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müsste umgekehrt die Frage gestellt werden, weshalb Diminutiva eigentlich (schon immer?) Neutra bilden und weshalb Junglebewesen so häufig in den Diminutiv geraten (denkbar ist nämlich, dass die – heute verblasste – DiminutionDiminution genau deshalb gewählt wurde, weil sie zu „passenden“ Neutra führt). Auf das berühmte Neutrum WeibWeib gehen wir in Kap. 4.2.6 ein.

      Auch bei den NutztierenNutztiere, deren Ausbeute für uns maßgeblich von deren Geschlecht abhängt, setzt sich die Genus-Sexus-Verschränkung fort, allerdings bei immer mehr Abweichungen (z.B. ist das Huhn weiblich und die Drohne männlich). Auch kommt es bei höheren Nutztieren (aber niemals beim Menschen, abgesehen von Kind) zu geschlechtsneutralen Oberbegriffen im Neutrum: das Rinddie Kuh3 – der Stier/Bulle; das Pferddie Stuteder Hengst/Wallach; das Schweindie Sauder Eber.

      

Pusch (1984) schlug schon früh die konsequente Nutzung der drei Genera ungefähr wie bei den NutztierenNutztiere gesehen vor, wobei ein und demselben Lexem drei Genera zukommen sollten: das Student (geschlechtsneutral) – die Student (wl.) – der Student (ml.). Dies erspart u.a. die (Nachrangigkeit indizierende) Movierung. Doch hatte dieser Vorschlag, wie Pusch selbst einwendete, aus verschiedenen Gründen wenig Aussicht auf Akzeptanz. Daher wurde die Sichtbarmachung von Frauen durch Femininisierungen zum Programm, was bereits zu Sprachwandel geführt hat. Einen anderen Entwurf, der Genus aufgibt, unterbreitet Matthias Behlert, zit. in Pusch (1999, 23–27). In diesen Einheitsparadigmen werden frühere Feminin- und Maskulinformen so rekombiniert, dass Kasussynkretismen beseitigt werden.

      Bei den Säugetieren lockert sich dieses Genus-Sexus-Band immer mehr, denn hinter einem Hund oder einer Katze können sich beide Geschlechter verbergen – auch wenn ein Hund präferentiell männlich und eine Katze (oder eine Taube) weiblich assoziiert ist (zu der sich der Kater bzw. der Täuberich gesellt).4 Umgekehrt kann man, da das feminine Lexem zwar eine weibliche Schlagseite hat, doch auch geschlechtsneutral lesbar ist, Kätzin und Täubin (oder Katzen- bzw. Taubenweibchen) bilden (Doleschal 1992, 25). Bei der GenuszuweisungGenuszuweisung von Säugetieren spielen zunehmend Geschlechtsstereotype herein, die Katzen und Vögel präferentiell als weiblich und große TiereTiere bzw. Raubtiere wie Hunde, Löwen, Tiger, Elefanten als männlich konzipieren. Die Tatsache, dass man ggf. beide Geschlechter ausflaggen kann (Hundemännchen/Hundweibchen, Elefantenbulle/Elefantenkuh), zeigt, dass dieses Genus-Sexus-Band nur noch lose ist. Wie Doleschal (1992, 25) feststellt, lassen sich genus- und stereotypeninduzierte tierische Geschlechtserwartungen streichen, nicht aber menschliche: Der Hund da drüben ist ein Weibchen vs. *der Lehrer da drüben ist eine Frau. Ebenso wirkt es bei Tieren nicht tautologisch, das erwartete Geschlecht zu explizieren: Der Hund da drüben ist ein Männchen (oder Rüde) vs. *der Lehrer da drüben ist ein Mann. Humane Maskulina in spezifischer Verwendung werden männlich gelesen im Gegensatz zu animalischen (abgesehen von zentralen NutztierenNutztiere).5 Entsprechendes gilt auch für Feminina: Humane wie DameDame, Nonne, Tante werden weiblich gelesen, animalische wie Katze und noch mehr Kröte, Amsel, Spinne nicht zwingend.

      Bei Nicht-Säugetieren („andere TiereTiere“ in Abb. 4-2) reißt das Genus-Sexus-Band schließlich ab: Feminina wie die Kröte, die Spinne oder Maskulina der Frosch, der Dorsch wecken keinerlei proto- oder stereotype Geschlechtserwartungen mehr, ebensowenig Bezeichnungen von Pflanzen, Objekten, Stoffen und Abstrakta.6 Auch wirken Neutra (Krokodil, Neunauge, Kraut) hier weder degradierend noch desexuierend. Dieser gesamte Genus-Sexus-Komplex auf der Achse abnehmender AnimatizitätBelebtheitshierarchie ist noch unzureichend erforscht und stellt ein wichtiges Desiderat dar (das sich korpusbasiert sehr gut untersuchen lässt), denn von den Rändern her lassen sich Determinanten, Gültigkeit und Reichweite von Prinzipien am klarsten erkennen.

