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folgernd die Grundlegung von gemeinschaftspolitischer Empathie als Bürgerrecht und Bürgerpflicht verhandelt (5).

      1. Antike politische Praxis: Organisationsform, Partizipation, Dichotomie

      Zweifelsfrei kommt der griechischen Antike in Bezug auf Entwicklung und Grundverständnis des Politischen für Europa und darüber hinaus ein besonderer Stellenwert zu. Dabei vor allem der Zeit der sogenannten griechischen Klassik, beginnend mit den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Griechen und den Persern bis hin zur Inthronisierung des angehenden Makedonenkönigs Alexanders des Großen – somit von ca. 500 bis 336 v. Chr. In dieser Zeit der Klassik gelangten die griechischen Stadtstaaten (altgr.: Sg. Polis, Pl. Poleis), u. a. Athen, Sparta, Theben, zu ihrer historisch, politisch und kulturell einzigartigen Bedeutung von weltgeschichtlichem Rang, welche ohne die politische Organisationsform der Polis nicht in dieser Art und Weise möglich gewesen wäre. Und das – bemerkenswerter Weise – trotz vieler interner politischer Konflikte, innerhalb der Stadtstaaten selbst bzw. ebenso zwischen den griechischen Stadtstaaten untereinander, oder externer militärischer Bedrohungen aus anderen Regionen des Mittelmeerraums. In klassischer Zeit dürfte es mehr als 800 Siedlungen im Verständnis der Polis gegeben haben, die in ihrem Erscheinungsbild zwar vielfach variierten, jedoch „eine prinzipiell gleiche Binnenstruktur des Siedlungsraums“1 aufgewiesen haben. Dazu gehörte zumeist ein städtischer Kern mit politischer, ökonomischer und kultureller Infrastruktur, so z. B. die wirtschaftliche und/oder die politische Agora (der Versammlungsplatz für Handel und Politik im Zentrum angrenzend an Verwaltungs- und Kultgebäude) sowie ein dazugehöriges Umland des städtischen Kerns für die notwendige Landwirtschaft. So gehörte z. B. zur Polis Athen ganz Attika, wobei sich die Bürger überall in Attika „Athener“ nannten, selbst wenn sie in einem von der Stadt Athen weit entfernten Dorf lebten.2 In der Zeit der Klassik dürfte die wirkungsmächtigste Polis Athen zwischen 200.000 und 300.000 Einwohner gehabt haben, wobei die Mehrzahl davon in den ländlichen Gebieten gelebt hat.3

      Kennzeichnend für das politische Selbstverständnis der Stadtstaaten war das Ideal der „politischen Selbstverwaltung und -regierung durch ihre Bürger und das Streben nach innerer und äußerer Unabhängigkeit“4. Im Vordergrund der Bemühungen der Stadtstaaten standen also insbesondere die Ziele von politischer Autarkie und politischer Autonomie, die untrennbar mit dem Streben nach der dauerhaften ökonomischen Versorgung der Einwohner mit den für das damalige Leben notwendigen wie wünschenswerten Gütern verbunden gewesen sind. Womit es nahe liegt, dass viele Stadtstaaten in regem wirtschaftlichen Austausch standen. Dennoch verfügten die meisten Poleis jeweils über ein eigenes Heer, ein eigenes Rechtswesen sowie über einen eigenen Kalender, und selbst im Zuge des mythischen Kults wurden innerhalb der einzelnen Stadtstaaten unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.

      Das politische Selbstverständnis der antiken Stadtstaaten der Klassik gründete sich auf zwei historisch-kategorischen Tatsachen der politischen Praxis (und zu einem überwiegenden Teil auch in der politischen Theorie), die im Zuge einer Auseinandersetzung rund um das Thema politischer Partizipation in der Antike angeführt werden müssen: die Teilung der Polis in freie und unfreie Menschen sowie das Paradigma des freien (männlichen) Bürgers innerhalb der Polis. Die Trennung von Freien und Unfreien kann trotz „aller Vielfalt der gesellschaftlichen und staatlichen Erscheinungsformen im antiken Griechenland“ als „ein grundlegendes Merkmal eines jeden antiken Staatswesens“5 angesehen werden, und zusätzlich ebenso auch die Beschränkung der Bürgerrechte und -pflichten auf den freien (männlichen) Bürger der Polis.

