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stärkere Modulationen (Stimmgrundfrequenzschwankungen, Tonhöhenbewegungen) vornehmen als Männer. Diese Schwankungen werden durch eine stimmlose sog. Knarrstimme (creaky voice) unterstützt, bei der die StimmeStimme auf unter 150 Hz abstürzt. So wird der „Singsang“ oder auch das Zerdehnen („tschühüüüs!“), was Emotionalität und Expressivität, aber keine Autorität vermittelt und an die Impulsivität von Kindern erinnert, von mehreren Seiten her bedient und abgesichert. Diese Zutaten machen das doing gender durch StimmeStimme besonders offenkundig. Doing gender wird schon früh erlernt und es erklärt, weshalb man auch Kinderstimmen lange vor dem Stimmbruch ein Geschlecht zuweisen kann. Hinzu kommt, dass schon kleine Mädchen erhöhte Stimmgrundfrequenzen praktizieren. Graddol/Swann (1989, 25) berichten von einer (nicht-repräsentativen) Studie über einjährige Kinder, die ihre Stimmhöhe imitierend an ihr Gegenüber anpassen, je nachdem, ob sie mit ihrem Vater (tiefer) oder ihrer Mutter (höher) sprechen. (Zu prosodischen Geschlechterunterschieden in Europa und den USA s. Graddol/Swann 1989, 12–40 und Klann-Delius 2005, 39ff.).

      3.1.3 Äußerungsfinale Tonverläufe und weitere Merkmale

      Normalerweise sinkt die StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz zum Äußerungsende hin ab (terminaler Verlauf) – es sei denn, die Äußerung wird fortgesetzt, dann bleibt sie gleich oder geht leicht nach oben (progredienter Verlauf). Bei einer Frage geht sie sogar steil nach oben (interrogativer Verlauf) (Moosmüller 2002, 121). Hier eröffnet sich eine große Plattform für doing gender, indem Frauen – früher noch mehr als heute – ihre Äußerungen häufig mit steigendem Verlauf beenden, was zum einen die generelle Stimmgrundfrequenz erhöht, zum anderen eine Feststellung als Frage wirken und der Äußerung insgesamt Unsicherheit zukommen lässt („Klein-Mädchen-StimmeStimme“ nach Moosmüller 2002, 127, die auch Diagramme für diese Phänomene liefert, u.a. für eine Frauenstimme mit max. 344, min. 220 und durchschnittlich 250 Hz). Im Berufsleben sind nach Moosmüller (2002, 128) dagegen monotonere und tiefere Frauenstimmen anzutreffen.

      Für das Englische liegen mehr Untersuchungen vor. In Kap. 7 thematisieren wir ein prosodisches Phänomen, das mit einem syntaktischen (der Stellung von Nebensätzen) kombiniert wird und bei Frauen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Gegenüber den sog. Turn (die Redesequenz) übernimmt. Männer tun das weniger und sichern sich dadurch eher das Rederecht.

      Männliche Stimmverläufe werden deutlich monotoner gestaltet. Insgesamt manifestiert sich die VerkinderungVerkindlichungVerkinderungVerkindlichung von Frauen (Goffman 1979, 1981) sprachlich nirgendwo so deutlich wie in ihrer StimmeStimme (zur Eltern-Kind-Metaphorisierung der Paarbeziehung in der Werbung s. Kap. 14.2.3.). Ob und wie stark durch äußerungsfinale Gestaltungen auch Männerstimmen zusätzlich genderisiert werden, ist unzureichend erforscht.

      An weiteren Merkmalen können Lautstärke, Sprechtempo und Wechsel des Stimmverlaufs ebenfalls Gender indizieren. Dabei wird (in Europa und Amerika) die emotionalere, unsicherer bzw. kindlicher wirkende Variante mit Weiblichkeit assoziiert. Stimmqualitäten kommen ebenfalls zum Einsatz. Die oben erwähnte Knarrstimme (creaky voice) tritt bei Männern eher äußerungsfinal auf und ist dort mit Männlichkeit assoziiert. Behauchte StimmeStimmen (breathy voice) sind dagegen bei Frauenstimmen v.a. im Fernsehen und in der RadiowerbungRadiowerbung anzutreffen und suggerieren Entspanntheit, auch Erotik. Alles in allem liegt der Schluss nahe, dass gerade weil die StimmenStimme von Frauen und Männern natürlicherweise so ähnlich sind, es in geschlechtsgläubigen Gesellschaften umso dringlicher ist, sie möglichst über mehrere Verfahren des doing gender voneinander zu distanzieren, wenn nicht zu polarisieren. Alle diese geschlechtsdifferenzierenden Ausgestaltungen werden in Fernsehen, Radio und v.a. in der Werbung besonders stark dramatisiert (Kap. 14).

