Скачать книгу

davon anfange. Wenn ich fünfzehn bin, lerne ich einen netten Jungen kennen und wir bauen uns was zusammen auf …«

      Louise hatte wieder ihr echt-jetzt-Gesicht aufgesetzt.

      »Wie oft muss ich dir das noch sagen, Naomi?«, fragte sie. »Du bist minderjährig. Das Jugendamt ist für dich verantwortlich, bis du achtzehn bist.«

      »Als ich mich um meinen Dad gekümmert hab, hat’s auch keine Rolle gespielt, dass ich minderjährig bin!«

      Louise ging kopfschüttelnd weg. Sie drückte auf die Wahlwiederholung auf ihrem Handy. »Hallo, ich bin’s noch mal, Louise.«

      Das Telefon war noch auf Lautsprecher geschaltet.

      »Hallo, Louise.«

      »Ich würde dich nicht drum bitten, wenn ich nicht verzweifelt wäre, Colleen, aber zwei Notpflegestellen sind im Urlaub und die dritte steht kurz vor einer Geburt. Ist doch kein Problem, dass der Fall weiß ist, oder? Sie heißt Naomi. Naomi Brisset.«

      »Naomi«, wiederholte Colleen. »Schöner Name.«

      Ich verzog den Mund zu einem Lächeln. Natürlich ist das ein schöner Name. Meine Mum hat ihn mir gegeben.

      »Sag ihr, ich wurde nach Naomi Watts benannt«, sagte ich. »Die hat in King Kong mitgespielt und in einem Horrorfilm.«

      Louise ignorierte mich. »Ist das für Tony auch okay, äh, du weißt schon?«, fragte sie.

      »Natürlich«, erwiderte Colleen. »Er hat nichts dagegen. Ist okay.«

      »Bist du sicher?«, fragte Louise noch mal. »Nur weil Tony immer ausdrücklich nur schwarze Pflegekinder haben wollte.«

      »Er will allen Kindern helfen«, beharrte Colleen.

      »Okay, Colleen«, Louise nickte. Sie atmete erleichtert aus. »Wir sind in circa einer halben Stunde da.«

      »Warte mal, warte«, sagte Colleen. »Müssen wir bei der Ernährung auf irgendwas achten? Weißt du noch, letztes Jahr? Da hast du uns einen Jungen geschickt, der keinen Reis, keine Kartoffeln, kein Fleisch und nichts Gewürztes essen wollte.«

      »Naomi ist beim Essen nicht pingelig. Ich bring ihre Akte mit.«

      »Ich mag kein Hackfleisch«, rief ich. »Erinnert mich an Würmer. Also keinen Shepherd’s Pie. Ach, und keine Maccaroni Cheese. Die sehen auch aus wie Würmer, wie gelbe Würmer.«

      Louise schenkte mir einen funkelnden Halt-den-Rand-Blick.

      »Ich freue mich drauf, sie kennenzulernen«, sagte Colleen nach einer Pause. Wir gingen wieder rein zu McD. Louise trank ihren Kaffee und rutschte tiefer auf ihrem Stuhl. »Sieht aus, als würde sich Colleen freuen, dich kennenzulernen«, sagte sie.

      »Warum auch nicht?«, grinste ich. »Bin doch sehr liebenswert.«

      Fest umarmte ich mein Erdmännchen.

      2

      EINE NEUE HOFFNUNG

      Wir rasten über die Ashburton Circular. Ich starrte aus dem Autofenster und schaute auf die Straßenschilder. Monk’s Orchard, Spenge-on-Leaf, Crongton, Notre Dame, Cranerley, Smeckenham. In Shrublands fuhren wir ab. Ich dachte an meinen Dad. Fragte mich, was er davon halten würde, dass ich bei einer schwarzen Familie wohnte. Ihm wär’s egal gewesen. Hat ja auch immer mit allen gesoffen. Einmal musste ich seinen Alkoholikerarsch bei Lord Jazzbo rauszerren, das ist eine Cocktailbar mit Samba am Donnerstag, Disco am Freitag und Reggae am Samstag. Da gab’s so ein Spezialgetränk, das hieß Rumwave. Dad hat es geliebt. Ich hab’s auch mal probiert, aber einen Monsterkater davon bekommen. War das letzte Mal, dass ich was Hochprozentiges getrunken hab.

      Wir kamen in Shrublands an.

      Blumen hübschten die Verkehrskreisel auf. Geländewagen parkten an den Rändern der breiten Straßen. Katzen schliefen auf Zaunpfosten. Die Hecken waren ordentlich gestutzt.

      »Hier wohnen Schwarze?«, fragte ich.