      Aus politischer Perspektive war die Unterscheidung zwischen Freien und Unfreien eine alltägliche Normalität, eine gängige politische Praxis. Der Bürger galt zumeist als frei und konnte eine Reihe von Bürgerrechten für sich in Anspruch nehmen: politische Mitsprache, Rechtsansprüche, Besitzerwerb etc. Doch mit diesen Bürgerrechten waren zumeist auch Bürgerpflichten verbunden: Wehrpflicht, politische Partizipation nach den Vorgaben des geltenden Rechts, die Pflicht zur Übernahme politischer Ämter, einhergehend mit der Verpflichtung, öffentliche Aufgaben zum Wohle der Polis für eine gewisse Dauer zu übernehmen etc. Keine persönlichen und politischen Rechte wurden hingegen jenen zugestanden, die als unfrei galten, im Besonderen den sogenannten Sklaven im Stand der Unfreiheit. Innerhalb der Unfreien gab es jedoch soziale Unterschiede und das Spektrum der unterschiedlichen Tätigkeiten bzw. Verpflichtungen war durchaus groß. Zum einen gab es Staatssklaven (Amtsdiener, Wächter, Bauarbeiter bis hin zu den staatlichen – wie auch den privaten – Bergwerkssklaven). Zum anderen gab es Haussklaven bzw. -knechte und -mägde, die innerhalb des Oikos (der Haus- und Hofgemeinschaft) ebenso unterschiedlichen Tätigkeiten nachgingen, dabei als Küchenhilfe, Hauslehrer, Amme, Hausarzt etc. tätig gewesen sind. Gänzlich ohne politische Rechte waren weiters Frauen und Kinder, selbst wenn die Stellung der Frau von Polis zu Polis variieren konnte. Und auch die Rechte oder vielmehr Nichtrechte von Gästen (den Metöken) oder von Fremden (den Xenoi) waren in den Stadtstaaten per Gesetz unterschiedlich definiert.

      Festzuhalten ist in Bezug auf die Zeit der griechischen Klassik:6 (i) Die Dichotomie der Unterscheidung „frei“ und „unfrei“, war eine gesellschaftspolitisch akzeptierte und in der politischen Praxis großteils unhinterfragte Tatsache, auch wenn in Dichtung und Philosophie gelegentlich über eine (mögliche) Rechtfertigung dieser Trennung diskutiert wurde. (ii) Die Unterscheidung „frei“ und „unfrei“, die Bestimmung des „freien Bürgers“ im Kontrast zum „unfreien Sklaven“, spiegelt nicht bloß einen formalen Rechtsstatus wider, sondern impliziert ein antikes politisches Selbstbewusstsein. Bereits bei Aischylos lässt sich diese Spur aufnehmen, wo die Athener – auf die Frage von Seiten der Perser nach dem Namen des Herrschers über die Athener – als freie Bürger bezeichnet werden, die keines Herren Sklaven und niemandes Untertan sind.7 (iii) Auf Seiten der Unfreien arbeiteten die Sklaven in den verschiedensten, mitunter auch in vertraulichen Bereichen bzw. Beziehungen und erhielten dafür unterschiedlich hohe soziale Anerkennung, was allerdings nichts an dem nicht vorhandenen allgemeinen Rechtsstatus, außer jenem des Besitzanspruchs des Herren, änderte. (iv) Sklaven waren dem Menschenhandel mit allen seinen Symptomen schutzlos ausgeliefert, galten als Ware, als Besitz und als Werkzeug. (v) Unfreie (Männer, Frauen, Kinder) waren aber nicht nur rechtlich und politisch enteignet, sondern wurden auch aus anthropologisch-philosophischer Perspektive schlechter gestellt bzw. in anderer Art und Weise betrachtet als Freie.

      2. Antike politische Theorie: Anthropologie und Partizipation im besten Staat

      Einen unverzichtbaren wie in fast allen Belangen bedeutenden Bestandteil der antiken klassischen politischen Philosophie bildet das Denken des Aristoteles. Gleichwohl er an der grundlegenden Unterscheidung von Freien und Unfreien festhält. In Entwicklung und Darstellung seiner praktischen Philosophie behandelt er dennoch in scharfsinniger wie umsichtiger Art und Weise die „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“8, die eine untrennbare Symbiose von Ethik und Politik darstellt und dabei auch eine konkrete politische Anthropologie beinhaltet, ein politisches Menschenbild im weiteren Sinne,9 das im Laufe der Geschichte der Philosophie und des politischen Denkens viel Anklang aber auch Kritik erfahren hat. Die zentralen Grundlagen dieser politischen Anthropologie lassen sich in drei knappen Punkten darstellen:

      (i) In seiner „Politik“ bestimmt Aristoteles den Menschen als ein Wesen, das von Natur aus ein politisches Leben lebt, im Altgriechischen als ein zôon politikon. Doch diese Bestimmung des Menschen als ein politisches Lebewesen sei, so Aristoteles, kein tatsächliches Alleinstellungsmerkmal des Menschen, zumal auch Bienen und andere Tiere (wie z. B. die Ameisen) seiner Beobachtung nach ihr Leben in politischer Art und Weise führen würden.10 Die Bestimmung des Menschen als zôon politikon bei Aristoteles ist also zuallererst einmal eine biologische Einsicht, die auf den Menschen und dessen Natur zwar ebenso zutrifft, jedoch nicht ausschließlich.

      (ii) Erst die zweite politisch-anthropologische Definition des Aristoteles zeichnet den Menschen nun in besonderer Art und Weise aus. Denn der Mensch ist nicht nur zôon politikon,

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