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innerhalb ihrer eignen Gruppe zu nehmen. MacLennan nennt die ersteren exogam, die zweiten endogam, und konstruirt nun ohne Weiteres einen starren Gegensatz zwischen exogamen und endogamen »Stämmen.« Und obwohl seine eigne Untersuchung der Exogamie ihn mit der Nase darauf stößt, daß dieser Gegensatz in vielen, wo nicht den meisten oder gar allen Fällen nur in seiner Vorstellung besteht, so macht er ihn doch zur Grundlage seiner gesammten Theorie. Exogame Stämme können hiernach ihre Frauen nur von andern Stämmen beziehen; und bei dem der Wildheit entsprechenden permanenten Kriegszustand zwischen Stamm und Stamm habe dies nur geschehn können durch Raub.

      MacLennan fragt nun weiter: Woher diese Sitte der Exogamie? Die Vorstellung der Blutsverwandtschaft und Blutschande könne nichts damit zu thun haben, das seien Dinge, die sich erst viel später entwickelt. Wohl aber die unter Wilden vielverbreitete Sitte, weibliche Kinder gleich nach der Geburt zu tödten. Dadurch entstehe eine Ueberschuß von Männern in jedem einzelnen Stamm, dessen nothwendige nächste Folge sei, daß mehrere Männer eine Frau in Gemeinschaft besäßen: Vielmännerei. Die Folge hiervon sei wieder, daß man wußte, wer die Mutter eines Kindes war, nicht aber, wer der Vater, daher: Verwandtschaft gerechnet nur in der weiblichen Linie mit Ausschluß der männlichen – Mutterrecht. Und eine zweite Folge des Mangels an Frauen innerhalb des Stammes – ein Mangel, gemildert, aber nicht beseitigt durch die Vielmännerei – war eben die systematische, gewaltsame Entführung von Frauen fremder Stämme. »Da Exogamie und Vielmännerei aus einer und derselben Ursache entspringen – dem Mangel der Gleichzahl zwischen beiden Geschlechtern – müssen wir alle exogamen Racen als ursprünglich der Vielmännerei ergeben ansehn. .... Und deshalb müssen wir es für unbestreitbar ansehn, daß unter exogamen Racen das erste Verwandtschaftssystem dasjenige war, welches Blutbande nur auf der Mutterseite kennt.« (MacLennan, Studies in Ancient History. 1886. Primitive Marriage, p. 124.)

      Es ist das Verdienst MacLennan's, auf die allgemeine Verbreitung und große Bedeutung dessen, was er Exogamie nennt, hingewiesen zu haben. Entdeckt hat er die Thatsache der exogamen Gruppen keineswegs, und verstanden hat er sie erst recht nicht. Von früheren, vereinzelten Notizen bei vielen Beobachtern – eben den Quellen MacLennan's – abgesehn, hatte Latham ( Descriptive Ethnology, 1859) diese Institution bei den indischen Magars genau und richtig beschrieben und gesagt, daß sie allgemein verbreitet sei und in allen Welttheilen vorkomme – eine Stelle, die MacLennan selbst anführt. Und unser Morgan hatte sie ebenfalls bereits 1847 in seinen Briefen über die Irokesen (im American Review) und 1851 in The League of the Iroquois bei diesem Volksstamm nachgewiesen und richtig beschrieben, während, wie wir sehn werden, der Advokatenverstand MacLennan's hier eine weit größere Verwirrung angerichtet hat, als Bachofen's mystische Phantasie auf dem Gebiet des Mutterrechts. Es ist MacLennan's ferneres Verdienst, die mutterrechtliche Abstammungsordnung als die ursprüngliche erkannt zu haben, obwohl ihm, wie er später auch anerkennt, Bachofen hier zuvorgekommen war. Aber auch hier ist er nicht im Klaren; er spricht stets von »Verwandtschaft nur in weiblicher Linie« ( kinship of females only) und wendet diesen für eine frühere Stufe richtigen Ausdruck fortwährend auch auf spätere Entwicklungsstufen an, wo Abstammung und Vererbung zwar noch ausschließlich nach weiblicher Linie gerechnet, aber Verwandtschaft auch nach männlicher Seite anerkannt und ausgedrückt wird. Es ist die Beschränktheit des Juristen, der sich einen festen Rechtsausdruck schafft und diesen unverändert fort anwendet auf Zustände, die ihn inzwischen unanwendbar gemacht.

      Bei all ihrer Plausibilität, scheint es, kam die Theorie MacLennan's doch ihrem eignen Verfasser nicht zu fest gegründet vor. Wenigstens fällt ihm selbst auf, es sei »bemerkenswerth, daß die Form des [scheinbaren] Frauenraubs am ausgeprägtesten und ausdrucksvollsten ist grade bei den Völkern, wo männliche Verwandtschaft [soll heißen Abstammung in männlicher Linie] herrscht.« (S. 140.) Und ebenso: »Es ist eine sonderbare Thatsache, daß, soviel wir wissen, der Kindermord nirgendswo systematisch betrieben wird, wo die Exogamie und die älteste Verwandtschaftsform neben einander bestehn.« (S. 146.) Beides Thatsachen, die seiner Erklärungsweise direkt in's Gesicht schlagen, und denen er nur neue, noch verwickeltere Hypothesen entgegenhalten kann.