      Merkwürdigerweise bestreiten selbst LinguistInnen immer wieder diese evidenten Genus-Sexus-Korrespondenzen, die ausschließlich für die höhere Belebtheitsdomäne beansprucht werden (Menschen und teilweise NutztiereNutztiere). So liest man etwa in der Rubrik „grammis“ des Instituts für deutsche Sprache: „Dennoch weiß natürlich jedes Kind, dass das Genus, das grammatische Geschlecht, und der Sexus, das biologische Geschlecht, keineswegs immer übereinstimmen: ‚Oder glaubt einer, alle Igel seien männlich und alle Fliegen weiblich? Wir wissen schon Bescheid, aber es interessiert uns eben nicht‘ (Heringer 1995, 208)“ (Donalies 2008). Belege für Abweichungen von diesem Prinzip werden immer da gesucht, wofür es keine Geltung beansprucht, nämlich bei schwach belebten TierenTiere und gar unbelebten Objekten. Die folgenden Kapitel zeigen, dass die vermeintliche Genusarbitrarität in der Belebtheitsdomäne noch viel geringer ist als gemeinhin vermutet.

      Abgesehen von der Genus-Sexus-Frage machen Köpcke/Zubin (1996, 484) eine weitere interessante Beobachtung (die ebenfalls noch ihres detaillierten und statistisch abgesicherten Nachweises harrt), wonach Lexeme für Menschen und menschenähnliche TiereTiere das Maskulinum als Default-Genus präferieren (Abb. 4-3). Sie entdecken bei Bezeichnungen von Menschen über solche von Säugern und Vögeln bis hin zu Insekten und amorphen Weichtieren ein sog. ethnozoologisches (oder anthropozentrisches) KontinuumAnthropozentrismus, bei dem zunächst das Maskulinum dominant ist. Dieses wird sukzessive vom Femininum abgelöst und schließlich ersetzt. Dem Neutrum kommt eine periphere Position zu (die in Abb. 4-3 nicht enthalten ist).

      Abb. 4-3: Das ethnozoologische Kontinuum und sein Genusbezug (nach Köpcke/Zubin 1996)

      Nach Köpcke/Zubin (1996) gilt: Je menschenähnlicher das Tier, desto eher wird ihm das Maskulinum zugewiesen – je größer die Distanz zum Menschen, desto eher das Femininum. Beim Menschen selbst manifestiere sich dieses Prinzip im sog. generischen Maskulinum, demzufolge Gattungsbezeichnungen für bestimmte Menschenklassen (Zeugen, Nachbarn, Athleten), bei denen kein Bezug auf das Geschlecht erfolgt, im Maskulinum stehen. Da das generische Maskulinum, wie wir in Kap. 5 erfahren werden, weniger Menschen als (erwachsene) Männer bezeichnet, ist dieses Kontinuum in Wirklichkeit nicht anthropozentrisch, sondern androzentrisch organisiertAndrozentrismus.

      Allerdings gibt es auch sehr wirkmächtige formale GenuszuweisungsprinzipienGenuszuweisung – etwa dass Zweisilber auf -e [ǝ] dominant feminin und solche auf -er [ɐ] dominant maskulin sind –, die die semantischen („anthropozentrischen“)Anthropozentrismus Prinzipien durchkreuzen. Umso aussagekräftiger ist es, wenn formale Prinzipien vom semantischen gebrochen, d.h. aus den Angeln gehoben werden, wie dies einerseits für der Affe, der Löwe, andererseits für die Viper, die Natter gilt: Hier steuert allein die Nähe zum Menschen die Genuszuweisung, sie überschreibt dabei die Formregel. Dass diese Skala eine kognitive und keine streng biologisch-taxonomische ist, zeigt etwa, dass die dominant femininen Schlangen von den anderen Reptilien separiert zu werden scheinen: Äußerlich können Schlangen z.B. Würmern ähnlicher sein als Krokodilen. Bemerkenswert ist die schon Kap. 4.2.3 erwähnte Krake, die noch zwischen beiden Genera schwankt und zunehmend feminin wird. Im Fall von Gottesanbeterin ist das Femininum sogar morphologisch abgesichert. Viele Feminina gehen auf relativ späten (frühnhd.) Genuswechsel zurück, wo sich dieses ethnozoologische Kontinuum kognitiv-linguistisch etabliert zu haben scheint. Vor allem kam es zum Wechsel maskulin > feminin, „darunter nicht wenige Bezeichnungen von niederen Tieren“ (Paul 1917/1968, § 55) wie z.B. bei der > die Schlange, Blindschleiche, Ammer, Schnepfe, Grille, Heuschrecke, Schnake, Schnecke, Made, Drohne (!).7 Auch komplett Unbelebtes wanderte zu den Feminina (Brille, Diele, Flocke). Es wurde somit kräftig umklassifiziert (Köpcke 2000a; Paul 1917/1968, §§ 55–66). Dass kaum bewegungs- und steuerungsfähige, inagentive, menschenunähnliche Wesen (und Gegenstände) so femininaffin sind, dürfte genderstereotyp und damit sozial induziert sein und auf eine historisch

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