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      Wir tranken hastig, während Naomi sich, deutlich sichtbar im Blickfeld des Mannes, der uns vom Fenster aus beobachtete, eine Zigarette anzündete. Wir kannten Naomi seit ein paar Monaten, aber sie lud uns nie ein, reinzukommen. Und wir fragten nicht, warum.

      »Kneift nicht beim Shoppen am Samstag«, sagte Naomi, bevor sie reinging. »Ich brauch ein paar Tops. Ihr sollt mir auch nur Rückendeckung geben.«

      »Ich glaube, Mum hat schon was mit mir vor«, entschuldigte sich Elaine.

      »Und ich geh mit dem Staubsauger in der Wohnung spazieren«, sagte ich.

      Naomi schüttelte den Kopf und zog abfällig die Oberlippe hoch.

      Wir verabschiedeten uns und ich ging mit Elaine zu ihrem Wohnblock. Ich sagte nicht viel, aber sie laberte wie ein Wasserfall darüber, dass sie auf die Schauspielschule wollte, und vorher einer Theatergruppe beitreten würde, um Bühnenerfahrung zu sammeln. Wir machten halt bei Dagthorn’s um Schokolade zu kaufen, und teilten uns eine Tafel. Als wir fast bei ihr waren, blieb sie stehen und starrte mich durchdringend an. »Was ist los, Mo?«

      »Was meinst du?«, erwiderte ich.

      »Du hast kaum was gesagt, seit wir aus dem Kino raus sind«, sagte sie. »Ich merke doch, wenn du Stress hast. Was ist heute Morgen wirklich passiert?«

      »Hab verschlafen.«

      »Und auf dem Mond hat ein Schwein eine Ente gepimpert.«

      »Ich lüge nicht, Elaine.«

      »Tom Cruise wartet oben und will mich zum Essen ausführen. Komm schon, Mo.«

      Ich starrte zu Boden.

      »Mo!«

      Betretene Stille. Ich spürte, wie mich ihr brennender Blick durchbohrte. Schließlich schaute ich auf.

      »Ist wegen Mums Freund«, gestand ich.

      »Was hat er gemacht?« Wut blitzte in ihren Augen auf. Sie schien genauso sauer auf mich zu sein, weil ich nichts gesagt hatte, wie auf ihn. »Ich will die ganze Geschichte hören«, verlangte Elaine.

      Ich zögerte. Elaine war nicht die Sorte Freundin, die sich Kummer anhörte, mir auf die Schulter klopfte und »ei ei« machte.

      »Mo! Spuck’s aus.«

      Ich setzte mich an die Mauer. Sie schaute mich stinksauer an. Ich schloss die Augen und spürte, wie mein Herzschlag meinen Hals hochwanderte.

      »Wir gehen keinen Zentimeter weiter, wenn du nicht auspackst.«

      Ich öffnete die Augen. Und erzählte ihr, dass Mum Lloyd am Wochenende mein Essen gegeben hatte, von seinem Real-Madrid-Trikot und dass er mich aus dem Bett geprügelt und mir mit der Faust gedroht hatte, weil ich ihm ans Bein getreten hatte. Dann von heute Morgen und den fünf Pfund und dass ich gedacht hatte, er würde wieder zuschlagen. Sie hörte aufmerksam zu, legte mir hin und wieder eine Hand auf die Schulter und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Als ich fertig war, umarmte sie mich ganz fest. Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten.

      »Ich hab ihn schon ein bisschen geärgert«, sagte ich. »Ich meine, immerhin hab ich auf sein Lieblingstrikot gepisst. Und du weißt ja, was ich für eine Klappe habe, wenn ich sauer bin.«

      »Der ist aber ein ausgewachsener Mann!«, sagte Elaine. »Er hat kein verdammtes Recht, dich zu schlagen und aus dem Bett zu katapultieren. Hast du gehört, Mo? Absolut kein Recht. Mein Dad wohnt nicht mehr bei uns, und wenn wir uns sehen, streiten wir uns manchmal wie die Bekloppten, aber meinst du, ich würde mich von ihm schlagen lassen? Auf keinen verfluchten Fall.«

      »Aber er ist ja auch dein richtiger Dad«, sagte ich.

      »Spielt keine Rolle«, erwiderte Elaine. »Wenn du seiner Fettfresse am Frühstückstisch begegnest, hat er sich zu benehmen wie ein richtiger Dad.«

      »Was soll ich machen?«, fragte ich. »Er ist praktisch schon bei uns eingezogen.«

      »Du gehst zu den Bullen«, sagte Elaine.

