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Linda Steiner von der ‹Glücks-Fee›, sie wird über dich schreiben.» Linda dreht den Kopf und nickt Marguerite lächelnd zu.

      «‹Glücks-Fee›? Das ist doch kein Journalismus!», zischt sie böse. «Das sind doch bloss verdünnte Träume für zickige Weiber in den Wechseljahren!»

      Jean-Pierre lacht laut. «Es geht dir wirklich besser! Angriffslustig und direkt wie immer!»

      «Wenn ich nur nicht so müde wäre …» Langsam rutscht ihre Hand von seiner Schulter, und sie sinkt auf das Polster des Rücksitzes zurück.

      «Es wird alles gut, meine Liebe, du musst nur machen, was ich dir sage!»

      Während der Fahrt nach Neuhausen zieht sich Margrittli auf der schmalen Rückbank des Mini Cooper von Felix den gelben Mantel an und schlingt sich das giftgrüne Kopftuch um die Haare. «Na, wie sehe ich aus?»

      Felix grinst. «Wie jemand, der an der Wahl zur ‹Miss Geschmacklos› teilnimmt.»

      «So kannst du unmöglich an den Rheinfall!» Freddy mustert sie im Rückspiegel. «So fällst du allen Leuten auf.»

      «Das wollen wir doch, oder nicht?»

      Felix fischt sich eine Zigarette aus seiner Packung und zündet sie an. «Nein, wir wollen dich unauffällig mit Marguerite Duval vertauschen. So geht das nicht!»

      Freddy hüstelt. «Musst du unbedingt im Wagen rauchen?»

      «Ich bin nervös. Und wenn ich nervös bin, muss ich rauchen.»

      «Dann dreh das Fenster herunter. Und du, Margrittli, ziehst jetzt augenblicklich dieses Fastnachtskostüm aus.»

      «Ich denke nicht daran!»

      «Margrittli!», brüllt Freddy wütend, «du bekommst gutes Geld, damit du dich mit Marguerite Duval vertauschen lässt. Und wir sagen dir, wie die Aktion ablaufen soll! Ist das klar genug?»

      Margrittli lehnt sich zurück. «Ist es verboten, wenn man mitdenkt? Stellt euch mal die folgende Situation vor: Jemand steht bei der Anlegestelle der Boote und beobachtet, was vor sich geht. Er sieht eine junge Dame mit etwas auffälligen Kleidern, richtig?»

      «Eine Vogelscheuche, wolltest du sagen!»

      «Von mir aus eine Vogelscheuche. Er schaut sie an, und was denkt er?»

      Felix nimmt einen tiefen Zug. «Er denkt: die armen Kerle, die mit ihr ausgehen müssen.»

      «Genau. Er schaut sie sich genau an und denkt sich seinen Teil. Dann kommt die Duval, und die Vogelscheuche ist vergessen. Und wenn dann die Vogelscheuche wieder vom Rheinfallfelsen zurückkommt, dann …»

      «Genial!» Freddy hält an einem Lichtsignal hinter einem himmelblauen Porsche. «Wenn du wieder vom Rheinfallfelsen kommst, denkt er: Schon wieder die Vogelscheuche, und die Sache ist gegessen.»

      «Und das Gute, Freddy, ist, dass die Vogelscheuche, die vom Rheinfallfelsen kommt, nicht irgendwer sein wird, sondern die gejagte Schriftstellerin Marguerite Duval.»

      Pietro Soldini parkt seinen Porsche etwas abseits, schaut dann auf die Uhr. Zwanzig vor fünf. Er setzt eine Sonnenbrille auf, nimmt die Tasche mit der Videokamera und schliesst den Wagen ab. Er braucht ein paar Minuten, bis er sich an das Tosen der Wassermassen gewöhnt hat. Langsam geht er auf das monumentale Schauspiel zu. Er will jetzt schauen und geniessen, nachher würde er keine Zeit mehr dazu haben.

      Immer wieder hebt er die Kamera, sucht sich einen lohnenden Ausschnitt, zoomt die brausende Wasserwand zu sich heran, bis nur noch Wasser sichtbar ist, keine Felsen, keine Häuser, kein Himmel, nur die rohe Kraft des Elements.

      Dann atmet Soldini tief durch. Nun würde er den Wasserfall vergessen. Ihn in den Hintergrund schieben und sich auf das Wesentliche konzentrieren, auf die Menschen, die sich hier befinden, und auf diejenigen, die noch kommen würden.

      Er ist nicht der Einzige, der sich für Marguerite Duval interessiert, auch der Mann an der Rezeption im Hotel Chlosterhof wollte etwas von ihr, wie viele würden es noch sein? Er weiss es nicht, doch er wird sich vorsehen. Nur wer mit allem rechnet, hat Erfolg!

      Als Erstes nimmt er sich alle Anwesenden vor: ein älteres Ehepaar, das sich zu streiten scheint, die zwei jungen Männer mit der bunt gekleideten Frau («Eine richtige Vogelscheuche!», und er grinst, als er das denkt), die Familie mit den drei Kindern, die Eis essen, der Mann auf der Bank, der wie ein arbeitsloser Kellner aussieht, die Frau im schwarzen Kleid mit der Gratiszeitung weiter drüben (wer liest denn schon bei einer solchen Kulisse?), dann die Frau mit dem Kinderwagen, die, wie es aussieht, auf jemanden wartet. Sie alle filmt er, später würde er sich die Bilder in Ruhe noch einmal anschauen.

      Als Marguerite Duval in ihrem beigen Mantel vom Parkplatz zum Rheinfall hinunterschreitet, auf Jean-Pierre und Linda gestützt, scheint die Zeit für einen Moment stillzustehen. Pietro Soldini dreht sich langsam um und lässt die Kamera sinken, der Kellner Giancarlo auf der Bank hebt den Kopf, die Frau im schwarzen Kleid lässt ihre Gratiszeitung sinken, Steff, der von den Parkplätzen kommt, bleibt stehen, und Margrittli, Freddy und Felix erstarren.

      Nur kurz dauert dieser Moment, höchstens so lange wie der Flügelschlag einer Schwalbe.

      Dann ist es vorbei. «Kommst du?» Jean-Pierre drückt den Unterarm von Marguerite, und sie gehen auf die Brücke zu, die zum Restaurant und zur Bootsanlegestelle führt.

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