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dir jetzt meine Meinung über deinen Bruder und seine Geschichten unterbreiten. Nun, ich glaube, daß der gute Zordan sein Vermögen – oder vielmehr das eures Vaters – verpraßt oder verspielt hat. Weiterhin bin ich überzeugt, daß er bis zum Hals in Spielschulden steckt und uns nur deshalb seine Aufwartung macht, um ein paar Dukaten zu lockern, was ihm ja auch zu gelingen scheint. Und den Ring – ich kann mich nicht daran erinnern, aber es scheint sich ja um ein wertvolles Erbstück zu handeln – hat er entweder verpfändet oder verspielt. Was nun die Räuber betrifft, die ihn zweifellos überfallen und böse geschlagen haben, so konnte ihm nichts Besseres widerfahren, denn der Beutel an seinem Gürtel war bestimmt leer bis auf den letzten Kreuzer, und wäre ich nicht so ein gutgläubiger und vertrauensseliger Mensch, ich könnte glatt auf den Gedanken verfallen, der liebe Zordan habe die gar schrecklichen Räubern gedungen oder mache mit ihnen gemeinsame Sache. Nein, im Ernst, Kusmine, das glaube ich nicht. Allerdings vermute ich, daß es mit seiner Gabe nicht allzuweit her ist. Nicht, daß mich Zordans magische Darbietung nicht beeindruckt hätte – einen Zauberer beim Zaubern zu beobachten, ist ein seltenes und immer wieder faszinierendes Ereignis –, aber zur Spektabilität hat er wohl nicht das Zeug. Worüber ich mich allerdings wundere …«

      »Du wunderst dich über etwas?« unterbrach Kusmine ihren Gatten ein wenig spitzer als beabsichtigt. »Dabei hatte ich gerade den Eindruck gewonnen, daß du schon alles über meinen Bruder weißt.«

      »Siehst du, liebes Herz«, erwiderte Durenald traurig, »nun bist du böse. Ich hätte dir meine Gedanken über deinen Bruder nicht mitteilen sollen; dein Bruder ist nun einmal ein Thema, bei dem wir leicht in Streit geraten, und an nichts liegt mir mehr, als in Eintracht mit dir zu leben. Laß uns das Gespräch beenden.«

      »Erst will ich wissen, worüber du dich wunderst«, beharrte Kusmine.

      »Ich wundere mich«, sagte Durenald mit fester Stimme, »daß dein Bruder einen Apfelschimmel reitet, denn ich meine mich zu erinnern, daß dein Vater uns einmal von einem schwarzen Shadif geschrieben hat, das er für Zordan erworben habe …«

      »Es gibt auf dieser Welt Menschen, die mehr als ein Pferd besitzen, du selbst bist ein gutes Beispiel dafür.« Kusmine versuchte vergeblich, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen. Sie öffnete den Mund, um weiterzusprechen, doch da gewahrte sie die bekümmerte Miene ihres Gatten und hielt inne. Ihre Züge verloren die Härte, und der kalte Glanz ihrer Augen wich einem Ausdruck von Innigkeit. »Ach, Durenald, lieber Mann«, sagte sie leise, »verzeih, daß ich so hitzig geworden bin. Du hast recht, wir sollten nicht weiter über Zordan streiten. Wahrscheinlich bist du um so viel zu streng mit ihm, wie ich zu nachsichtig bin, und die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Gewiß ist er leichtsinnig und spielt und hat Schulden, aber er …«

      »Aber er ist kein schlechter Mensch, nicht wahr, das wolltest du doch sagen?«

      Kusmine nickte lächelnd.

      »Und er ist ein angenehmer Gast«, fuhr Durenald fort, »aufmerksam und galant … Hast du gesehen, wie er Damilla angestarrt hat?«

      »Damilla? Die kleine Dicke?« Kusmine lachte. »Nein, das ist mir nicht aufgefallen.«

      Am siebenundzwanzigsten Peraine, zehn Tage nach seiner Ankunft, verließ Zordan Fuxfell gutgelaunt, gesund und um fünfzig Dukaten reicher Gut Brelak. Damilla winkte ihm mit dem roten Seidentüchlein, das er ihr geschenkt hatte, so lange nach, bis ihr der Arm schmerzte. Erkennen konnte sie ihn schon nach wenigen Schritten nicht mehr, denn ihre Augen schwammen in Tränen. Und so sah sie auch nicht, daß er sich kein einziges Mal nach ihr umwandte.

      4. Kapitel

      Acht Monde und neun Tage waren ins Land gegangen, seit Zordan Fuxfell Brelak verlassen hatte: Am siebenundzwanzigsten Peraine war er davongeritten, und inzwischen war es Hesinde geworden, der 6. Hesinde. Damilla wußte das deshalb so genau, weil sie die Tage gezählt hatte. Sie hätte auch sagen können, wie viele Stunden mehr als acht Monde und neun Tage es waren – vier und eine halbe nämlich –, aber wem hätte sie das erzählen sollen, wer wollte das wissen?

