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zentralen?

      – Welche politischen Konzepte sind für die generelle Transformation zu erneuerbaren Energien ausschlaggebend? Muss der Schwerpunkt auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene liegen?

      – Welche Akteure können den Energiewechsel vorantreiben, und welche Rolle spielt dabei die konventionelle Energiewirtschaft?

      Welche Antworten gegeben werden, ist von höchster politischer und wirtschaftlicher Brisanz und hat entscheidenden Einfluss darauf, wie die wichtigste Frage beantwortet wird: die Zeitfrage. Kann der historisch fällige, vollständige Wechsel zu erneuerbaren Energien so rechtzeitig realisiert werden, dass wir den von der konventionellen Energieversorgung verursachten Tragödien noch entkommen können? Wer und was bremst, und wie kann die Entwicklung beschleunigt werden? Vor allem an dieser Frage müssen sich alle zuvor gestellten messen lassen.

      Scheinkonsens

      Der suggerierte Konsens über erneuerbare Energien lenkt davon ab, dass die eigentlichen Konflikte erst begonnen haben, allerdings in veränderter Gemengelage. Er verführt dazu, die mit dem Energiewechsel zwangsläufig verbundenen Konflikte zu unterschätzen – was bedeutet, sich ihnen nicht zu stellen. Diese Konflikte unterscheiden sich zwar von den früheren um erneuerbare Energien, sind jedoch auch tiefgreifender geworden. Wo der Wechsel zu erneuerbaren Energien praktisch eingeleitet ist, geht es jetzt ans »Eingemachte«: Die praktische Ablösung atomarer und fossiler Energien betrifft unmittelbar die Struktur des etablierten Energiesystems, die eng mit den herrschenden Produktions- und Konsumbedingungen, Wirtschaftsordnungen und politischen Institutionen verwoben ist. Sie rührt unmittelbar an die Existenzinteressen der etablierten Energiewirtschaft, die der größte und vor allem politisch einflussreichste Sektor der Weltwirtschaft ist. Dies lässt sich an den widersprüchlichen Entwicklungen der weltweiten Energieaktivitäten ablesen.

      Neben den bereits skizzierten Aufbrüchen zu erneuerbaren Energien stehen politische Initiativen wie die von US-Präsident Obama, der chinesischen und der indischen Regierung, ja sogar von Öl- und Gasexportländern in der Golfregion. Die Europäische Union hat mittlerweile gesetzlich festgeschrieben, dass ab 2012 alle geplanten öffentlichen Gebäude einen Null-Emissionsstandard haben müssen, und ab 2020 alle neu zu errichtenden privaten Gebäude – was nur mit erneuerbaren Energien und energieeffizienten Bauweisen erreichbar ist. China bildet in Afrika zehntausend Techniker für Solarenergie aus. In Bangladesh werden mithilfe von Mikrokrediten und der Ausbildung von technischen Servicekräften jährlich mehr als hunderttausend kleine Solaranlagen installiert. In Deutschland, das im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zum internationalen Vorreiter für die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien geworden ist, wird inzwischen in allen Parteien davon gesprochen, bis Mitte des Jahrhunderts die gesamte Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen. Zahlreiche deutsche Städte und Landkreise haben sich entschlossen, innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien zu realisieren; einige haben dies in der Strom- und Wärmeversorgung bereits erreicht, ebenso wie Kommunen in Österreich oder Dänemark.

      Große Weltfirmen wie Bosch, General Electric und Siemens haben einen strategischen Schwerpunkt auf erneuerbare Energien gelegt. Auch Stromkonzerne wie die deutschen E.ON und RWE investieren größere Summen in erneuerbare Energien. Automobilkonzerne rüsten sich für die Produktion von Elektromobilen und votieren dafür, deren Strombedarf mit erneuerbaren Energien zu decken. Große Banken, von der New Yorker Wallstreet bis zu den Bankenplätzen in Frankfurt und London, haben ansehnliche Kreditportfolios für erneuerbare Energien bereitgestellt, und Investmentfonds für erneuerbare Energien sprießen wie Pilze aus dem Boden. Die überwiegend kleineren und mittleren Unternehmen, die sich auf erneuerbare Energien spezialisiert haben und zu Pionieren wurden, sind nicht mehr unter sich. Einige wachsen zu großen Unternehmen, andere werden von großen Konzernen übernommen, die damit Versäumtes aufholen wollen.