      Trotzdem fand seine Theorie in England großen Beifall und Anklang: MacLennan galt hier allgemein als Begründer der Geschichte der Familie und als erste Autorität auf diesem Gebiet. Sein Gegensatz von exogamen und endogamen »Stämmen,« so sehr man auch einzelne Ausnahmen und Modifikationen konstatirte, blieb doch die anerkannte Grundlage der herrschenden Anschauungsweise, und wurde die Scheuklappe, die jeden freien Ueberblick über das untersuchte Gebiet und damit jeden entscheidenden Fortschritt unmöglich machte. Der in England und nach englischem Vorbild auch anderswo üblich gewordenen Ueberschätzung MacLennan's ist es Pflicht, die Thatsache entgegenzuhalten, daß er mit seinem rein mißverständlichen Gegensatz von exogamen und endogamen »Stämmen« mehr Schaden angerichtet, als er durch seine Forschungen genützt hat.

      Indeß kamen schon bald mehr und mehr Thatsachen an's Licht, die in seinen zierlichen Rahmen nicht paßten. MacLennan kannte nur drei Formen der Ehe: Vielweiberei, Vielmännerei und Einzelehe. Als aber einmal die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt gelenkt, fanden sich mehr und mehr Beweise, daß bei unentwickelten Völkern Eheformen bestanden, worin eine Reihe von Männern eine Reihe von Frauen gemeinsam besaßen; und Lubbock ( The origin of Civilization, 1870) erkannte diese Gruppenehe ( Communal marriage) als geschichtliche Thatsache an.

      Gleich darauf, 1871, trat Morgan mit neuem und in vieler Beziehung entscheidendem Material auf. Er hatte sich überzeugt, daß das bei den Irokesen geltende, eigentümliche Verwandtschaftssystem allen Ureinwohnern der Vereinigten Staaten gemeinsam, also über einen ganzen Kontinent verbreitet sei, obwohl es den Verwandtschaftsgraden, wie sie sich aus dem dort geltenden Ehesystem thatsächlich ergeben, direkt widerspricht. Er bewog nun die amerikanische Bundesregierung, auf Grund von ihm selbst aufgesetzter Fragebogen und Tabellen Auskunft über die Verwandtschaftssysteme der übrigen Völker einzuziehn, und fand aus den Antworten, 1) daß das amerikanisch-indianische Verwandtschaftssystem auch in Asien, und in etwas modifizirter Form in Afrika und Australien bei zahlreichen Volksstämmen in Geltung sei, 2) daß es sich vollständig erkläre aus einer, in Hawaii und andern australischen Inseln eben im Absterben begriffenen Form der Gruppenehe, und 3) daß aber neben dieser Eheform auf denselben Inseln ein Verwandtschaftssystem in Geltung sei, das sich nur durch eine noch urwüchsigere, jetzt ausgestorbne Form der Gruppenehe erklären lasse. Die gesammelten Nachrichten nebst seinen Schlußfolgerungen daraus veröffentlichte er in seinen Systems of Consanguinity and Affinity, 1871, und führte damit die Debatte auf ein unendlich umfassenderes Gebiet. Indem er, von den Verwandtschaftssystemen ausgehend, die ihnen entsprechenden Familienformen wieder konstruirte, eröffnete er einen neuen Forschungsweg und einen weiter reichenden Rückblick in die Vorgeschichte der Menschheit. Erhielt diese Methode Geltung, so war die niedliche Konstruktion MacLennan's in Dunst aufgelöst.

      MacLennan vertheidigte seine Theorie in der Neuauflage von Primitive Marriage (Studies in Ancient History, 1875). Während er selbst eine Geschichte der Familie aus lauter Hypothesen äußerst künstlich kombinirt, verlangt er von Lubbock und Morgan nicht nur Beweise für jede ihrer Behauptungen, sondern Beweise von der unanfechtbaren Bündigkeit, wie allein sie in einem schottischen Gerichtshof zugelassen werden. Und das thut derselbe Mann, der aus dem engen Verhältniß zwischen Mutterbruder und Schwestersohn bei den Deutschen ( Tacitus Germania c. 20), aus Cäsars Bericht, daß die Briten, je zehn oder zwölf ihre Frauen gemeinsam haben, und aus allen anderen Berichten der alten Schriftsteller über Weibergemeinschaft bei Barbaren ohne Zaudern den Schluß zieht, bei allen diesen Völkern habe Vielmännerei geherrscht! Man meint einen Staatsanwalt zu hören, der sich bei Zurechtmachung seines Falls jede Freiheit erlauben kann, der aber vom Vertheidiger für jedes Wort den formellsten juristisch gültigen Beweis beansprucht.

      Die Gruppenehe sei eine pure Einbildung, behauptet er, und fällt damit weit hinter Bachofen zurück. Die Verwandtschaftssysteme bei Morgan seien bloße Vorschriften gesellschaftlicher Höflichkeit, bewiesen durch die Thatsache, daß die Indianer auch einen Fremden, Weißen, als Bruder oder Vater anreden. Es ist, als wollte man behaupten, die Bezeichnungen Vater, Mutter, Bruder, Schwester seien bloße sinnlose Anredeformen, weil katholische Geistliche und Aebtissinnen ebenfalls mit Vater und Mutter, Mönche und Nonnen, ja selbst Freimaurer und englische Fachvereinsgenossen in solenner Sitzung,

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