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Ihm unter die Augen treten, das war ja alles, wonach sie sich sehnte: ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, seine Stimme zu hören und seiner Rede zu lauschen. Aber sie hatte ihn seit dem 27. Peraine nicht wiedergesehen und auch keine Nachricht von ihm erhalten, und so war sie im Laufe der Monde immer trauriger geworden. Am Anfang noch nicht – da war sie überglücklich gewesen, und auch Hilgerts Firunsgesicht konnte ihre Freude nicht vertreiben. »Da ich sehe, wie du dich entschieden hast – was gedenkst du nun zu tun, Kind?« hatte er sie begrüßt, als sie vom Dorf heimgekehrt war.

      Aber das hatte sie sich ganz genau überlegt auf dem langen staubigen Weg von Danjas Kate zum Gutshaus. Seltsam, auch damals war der Weg so trocken gewesen, und auch damals hatte sie während des Nachdenkens beobachtet, wie ihre klobigen Pantinen den Staub aufwirbelten und er mit der Zeit Füße und Fesseln umhüllte wie gelbliche Socken. Im Sommer war er irgendwie heller und gelber, fand Damilla. Aber zurück zu Hilgert, dachte sie.

      »Ich will dem Herrn Magister Fuxfell einen Brief schreiben«, hatte sie sofort geantwortet. »Helft Ihr mir dabei, alter Mann? Ich gebe Euch auch einen Heller dafür.«

      »So, du willst ihm schreiben, dann folge mir in meine Kammer, damit wir es hinter uns bringen. Dein Geld kannst du behalten«, hatte der Stallmeister gesagt und einen Bogen Pergament aus seiner Lade geholt, der vom vielen Schreiben und Abschaben, Schreiben und Abschaben schon ganz dünn geworden war. Damilla erinnerte sich noch ganz genau, wie verlegen sie geworden war, als sie dem alten Mann den Brief diktiert hatte, der doch in ihrem Kopf ganz klar und deutlich geschrieben stand, nun aber, da sie die Worte aussprach, so dumm und unbeholfen klang. Allein die Anrede! »Ehrenwerter Magister Fuxfell«, hatte sie gesagt, und Hilgert hatte grimmig gelächelt, als er es niederschrieb. Da wußte sie, daß es falsch war und nicht der Etikette entsprach, und hatte ihn gebeten, es besser zu machen.

      Aber der Stallmeister hatte nur genickt und gesagt: »Es ist schon recht, Kind, fahr fort.«

      Also hatte sie die Worte gesprochen, die sie sich auf ihrer Wanderung zurechtgelegt hatte: »Durch Eure Liebe und den Segen der Frau Tsa habe ich ein Kind empfangen. Ich bin sehr glücklich. Gewiß seid auch Ihr glücklich, dieses zu erfahren. Ich bitte Euch, kommt recht bald, denn ich sehne mich nach Euch. Die Eure, Damilla.«

      »Vergiß nicht, der Herrin deinen Zustand zu melden«, hatte Hilgert gesagt, nachdem er den Brief gefaltet, adressiert, mit Wachs versiegelt und ihr überreicht hatte. Auch Danja hatte sie ermahnt, zur Herrin zu gehen, und so hatte sie sich also mit klopfendem Herzen zur Bibliothek aufgemacht, wo die Herrin einen ganz frisch aus Neetha eingetroffenen Folianten über Kriegskunst studierte, wie man ihr berichtet hatte. Warum sie eine solche Scheu vor der Herrin hatte, hätte Damilla nicht zu sagen gewußt. Die Herrin war zwar streng und genau, aber auch gerecht – darin war sich das Gesinde einig. Vielleicht liegt es an ihren kalten blauen Augen, die so selten lächelten, und wenn, dann meistens spöttisch, dachte sie.

      Es war dann sogar noch schlimmer gekommen, als sie erwartet hatte. Was sie erwartet hatte, wußte sie nicht – vielleicht daß die Herrin sich auch ein ganz klein wenig freuen würde. Aber davon konnte keine Rede sein.

      »So, da bist du also schwanger«, hatte sie nur gesagt, »und mein Halbbruder ist der Vater, hm … Und was nun?«

      Aber Damilla wußte ja selber nicht, was nun, und auch nicht, was sie auf die Frage der Herrin hätte antworten sollen, und so hatte sie nur auf ihre Schuhspitzen geschaut und mit den Schultern gezuckt.

      »Ja, denkst du, daß er dich zur Frau nimmt, Mädchen? Erwartest du das? Verlangst du das? Und schau mich doch an, wenn ich mit dir rede!« Dann hatte sie ärgerlich ihren Folianten zugeschlagen und war mit großen Schritten und auf dem Rücken verschränkten Armen im Zimmer auf und ab gegangen.

      Damilla hatte insgeheim gehofft, daß die Herrin ihr im Vorüberschreiten übers Haar streicheln würde. Statt dessen fühlte sie sich unters Kinn gefaßt, das sie tief auf die Brust gesenkt hatte, und die Herrin zwang sie, ihr in die harten blauen Augen zu schauen.