      Doch andererseits sind gegenläufige Entwicklungen nicht zu übersehen, die immer noch ganz andere Prioritäten verraten: Weltweit wird immer noch deutlich mehr in konventionelle Energien investiert; 2009 war es das Vierfache. Es sind Investitionen in konventionelle Großkraftwerke und Pipelines, teilweise in zweistelliger Milliardenhöhe und mit langen Amortisationszeiten, die die bestehenden Verhältnisse für mehrere Jahrzehnte festschreiben. Präsident Obama musste sich für seine Initiativen die weitere Förderung von Atomenergie, den Bau neuer Kohlekraftwerke und umstrittene Genehmigungen für neue Ölbohrungen und Pipelines vom US-Kongress abringen lassen. In China liegt der Schwerpunkt auf dem Bau neuer Kohlekraftwerke, ebenso in Indien. Eine milliardenschwere Subventionswelle für die Abscheidung von CO2 in Kohlekraftwerken läuft bereits – gefördert werden sogenannte CCS-Kraftwerke, um das CO2 anschließend in Erdlager zu pressen. Schon hat die EU-Kommission für diese Technologie mehr Investitionshilfen bereitgestellt als für die direkte Investitionsförderung in erneuerbare Energien. Der Energiekonzern Shell hat seine in den 1990er Jahren begonnene Solarinitiativen schon wieder weitgehend aufgegeben und verkündet stattdessen sein Engagement für CCS-Investitionen. In der kanadischen Provinz Alberta graben gigantische Bagger Teersände in einem dafür vorgesehenen Fördergebiet von 20.000 qkm aus, um daraus fossile Kraftstoffe zu produzieren; mit erschreckenden Eingriffen in den natürlichen Wasserhaushalt, weil für die Produktion von einem Liter Erdöl 20 l Wasser gebraucht werden. In West Virginia, der US-Kohleregion, werden ganze Berge weggesprengt, um mit immer größeren Baggern noch mehr Kohle zu fördern. Die katastrophalen Folgen von Tiefenbohrungen auf dem Meeresboden konnte die Weltöffentlichkeit im Golf von Mexiko vor der US-amerikanischen Küste verfolgen. Schon hoffen einige auf schmelzendes Nordpoleis, um die unter der Eisdecke liegenden fossilen Ressourcen fördern zu können.

      Der französische Staatspräsident Sarkozy hat zwar mehr Initiativen für erneuerbare Energien eingeleitet als seine Vorgänger, betätigt sich aber vorwiegend als internationaler Handlungsreisender, um Aufträge für Atomkraftwerke nach Frankreich zu holen. Die britische Regierung hat zwar im April 2010 ein Einspeisegesetz für erneuerbare Energien nach deutschem Vorbild beschlossen, betreibt aber gleichzeitig den Bau neuer Atomkraftwerke. Die finnische Regierung hat im April 2010 die Baugenehmigung für zwei neue Atomreaktoren beschlossen, obwohl die Partei der Grünen an der Regierung beteiligt ist. Polen plant aktuell zwei Atomkraftwerke. Die italienische Regierung unter Ministerpräsident Berlusconi hat den Bau von Atomreaktoren angekündigt, obwohl 1987 eine Volksabstimmung gegen Atomkraftwerke votierte. Russland und die Ukraine vereinbarten im Frühjahr 2010 einen gemeinsamen Plan, ihr atomtechnisches Know-how zu bündeln, innerhalb eines Jahrzehnts ihre Atomstromproduktion zu verdoppeln und diese international anzubieten. Abu Dhabi hat Anfang 2010 vier Atomreaktoren in Korea bestellt, und Vietnam will in die Atomproduktion einsteigen. Selbst Brasilien – das Land, das zusammen mit Russland, Kanada und Australien das üppigste natürliche Potenzial erneuerbarer Energien besitzt – plant neue Atomkraftwerke. Die Internationale Energieagentur (IEA) fordert bis 2050 den Bau von jährlich zweiunddreißig neuen Atomkraftwerken, was bedeuten würde, dass alle elf Tage ein neues hinzukäme. Ein aggressives Weitermachen, selbst wenn diese Energien nachweislich kostspieliger werden als erneuerbare Energien: Was gefunden wird, muss gefördert und verkauft werden. Die globale »Pyromanie«, wie ich diese Zwangsvorstellung in meinem Buch »Solare Weltwirtschaft« nannte, wird unverdrossen fortgesetzt: »drill, drill, drill« ist die von »big oil« intonierte Parole des Krieges gegen die Umwelt, die selbst während der Bohrkatastrophe im Golf von Mexiko nicht verstummte. Das Schicksalsspiel mit der Erde wird fortgesetzt, immer mit der Rechtfertigung, dass das Potenzial erneuerbarer Energien »derzeit« nicht ausreichend sei.

      Obwohl also erneuerbare Energien salonfähig geworden sind, sollen sie keinesfalls den Bestand des fossilen und atomaren Energiesystems antasten, sondern nur für den zusätzlichen Energiebedarf zur Verfügung stehen: Es soll also möglichst keine Substitution atomarer und fossiler Energien stattfinden! Dieses Bestandsinteresse wird auch in Deutschland geltend gemacht. Es schlägt sich nieder im Versuch, den 2001 beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie rückgängig zu machen, ebenso in zahlreichen Plänen für den Bau neuer Kohlekraftwerke – mit Kapazitäten, als wären die erneuerbaren Energien kaum noch weiter ausbaufähig. Gleichzeitig häufen sich orchestrierte Attacken auf das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das einen schnellen Ausbau begünstigt. Zum Chor der Abwiegler erneuerbarer Energien gehören auch wirtschaftswissenschaftliche

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