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      Koroljow erstarrte für eine Sekunde, nickte dann aber verstehend. Aus dieser Falle gab es kein Entrinnen. Nur einen Augenblick später hallte der Evakuierungsalarm über die Brücke und durch sämtliche Korridore des Angriffskreuzers. Eine blecherne Computerstimme gab parallel hierzu Anweisungen.

      »Alle Mann sofort von Bord! Alle Mann sofort von Bord! Rettungskapseln und Shuttles stehen ausreichend zur Verfügung. Folgen Sie dem Protokoll! Alle Mann von Bord!« Von diesem Moment an wiederholte sich die Ansage nur noch endlos.

      Der taktische Offizier schoss die Sonde aus einem der Hecktorpedorohre.

      Sorokin schnallte sich los. Sein taktisches Hologramm flackerte, fiel aus, kam wieder, flackerte erneut und stabilisierte sich abermals. Es war kaum etwas Sinnvolles zu erkennen. Dennoch hielt Sorokin inne und beobachtete, wie die Sonde die gegnerischen Linien durchstieß und konstant Geschwindigkeit aufbaute. Es würde noch gut sechs Stunden dauern, bis sie von hier aus endlich aus dem System springen konnte. Sorokin betete inständig dafür, dass sie es schaffte. Falls die Informationen an Bord der Sonde den republikanischen Raum erreichten, dann waren die heute erbrachten Opfer nicht umsonst gewesen. Falls sie zerstört wurde, dann hatte der Verlust der Sevastopol nicht den geringsten Sinn erbracht.

      Koroljow packte seinen Commodore am Kragen und zerrte ihn mit sich. Für die Brückencrew gab es ein separates Evakuierungsdeck. Marines in ihren leichten, für den Einsatz im All entwickelten Rüstungen erwarteten sie und die Rüstungen der Brückenbesatzung standen schon bereit. Sorokin, Koroljow, Walsh und der taktische Offizier schlüpften in die Armierung und verschlossen die Panzerung. Die Versiegelung auf dem Rücken rastete mit mechanischem Klicken ein.

      Die Brücke wurde getroffen und aus ihrer Verankerung gerissen. Sorokin aktivierte seine magnetischen Stiefel. Zwei Mitglieder seiner Crew hatten weniger Glück. Sie wurden in die Kälte des Alls gerissen, noch bevor sie ihre Rüstungen erreichten.

      Die Marines führten die Überlebenden durch das entstandene Vakuum zu der für sie zuständigen Evakuierungsstelle. Ein Shuttle wartete mit verheißungsvoll geöffneter Luke. Einer der Marines stand in der Öffnung und winkte aufgeregt mit einem Arm. Der Mann sagte kein Wort, aber die Körpersprache war unmissverständlich. Sie sollten sich gefälligst beeilen.

      Nacheinander drängten sie sich durch die Luke. Sitze gab es keine, um möglichst viele Menschen aufzunehmen. Stattdessen hielten sich die Männer und Frauen an einer Deckenverstrebung fest und verriegelten den entsprechenden Arm. Kaum war der Letzte von ihnen an Bord, schloss sich die Luke und das Shuttle steuerte aus dem kleinen Hangar.

      Sorokin wartete die ganze Zeit auf den einen letzten feindlichen Schuss, der ihr kleines Vehikel vom Himmel pusten und sie alle ins Jenseits schicken würde. Doch nichts dergleichen geschah. Sie steuerten unbehelligt die Oberfläche an. Rettungskapseln und vereinzelte Shuttles begleiteten sie. Die Hinrady eröffneten die Jagdsaison. Systematisch benutzten sie die fliehenden Menschen für Zielübungen. Unmittelbar neben Sorokins Shuttle wurde eine Kapsel atomisiert, gefolgt von einer zweiten und einer Landefähre. Er fragte sich, wie viele von ihnen es wohl bis zur Oberfläche schaffen würden.

      »Commodore?«, hörte er die Stimme des Piloten in seinem Helm. »An Steuerbord.«

      Sorokin beugte sich vor und spähte durch eines der Bullaugen. Er hatte einen Logenplatz beim Absturz seiner geliebten Sevastopol. Die beiden größten Trümmerstücke stürzten an seinem Fluchtshuttle vorbei und traten in die Atmosphäre von Tau’irin ein. Sie zogen einen roten Schweif hinter sich her. Sorokin musterte missmutig die Welt, auf der sie nun für eine ungewisse Zeit Zuflucht finden mussten. Es war fraglich, ob sie dort länger überleben konnten. Tau’irin war eine Welt bedeckt von Schnee und Eis.