      »Den Bullen? Ist das nicht ein bisschen drastisch?«

      »Am Sonntag hat er zugeschlagen und heute Morgen fast wieder? Wer weiß, wozu der fähig ist, wenn das letzte bisschen Vernunft seinen Knastbruderarsch verlässt?«

      Unterschiedliche Szenarien schossen mir in den Kopf. Lloyd war erst vor ein paar Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden. Mum hatte mir nicht erzählt, weswegen er gesessen hatte. Wenn er noch mal in einer Zelle schmachten und Porridge zum Frühstück fressen musste, würde Mum mir das niemals verzeihen.

      »Ich … ich weiß nicht, ob ich damit zu den Bullen gehen kann«, sagte ich. »Kann man denen denn vertrauen? Vielleicht glauben die mir gar nicht.«

      »Müssen sie aber, Mo«, behaupete Elaine und legte mir einen Arm um die Schulter.

      »Mum wird zum T-Rex. Lloyd ist gerade erst aus dem Knast raus.«

      »Mo, hör mir zu. Du stehst auf ihrer Prioritätenliste ganz oben, hast du gehört? Jedenfalls solltest du da stehen. Ist mir scheißegal, wie sauer sie wird – du musst Lloyd anzeigen. Der ist doppelt so groß wie du! Irgendwann richtet er noch größeren Schaden an, als dich nur aus dem Bett zu schmeißen. Eigentlich dürfte er gar nicht ungebeten in dein Zimmer platzen!«

      »Aber …«

      »Kein aber. Ich sag dir, was wir machen. Wir gehen hoch, essen was – hoffentlich hat Gran heute gekocht –, und danach gehen wir zu den Bullen.«

      Ich musste fünf Minuten sitzen bleiben, um das alles runterzuladen. Vielleicht konnte mir ja eine von diesen Dragon Hip Pillen durch die ganze Kacke helfen.

      Ich ging mit Elaine nach Hause. Bevor wir in die Wohnung gingen, schälte Elaine sich die falschen Wimpern ab und steckte sie in ein kleines Portemonnaie. Ihre Mum war nicht zu Hause, aber ihre Gran saß auf einem Hocker in der Küche, ein Geschirrtuch über der Schulter. Ein Kopftuch in den jamaikanischen Farben zierte ihren Kopf. Sie nippte an einer Cola-Rum – der Geruch kitzelte meine Nüstern. Irgendeine jamaikanische Oldschool-Musik nudelte aus dem kleinen Gettoblaster. »Maureen!«, grüßte sie. »Lange nicht gesehen! Hast du vergessen, wo ich wohne? Hast du gedacht, ich bin schon tot?«

      »Nein, nein, Ms Jackson!«, erwiderte ich. »Hatte nur echt viel zu tun. Sie wissen doch, wie das ist. Hab gelernt, Hausaufgaben gemacht, und was weiß ich was.«

      »Hör auf mit diesem Ms-Jackson-Unsinn, Maureen! Sag einfach Gran … wie geht’s Clarrie-May?«

      »Der geht’s gut«, sagte ich. »Arbeitet immer noch Teilzeit im Waschsalon.«

      »Gut, dass sie endlich was gefunden hat.« Sie widmete Elaine ihre Aufmerksamkeit. »Und wieso kommst du so spät?«

      »Gran, ich hab’s dir doch gesagt. Wir waren nach der Schule noch im Kino.«

      »Du sagst mir nie irgendwas.«

      »Heute Morgen hab ich’s dir und Mum gesagt.«

      Gran versuchte sich zu erinnern. Ich fand’s echt lieb von ihr. Mum scherte sich nie drum, wann ich nach der Schule nach Hause kam.

      »Hast du nicht was vergessen?«, fragte Gran.

      Elaine grinste. Sie umarmte Gran herzlich und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange. Ich wünschte, bei Mum und mir wäre das auch so. »Pass auf, dass du mein Glas nicht umkippst! Weißt du, wie teuer der Rum ist? Sag’s deiner Mutter nicht.«

      »Mach ich nicht.«

      »Wollt ihr essen? Fleischbällchen in meiner hausgemachten Sauce mit Reis. Willst du probieren, was ich gekocht hab, Maureen? Egal, was meine Enkelkinder sagen, du wirst nicht dran sterben.«

      »Ja, bitte.«

      »Gib mir fünf Minuten, dann mach ich’s euch warm.«

      Elaine führte mich in ihr Zimmer. Denzel Washington wachte an der Wand über ihrem Bett. Terrence

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