      »Ist mein Halbruder Zordan Fuxfell wirklich der Vater deines Kindes? Sag die Wahrheit, Mädchen!« hatte sie verlangt, und als Damilla nickte, hatte sie schweigend ihre Wanderung wieder aufgenommen. »Das sieht ihm ähnlich«, hatte sie gemurmelt. Dann war sie vor dem Bücherschrank stehengeblieben und hatte nach einer Weile einen in goldgeprägtes blaues Leder gebundenen Band herausgezogen, den sie beim Gehen zu studieren begann. »Also«, hatte sie nach einer Weile gesagt, »du bist eine Freie … Aber dennoch – die Ehe erzwingen kannst du nicht. Hat er dir die Ehe versprochen?«

      Damilla hatte nur wieder den Kopf gesenkt und mit den Schultern gezuckt, denn sie verstand überhaupt nicht, wovon die Herrin sprach. Der Magister Fuxfell hatte von Liebe zu ihr geredet, und sie liebte ihn auch, aber das konnte sie der Herrin doch nicht erzählen, und sie wußte auch nicht, was das mit den Fragen der Herrin zu tun hatte.

      »Nun«, fuhr die Herrin fort, »hier steht …«, Sie blätterte in dem Buch, bis sie die Stelle gefunden hatte. »Also, hier steht, daß kein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn die Ehe nicht versprochen und kein Ehevertrag unterzeichnet wurde. Was nun das Kind betrifft … Kannst du beweisen, daß Herr Fuxfell und kein anderer der Vater des Kindes ist?«

      Wieder hatte Damilla stumm die Schultern gehoben. Beweisen? Was gab es da zu beweisen? Wer sonst sollte denn der Vater des Kindes sein? Ihr wurde langsam ganz wirr zumute. »Aber du bist über zwölf und hast Haare unter den Armen und zwischen den Beinen, nicht wahr?« hatte sie wie durch einen Nebel die Stimme der Herrin vernommen. Sie hörte das Rascheln von Pergament, während sie überlegte, was wohl für ein Zusammenhang zwischen den Haaren unter ihren Achseln und der Liebe und dem Kind und dem Magister Fuxfell bestehen mochte.

      »Den Tag nach übermorgen werde ich fünfzehn«, hatte sie geflüstert.

      »Nun, das ist gut … nein, nicht für dich, Mädchen, aber für den ehrenwerten Herrn Fuxfell. Für dich und das Kind sieht es leider gar nicht gut aus, soweit ich das im Moment beurteilen kann. Aber das werde ich noch genauer ergründen. Nun, was ist zu tun … Mach dir keine Sorgen, daß ich dich davonjage …«

      Davonjagen? Dieser Gedanke war Damilla gar nicht in den Sinn gekommen, aber so etwas gab es, fiel ihr ein, und plötzlich war ihr so bang und kalt ums Herz geworden, daß sie gar nicht weiter zuhören konnte. Wenn die Herrin sie davonjagte, dann würde sie eben auf Wanderschaft gehen und so lange wandern, bis sie den Magister Fuxfell gefunden hatte. Ja, das würde sie tun … Damilla begann zu frösteln, als sie sich besann, wie beklommen ihr damals geworden war, und sie zog das wollene Umschlagtuch enger um die Schultern. Dann blieb sie stehen, um ein wenig zu verschnaufen. Das Kind in ihrem Leib regte sich, und zärtlich strich sie über die Falten des schweren Tuchrockes, der ihren geschwollenen Bauch noch mächtiger erscheinen ließ. Sie lehnte sich an einen der Apfelbäume, die den Weg zum Gutshaus säumten. Nun war es nicht mehr weit, den Göttern sei Dank. Schon konnte sie die Schornsteine auf dem roten Ziegeldach zählen und auch die winzigen dunklen Fensteröffnungen in der Vorderfront des Hauses. Im fahlen Licht der winterlichen Nachmittagssonne schien das weißgetünchte Gebäude geradezu zu leuchten. Fast mehr noch als im Sommer, wenn die Praiosscheibe hoch am Himmel steht, dachte sie. Ja, im Sommer, im Rahja, da war sie noch guter Dinge gewesen und auch viel beweglicher als jetzt, obwohl sie noch nie zu den Behendesten gehört hatte. Bei der Heumahd jedenfalls hatte niemand ihr etwas angemerkt, und sie hatte gut mit den anderen Knechten und Mägden mithalten können. Das hatte sie gewiß auch Danjas Morgentee zu verdanken gehabt, der ihr die Übelkeit vertrieben hatte. Damilla liebte das Heuen, die langsamen, gleichmäßigen Schritte und den immer gleichen Schwung der Arme, das Sssst der Sense, wenn sie zwischen die Halme fuhr, und den Anblick des fallenden Grases. Und wenn man sich dann am Ende der Wiese umblickte und die gleichmäßigen Schwaden sah, dann wußte man, was man getan hatte, und das war ein schönes Gefühl. Die Kornmahd im Praios war ihr schon nicht mehr ganz so leichtgefallen, aber verglichen mit heute war sie damals so leichtfüßig wie eine Elfe gewesen.

      Wie schwer mir das Gehen inzwischen fällt, dachte sie, als sie nach der kurzen Rast ihren Weg zum Gutshaus fortsetzte. Aber Danja hatte ihr auch gesagt, daß es nun nicht mehr lange dauern würde bis zur Niederkunft – eine oder zwei Wochen vielleicht. Damilla war froh, daß sie seit

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