      »Ja, allerdings«, erwiderte Louise. »Die Goldings sind eine nette Familie. Die haben es zu was gebracht.«

      »Mit Dragon Hip Pills haben die ihre Kohle aber nicht verdient, oder?«

      »Nein! Ganz bestimmt nicht. Und fang bloß nicht so an, Naomi.«

      »Schon gut, war bloß ein Witz.«

      »Das will ich hoffen, Naomi.«

      Louise’ Augenbrauen hatten sich verhärtet. Ich sah ihr an, dass der ganze Deal sie voll frustrierte.

      »Du wirst nicht furchtbar lange hierbleiben, gib mir einfach ein bisschen Zeit«, sagte sie. »Ich kann dich sowieso nicht dauerhaft hierlassen. Da müsste ich mir bei der Verwaltung schon ein Bein ausreißen und eine Million Anträge ausfüllen.«

      »Und wer reißt sich bei der Verwaltung ein Bein aus, wenn die Klos verstopft sind?«, fragte ich.

      Louise schüttelte den Kopf. »Das willst du gar nicht wissen«, erwiderte sie.

      Wir hielten draußen vor einem hübschen Haus. Der Rasen im Vorgarten war vorschriftsmäßig rasiert. Auf die weiße Haustür war eine goldene Zahl genagelt. Dreiundzwanzig. Louise drückte auf die Klingel. Ungelogen, innerlich war ich voll am Zittern. Ich trat ein paar Schritte zurück. Also auf ein Neues.

      Die Tür öffnete sich. Eine gut aussehende Schwarze tauchte auf.

      Mitte bis Ende dreißig. Mir gefielen ihre pfauenfarbenen Ohrringe.

      »Schön dich zu sehen«, sagte Colleen. »Kommt bitte rein. Ich hab gerade Teewasser aufgesetzt.«

      Zuerst hatte mir die Vorstellung gefallen, bei Schwarzen zu wohnen. Aber jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.

      »Naomi!«, rief Louise.

      Ich stand auf der Stelle, musterte Colleen eine Weile, dann schlappte ich langsam auf die Tür zu. Sie hatte schulterlange braune Dreadlocks. Oh gut. Vielleicht können wir ja ein paar richtige Dancehall Tunes hören. Breit grinsend winkte sie uns ins Haus. »Was willst du trinken?«, fragte sie. »Heiße Schokolade? Orangen- oder Apfelsaft? Cola? Hast du Hunger?«

      Sie machte mich verlegen. Ich zog mein Handy aus der Tasche, obwohl ich gar nicht wusste, was ich damit anfangen wollte. »Ich will Kaffee«, erwiderte ich. »Vier Löffel Zucker.«

      »Drei Löffel Zucker«, mischte Louise sich ein. »Vergiss nicht, wir haben einen Deal …«

      »Aber du hast nicht mit dem Rauchen aufge…«

      »Nicht jetzt«, fiel mir Louise ins Wort.

      Ich zog ein Fick-dich-Gesicht.

      »Na komm, Naomi«, sagte Louise. »Lass uns reingehen, damit Colleen die Tür zumachen kann. Wird ganz schön frisch.«

      Es war kalt. Ich wollte mit meinem Grime-Therapy-T-shirt angeben, aber ich musste die Kapuzenjacke drüber anlassen.

      Ich ging in die Diele. Entdeckte zwei auf der dritten Treppenstufe parkende Kinder. Das jüngere, ein Junge, kicherte. Das musste Pablo sein. Das ältere Mädchen hatte das Gesicht zwischen den Händen, war wohl Sharyna. Hübsch. Sie beäugten jede einzelne Bewegung von mir. Ich betrachtete meine Umgebung. Ganz anders als bei Mum zu Hause. Die bernsteinfarbenen Wände sahen aus, als wären sie erst vor wenigen Tagen frisch gestrichen worden. Die Diele war schmutzfrei und ich roch Bodenpolitur. Den Schwarzen mit den dicken Melonenbacken auf dem Bild in dem Rahmen kannte ich nicht. Sie brauchten noch ein Foto daneben, weil seine ausgefahrene Posaune auf eins nicht draufpasste.

      Am Ende der Diele befand sich die Küche. Ein schwarzer Mann saß dort am Tisch. Seine Schultern waren multiplex-breit. Auf den Unterarm hatte er einen Tiger tätowiert. Ich vermutete, das war Tony. Colleen lud Louise und mich ein, unsere Hintern zu parken. Tony stand auf und lächelte mich an. Ein Goldzahn. »Hi, ich bin Tony«, sagte er und streckte die Hand aus. Ich sah sie an, als wär’s eine ausgebüchste

Скачать книгу