      3.1.4 Die Singstimme und ihre Genderisierung

      Lehrbücher zur Gesangspädagogik, so Grotjahn (2011), unterteilen die Singstimme zuerst nach Geschlecht. Ginge es nur um Tonhöhe, so könnte man auch ältere und jüngere Stimmen differenzieren. Da jedoch nichts für so natürlich gehalten wird wie ein stimmlicher Geschlechtsunterschied, muss der natürliche und beträchtliche Überschneidungsbereich zwischen Frauen- und Männerstimmen gebannt und die Stimmbinarität vergrößert (polarisiert) werden (boundary makingboundary making). Auch unterschiedliche Gesangstechniken tragen zur Konstruktion des Stimmgeschlechts bei und wurden naturalisiert.

      Bis ca. 1800 sangen Männerstimmen in Alt- oder gar Sopranlage, entweder mit Kopfstimme (Falsett) oder als Kastraten, da es Frauen in der Kirchenmusik und teilweise auch im Theater verboten war, aufzutreten. Außerdem gab es in der Barockoper, so Grotjahn (2011), keinen Unterschied zwischen Stimmhöhe und Geschlecht, denn die hohe StimmeStimme stand weniger für Weiblichkeit als „für Göttlichkeit, StatusStatus (sozialer) und Jugend“ (ebd., 148). Damit war sie für männliche Sänger statthaft. Die hohe StimmeStimme vertrat männliche wie weibliche Götter, Liebhaber, Helden. Wenn aber Ammen als fraglos weibliche, doch statusniedrige Personen vertont wurden, dann als Tenorpartien, die von Männern gesungen wurden. „Niedrige“ StimmenStimme (Tenor, Bass) ikonisierten „niedrigen“ Stand und höheres Alter. Die Stimme war also weniger genderisiert als stratifiziert und Index für Altersklassen.

      Das änderte sich im 19. und 20. Jh. gründlich. Vor allem zwischen 1830 und 1930 wurde die StimmeStimme genderisiert – und damit galt es zuvörderst, den jetzt irritierenden Überschneidungsbereich zwischen Alt und Tenor zu trennen. Der Belcanto als besonders hoher Tenor wirkte nun unmännlich und wurde durch ein anderes, tieferes und mit Bruststimme realisiertes Tenorideal ersetzt. Im Gegenzug wurde die tiefe weibliche StimmeStimme, die (‚kräftige‘) Bruststimme geächtet (sie kommt heute nur im Pop- und Musicalgesang vor), indem sie als zu männlich und auch als Gefahr für die weibliche StimmeStimme erklärt wurde.

      Um die Trennlinie zwischen Tenor und Alt noch stärker zu profilieren, kamen klangliche Differenzierungen hinzu, und zwar vor allem die „Koloratur als Symbol für Weiblichkeit“: „Halsbrecherisches wie die Partien einer König der Nacht aus Mozarts ‚Zauberflöte‘ […] wird Tenören oder gar Baritönen und Bässen kaum abverlangt“ (Grotjahn 2011, 150). Diese neue Stimmästhetik der Beweglichkeit ist keine Frage der Stimmhöhe als vielmehr der Technik; sie konstruiert nun zunehmend die weibliche StimmeStimme. Umgekehrt verliert der virtuose Tenor des 18. Jhs. an Bedeutung.

      Wenn aber (fast) nur noch Frauen Koloratur singen, lässt sich die Koloratur umgekehrt als Zeichen von Weiblichkeit verwenden. Nachdem in der Oper des 18. Jahrhunderts die – zumeist improvisierte – Verzierung eine Selbstverständlichkeit für alle Sänger/innen war, konzentriert sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts der Ziergesang immer mehr auf bestimmte Aspekte von Weiblichkeit (150).

      Solche Aspekte von Weiblichkeit waren weiblich genderisierte ‚Eigenschaften‘ wie Koketterei, Eitelkeit, Wahnsinn und Hysterie (zu Weiterem s. Grotjahn 2005, 2011).

      3.2 Phonologie

      Ungleich schwieriger ist es, phonologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu identifizieren. Zu englischsprachigen Studien informiert ausführlich Kap. 12.

      Moosmüller (2002) weist jedoch auf ein bei deutschen Frauen nicht selten zu beobachtendes (geschlechtspräferentielles) Phänomen hin, das u.W. noch kaum untersucht wurde: Es handelt sich um linguistisch unmotivierte (Über-)Palatalisierungen, die vermutlich dem Sprechen von Kleinkindern nachempfunden sind und die Frau klein, niedlich, hilfsbedürftig und ungefährlich erscheinen lassen sollen. Die Artikulation ganzer Äußerungssequenzen wird dabei im Mundraum stark nach vorne verschoben (palatalisiert), die Lippen werden manchmal geschürzt, der Kopf womöglich schräg gehalten, kurzum: das gesamte Kindchenschema wird aktiviert (Kap. 14.2). Wörter wie schön [ʃ] klingen wie „chön“ [ç], schimpfen [ʃ] wie „chimfen“ [ç] etc. Solche Aussprachen, deren Konstruktionscharakter niemand bestreiten dürfte, bedienen das Klein-Mädchen-Schema und dürften insgesamt seltener vorkommen als die naturalisierungsfreudigenNaturalisierung prosodischen Genderindices.

      Echte morphophonologische Gender Marker, die

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