Teil I. Das letzte Aufgebot

      1

      Vector Prime –

       militärisches Aufmarschgebiet für Operation Grabstein

       25. Februar 2899

      »Nichts auf der Welt ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.«

      Victor Hugo

      Major Andreas Rinaldi hätte gern behauptet, Master Sergeant Tian Chung wäre schwierig zu finden gewesen. Man musste jedoch neuerdings nur die schäbigsten, von allerhand zwielichtigem Gesindel besuchten Kneipen abklappern. Irgendwann würde man zwangsläufig auf den Legionär stoßen.

      Rinaldi verzog angewidert die Miene, als ihm der Gestank von billigem Fusel, dem aufdringlichen Parfum von Damen zweifelhaften Rufes sowie Erbrochenem in die Nase stieg. Von allen Kneipen in Cibola war diese Spelunke ohne Zweifel die heruntergekommenste.

      Der Major blieb auf der obersten Stufe am Eingang stehen und verschaffte sich erst einmal einen Überblick. Links von ihm war gerade eine Schlägerei dabei auszubrechen, aber niemand – insbesondere die Security – schien sich sonderlich für diesen Umstand zu interessieren. Rinaldi versicherte sich schnell, dass Chung nicht mit von der Partie war, und ignorierte den Kampf dann ebenso.

      In dem Dämmerlicht, das hier herrschte, konnte man kaum fünf Meter weit sehen, aber Rinaldi meinte, den breiten Rücken des Master Sergeants an der Bar zu erkennen. Der Major setzte sich in Bewegung und arbeitete sich durch die Masse an Leibern, die in der Mitte des Etablissements zu schrillen Klängen in ekstatischen Verrenkungen tanzten – und das, obwohl diese sogenannte Kneipe gar keine Tanzfläche besaß.

      Rinaldi ignorierte die Offerten mehrerer junger Damen und ließ sein Ziel nicht aus den Augen. Als er die Bar endlich erreichte, stellte er zu seiner grenzenlosen Erleichterung fest, dass er tatsächlich den Master Sergeant vor sich hatte – und dieser war sternhagelvoll.

      Rinaldi zog sich einen Barhocker heran und setzte sich leger. Er beobachtete Chung eine Weile, wie dieser schweigsam einen Schnaps nach dem anderen kippte. Rinaldi war überzeugt, dass Chung seine Anwesenheit bereits bemerkt hatte, aber noch nicht geruhte, diese zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich hielt der Unteroffizier es nicht länger aus und warf seinem Major einen scharfen Seitenblick zu.

      »Wie lange hat es gedauert, bis Sie mich gefunden haben?«

      Rinaldi zuckte mit den Achseln. »Länger, als ich eigentlich zugeben möchte.« Er deutete auf das letzte leere Glas, das vor Chung auf dem Tresen stand. »Harter Tag?«

      Chung schnaubte. »Hartes Leben.«

      Rinaldi nickte verstehend. »Hernandez.«

      »Corporal Hernandez«, versetzte Chung scharf. »Francine«, fügte er leiser hinzu.

      Rinaldi senkte den Kopf. »Es ist schwer, jemanden zu verlieren. Glauben Sie mir, ich weiß das. In den letzten Jahren musste ich viele Briefe an unzählige Angehörige schreiben. Und ja, ich habe es manchmal wirklich satt, gute Männer und Frauen in Leichensäcken nach Hause zu schicken.« Er bedachte das nächste Glas, das Chung sich schnappte, mit finsterem Blick. »Aber ich habe mich niemals derart gehen lassen.«

      Ungerührt über die unverblümte Äußerung, kippte Chung den Inhalt in einem Zug hinunter. Rinaldi verzog schmerzhaft berührt die Miene. Er wusste genau, was Chung sich da Glas um Glas einverleibte. Unter Soldaten nannte man den Drink Supernova. Das sagte eigentlich schon alles. Nach allen gängigen Regeln der Physik hätte sich Chung schon längst Speiseröhre und Magen mit dem Zeug verätzen müssen.

      »Der wievielte ist das heute schon?«

      Chung zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, der dritte, glaube ich.«

      Rinaldi warf einen fragenden Blick Richtung Barkeeper. Dieser machte mit beiden Händen eine eindeutige Geste. »Laut ihrem Freund da drüben wohl eher der neunte.«

      Abermals zuckte Chung mit den Achseln. »Ich bin am Feiern. Ich feiere das Leben meiner gefallenen Kameradin.« Chung hob das zehnte Glas mit diesem Teufelszeug und prostete damit niemand Besonderem zu. »Auf dich, Francine!« Erneut stürzte er das Glas in einem Zug hinunter. Rinaldi wurde schon vom Zusehen schlecht.

      Der Master Sergeant hob die Hand, um ein elftes Glas zu ordern, aber Rinaldi kam ihm zuvor. »Das reicht jetzt.« An den

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