      Langsam und schwerfällig schritt sie den staubigen Weg zum Gutshaus entlang. Ja, es hatte lange nicht geregnet, so war es letztes Jahr um diese Zeit auch gewesen. Da war das kleine Fräulein noch selig im Bauch der Herrin geschwommen, und nun machte es schon die ersten wackligen Schritte. Die letzten acht Monde waren nicht sehr schön gewesen, dachte sie, oder doch? Damilla dachte nach, während sie beobachtete, wie ihre Strohschuhe den kalten Staub aufwirbelten. Also, der Ingerimm: Da hatte es überraschend viel geregnet, aber dem Herrn war das recht gewesen. »Wenn nur der Rahja nicht auch noch verregnet«, hatte er gesagt, »das wäre nicht gut.«

      Und dann, Ende Ingerimm, an einem schönen warmen Tag um die Praiosstunde – sie entsann sich deshalb so gut, weil ihr gerade an diesem Tag zum erstenmal ganz übel und benommen wurde von den Dünsten, die aus der Küche drangen – hatte der Herr das ganze Gesinde im Hof versammelt, und alle hatten sie sehr fromm und schön zu der guten Frau Peraine gebetet, ihr gedankt für all die guten Gaben und ihren Segen erfleht für die kommende Ernte. Und gesungen hatten sie auch: »Peraine, güt’ge Nährerin, du Mutter ohnegleichen, dir folge ich mit Herz und Sinn, von dir will ich nicht weichen.«

      Damilla summte die Weise vor sich hin, während sie zusah, wie ihre Strohschuhe und die nackten Füße allmählich immer dichter von einer blaßbraunen Staubschicht überzogen wurden.

      Und dann war der Rahja gekommen, und es war so sonnig geblieben wie Ende Ingerimm – da waren also die Gebete erhört worden, denn das Korn stand gut, und die Tomaten waren schon größer als Kastanien, allerdings noch grün. Und Mitte Rahja hatte Hilgert sie einmal dabei ertappt, wie sie hinter dem Pferdestall das Frühstück wieder von sich gegeben hatte, obwohl sie sich doch sosehr bemüht hatte, ihre Unpäßlichkeit vor allen zu verbergen, und er hatte sie so grimmig angeschaut wie immer und gesagt: »Armes Kind, du solltest zu Danja gehen; vielleicht kann sie dir helfen.« Das hatte sie dann auch getan, denn mit irgend jemandem mußte sie sich einmal aussprechen über die seltsamen Vorgänge in ihrem Körper. Zur Herrin konnte sie nicht gehen – die war zu streng und unnahbar. Und was hätte sie ihr auch sagen sollen? Daß es ihr morgens oft im Magen rumorte? Daß es das letzte Mal ausgeblieben war? Mit so etwas geht man doch nicht zur Herrin! Und Titina sitzt immer die Hand so locker, wenn man ungeschickt ist und etwas fallen läßt. Und Witwe Westfahr ist mit dem kleinen Fräulein beschäftigt und hat für dumme Fragen keine Zeit. Und zur Mutter gehen, nach Shilish, das ist doch viel zu weit …

      Da war sie also mit sieben Hellern zu Danja gegangen und hatte ihr alles erzählt, und Danja hatte gelacht und ihr erklärt, daß es gar keine Krankheit sei, sondern von der Liebe komme, worüber Damilla sehr froh gewesen war. Ja, damals, am 18. Rahja war sie wirklich froh und glücklich gewesen! Danja hatte auch sehr freundlich mit ihr gesprochen und ihr ein Stück Zuckerkuchen geschenkt und auch zwei Beutelchen mit Kräutern in die Tasche gesteckt. »Den Silbertaler kannst du mir später geben, wenn du etwas gespart hast«, hatte sie gesagt. Die eine Kräutermischung war gegen die morgendliche Übelkeit und die andere dafür, das Kind aus ihrem Bauch zu vertreiben.

      Damilla hatte sie gar nicht nehmen wollen, aber Danja hatte darauf bestanden. »Überleg es dir, Mädchen«, hatte sie gesagt, »du bist sehr jung und hast kein Geld – wer soll für das Würmchen sorgen? Noch hast du Zeit, zehn Praiosläufe lang kannst du noch darüber nachdenken, aber dann ist es zu spät. Hörst du mir auch zu, Kind? Nach zehn Praiosläufen ist es zu spät! Wenn du den Tee nach dieser Frist trinkst, kannst du sehr krank davon werden und vielleicht verbluten!«

      Und dann hatte sie ihr den Beutel wieder abgenommen und gemeint, Damilla könne ja innerhalb der nächsten zehn Praiosläufe vorbeikommen, wenn sie sich in diese Richtung entschieden hätte. Sollte sie sich aber anders entscheiden, so sei sie ihr auch kein Geld mehr schuldig, denn mit den sieben Hellern seien die Beratung und der Morgentee bezahlt.

      Damilla mußte lächeln bei dem Gedanken an das Hin und Her mit dem Tee. Für sie war es gar keine Frage gewesen, und es gab auch nichts zu entscheiden. Was würde Frau Tsa wohl dazu sagen, wenn sie das Kind in ihrem Bauch ermordete? Und was würde erst der Magister Fuxfell

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