierkorb, und wer in einer Versammlung austrat, der wurde als Verräter an dem Kleinod der Lassalleschen Organisation gebrandmarkt und mit dem Bann belegt. Im Verein war er tot. Ließ aber jemand sich merken, daß er mit Liebknecht und mir sympathisiere, so galt dieses selbst in den Augen der meisten Mitglieder als ein Verbrechen, womöglich größer als Blutschande oder Mord. Das war die Folge der systematisch von ihm betriebenen Verhetzung.
Doch die Umwandlung in den Anschauungen vollzog sich bei einem Teil der Vereinsmitglieder rascher, als wir damals selbst für wahrscheinlich hielten.
Unter dem 26. November 1868 veröffentlichte Schweitzer einen langen Aufruf in dem mittlerweile seit dem 10. Oktober vergrößerten »Sozialdemokrat«, der damals 3400 Abonnenten hatte, in welchem er seine Ansicht über die Finanzlage des Vereins darlegte, die durch