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nahe, dass das Dach undicht war. Wie in aller Welt sollte er das reparieren lassen? Ohne seinen Bruder zu fragen, was er dafür tun musste? Hatte Cristiano nicht schon genug getan? Vielleicht sogar genug, um ein Verräter genannt zu werden?

      Amadeo wusste, dass er selbst nachdenken musste. Er war nicht dumm, hatte Erstaunliches erreicht.

      Er wollte nur das nicht, was sein Vater sich am meisten von ihm wünschte.

      Boden. Wohnzimmerboden. Darauf musste er sich konzentrieren. Darauf, wie man ihn reparieren konnte.

      Also ging Amadeo ins Internet. Auf Facebook, um genauer zu sein. Dort fand er eine Tausch- und Verkaufsgruppe für Buckman und trat ihr bei. Vielleicht sollte er eine Anzeige posten? Oder sich Tipps holen, wie er jemanden für Reparaturen an dem kleinen Haus finden konnte…

      So ein kleines Haus.

      Gott, er wünschte, er könnte seinen Bruder anrufen. Aber in Monterosia war es sieben Stunden später und keine gute Zeit für einen Anruf. Ihre Telefonate mussten im Geheimen stattfinden.

      Die Veranda hinter dem Haus gefiel ihm. Wenn man sie so bezeichnen konnte. Sie wurde durch ein Dach vor der Witterung und der Sonne geschützt, was gut war, und war von einem kleinen Lattenzaun umgeben. Ein paar größere Pflanzen würden dabei helfen, ihn zu verbergen. Denn verborgen bleiben lautete die Devise.

      Amadeo hatte geglaubt, es wäre einfach, sich an diesem kleinen Ort mitten im Nirgendwo zu verstecken. Er hatte die Zudringlichkeit der Presse unterschätzt, war regelrecht von ihr überrascht worden. Vielleicht hätte er damit rechnen sollen. Doch das hatte er nicht!

      Am Abend zuvor war er zum Einkaufen in einen Walmart gegangen. Abgesehen von einem Laib Brot hier, ein paar Blumen da und frischen Roma-Tomaten woanders war er nie wirklich einkaufen gegangen. Den Leuten gefiel das.

      Dieser Laden war allerdings gigantisch gewesen. In Monterosia gab es nichts Vergleichbares. Wundersam und entsetzlich gleichermaßen. Und irgendwie auch aufregend. Einkaufen.

      Wie erstaunlich es doch war, sich statt eines Korbes einen Einkaufswagen zu nehmen – so einen hatte er noch nie benutzt – und die Gänge auf und ab zu schlendern, während man die Fülle der angebotenen Waren studierte. Von Tennisschuhen über Handtücher, Alkohol, Haustierbedarf (sollte er sich einen Hund zulegen? Oder eine Katze?), Wandfarbe, Sonnenbrillen, Waffen (stell sich einer vor – es war so einfach, eine Waffe zu kaufen!), Lebensmittel bis hin zu Bekleidung jeglicher Art.

      Er hatte ein paar Dinge gesucht: einen Ventilator, einen Leuchter, Utensilien fürs Bad. Er hatte gerade die Elektronikabteilung durchquert, in der mehrere große Flachbildfernseher gleichzeitig liefen. Im Haus gab es auch so einen, aber er überlegte, ob er sich einen DVD-Player und ein paar Filme holen sollte. Vielleicht auch eine Serie namens Longmire.

      Dann – plötzlich – wurde auf allen Bildschirmen ein Bericht über ihn gezeigt. Ein Foto von ihm im Garten nahm das gesamte Bild ein. Er lächelte, lachte sogar, hatte das braune Haar zurückgekämmt, doch ein Teil davon fiel ihm trotzdem in die Stirn. Seine blauen Augen glitzerten. Man sagte ihnen nach, dass diese Augen das Herz jeder Frau schneller schlagen lassen konnten. Doch das wollte er gar nicht.

      Auf dem Foto trug er ein weißes Hemd und eine schmal geschnittene Anzugjacke. Lässig, aber trotzdem elegante. Auf dem Bildschirm war sein Foto lebensgroß. Es war, wie in einen Spiegel zu blicken.

      Amadeo flüchtete aus dem Laden und ließ alles im Einkaufswagen zurück.

      Hatte ihn jemand gesehen?

      Was noch schlimmer war: Auf dem Parkplatz geriet er beinahe in Panik – er konnte sein Auto nicht finden. Abgesehen von den vielen Pick-ups sahen alle Autos gleich aus. Dann erinnerte er sich daran, dass er einen Knopf auf dem Schlüssel drücken konnte, der die Hupe auslöste, damit er den Wagen finden konnte. Welch eine Erleichterung.

      Stunden später, als kein Team von Today’s Entertainment News bei ihm aufgekreuzt war, fiel ihm auf, dass niemand auf die Fernseher geachtet hatte. Keiner hatte ihn auch nur eines zweiten Blickes gewürdigt. Niemand suchte hier in diesem Nest mitten in den USA nach ihm. Niemand hatte ihm auch nur das kleinste bisschen Aufmerksamkeit entgegengebracht.

      Und er hatte Hunger. Er brauchte zumindest die Lebensmittel, die sich in jenem Einkaufswagen befunden hatten. Und den Pfannenwender. Und die Bratpfanne. Die Butter. Die Auswahl bei Walmart war in manchen Bereichen fürchterlich, beinahe schlaraffisch in anderen. Die Pastasorten hatten größtenteils normal ausgesehen, auch wenn es nicht viel Auswahl gab. Aber es hatte Butter gegeben, sogar Bio. So nannten die Amerikaner wohl echte Lebensmittel.

      Amadeo warf einen Blick auf den durchhängenden Boden und seufzte.

      Nun ja, zumindest hatte er einen Kühlschrank und noch ein paar andere Dinge, die schon im Haus gewesen waren. Eine alte Couch, die nicht allzu unbequem war. Einen kleinen Tisch, groß genug für zwei, obwohl er natürlich allein war. Aber das Alleinsein war ein Grund, warum er sich in diesem Land aufhielt.

      In einem Bücherregal befanden sich zwei Bücher. Eines namens Rubinroter Dschungel – komischer Titel – und das andere hieß Vom Olymp herab. Er hoffte, dass das ein gutes Omen war. Das war er doch auch irgendwie, oder? Vom Olymp herabgestiegen?

      »Accidenti!«, rief er in das leere Zimmer. »Habe ich den größten Fehler meines Lebens begangen?«

      Sein Laptop gab ein leises Piepsen von sich – um das Internet hatte er sich schon vor seiner Ankunft gekümmert! – und als er nachsah, stellte er fest, dass er als Mitglied der Tausch- und Verkaufsgruppe von Buckman akzeptiert worden war.

      Hmmm…

      Allora. Und was sollte er jetzt tun?

      Eine Annonce aufgeben, dachte er.

      Er hatte eine Gabel. Er hatte einen Kühlschrank. Er hatte sogar ein paar Pappteller.

      Vielleicht sollte ich auch einen Boden haben, der nicht durchhängt.

      Er kniete sich vor den Laptop, der auf dem einfachen hölzernen Couchtisch stand. Einen Couchtisch hatte er auch. Wenn die Zigarettenbrandflecken nicht wären, wäre er vielleicht sogar hübsch.

      Könnte ich den abschleifen? Oder einen Handwerker dafür beauftragen?

      Nein. Ich werde es selbst machen.

      Er erstellte einen neuen Beitrag und begann zu tippen.

      HANDWERKER GESUCHT

      Allgemeine Heimwerkerarbeiten. Evtl. Dach. Durchhängender Boden. Einfache Klempnerarbeiten. Bitte E-Mail an

      Amadeo hielt inne und dachte über die Adresse nach. Er hätte beinahe die eingegeben, die er seit Jahren benutzte.

      Merda! Er war nicht gut hierin. Aber das musste er werden. Er machte Evtl. Dach zu Evtl. Teile des Dachs und fügte dann die E-Mail-Adresse [email protected] hinzu.

      Er postete die Annonce zusammen mit einem Foto des Hauses.

      Fertig. Ein Kinderspiel.

      Er stand auf. Sah zu Boden. Drehte sich zur Küche.

      Der Kühlschrank musste unbedingt geputzt werden. Ob Walmart noch offen hatte? Er zuckte mit den Schultern. Das ließ sich herausfinden. Amadeos Magen knurrte und erinnerte ihn daran, dass er noch dringender etwas zu essen brauchte. Darum würde er sich kümmern.

      Der Laptop piepste erneut. Ein Blick auf den Bildschirm verriet ihm, dass er eine E-Mail bekommen hatte. Er rief Gmail auf und da war sie schon. Eine E-Mail von einem Timothy zur Stelle mit dem Titel Ich bin Handwerker.

      Er öffnete sie.

      Hallo, du. Ich heiße Timothy Jeske und ich kann alles erledigen, was du in deinem Post geschrieben hast. Ich bin gut in dem, was ich mache, und habe meistens Zeit. Ruf mich an.

      Also tat Amadeo genau das. Timothy zur Stelle ging nach dem zweiten Klingeln dran und Amadeo stellte sich ihn aufgrund seiner tiefen, männlichen Stimme als älteren Mann vor, vielleicht Mitte vierzig, übergewichtig und in einem Flanellhemd. Das war vermutlich unfair, aber er konnte

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