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2011) ein Zusammenspiel der (schon im Neugeborenenalter funktionsfähigen) Gefühlsansteckung mit der sogenannten „Ich-Andere-Differenzierung“. Letztere ist eine Errungenschaft des sich mit 1.5 Jahren herausbildenden Selbstkonzepts, das die Repräsentation des Selbst und des Anderen auf der Vorstellungsebene ermöglicht.

      situationsvermittelte Empathie

      Bei der situationsvermittelten Empathie kommt Gefühlsansteckung als emotionaler Auslöse-Mechanismus nicht in Frage. Die emotionale Bedeutung einer Situation wird nach Bischof-Köhler (1989) über die Mechanismen der simultanen Identifikation und der damit verbundenen Perspektiveninduktion vermittelt. Diese Mechanismen machen es möglich, „das Selbst und den Anderen als wesensverwandt und daher zu einer Schicksalseinheit verbunden zu sehen. Was dem Anderen widerfährt erlebt man dann, als wäre man selbst betroffen. Man fühlt sich in seine Lage versetzt und reagiert emotional auf seine Situation“ (Bischof-Köhler 1989, 60).

      neuropsychologische Befunde zur Empathie

      Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass empathische Reaktionen zwar weitgehend auf unbewusst und schnell ablaufenden Prozessen beruhen, die durch emotionale Hinweise (z.B. ein Bild einer verletzten Person) ausgelöst werden. Gleichzeitig hat diese Forschung aber auf die Rolle von impliziten Bewertungsprozessen hingewiesen, die die empathische Reaktion deutlich modulieren können (de Vignemont/Singer 2006).

      Diese Bewertungen können sich z.B. auf die Person beziehen, deren Emotion eine empathische Reaktion auslösen sollte. Hat man z.B. erlebt, dass einen diese Person unmittelbar vorher unfair behandelt hat, dann bringt man weniger Mitgefühl auf, wenn diese Person unter Kopfschmerzen leidet. Aufgrund der nachgewiesenen Wirkung parallel ablaufender Bewertungsprozesse (de Vignemont/Singer 2006) ist die Annahme plausibel, dass die Entwicklung der Empathie im Verlauf der Kindheit durch die weitere sozial-kognitive Entwicklung mitgeformt wird (vgl. Kapitel 4.3).

      3.4.2 | Temperament

      Eltern wissen aus Beobachtung und Erfahrung, dass sich Kinder von Anfang an unterscheiden: Es gibt aktive und ruhige Neugeborene und Kleinkinder, solche die häufig und anhaltend schreien und nur schwer zu beruhigen sind und wieder andere, die selten schreien und leicht zu beruhigen sind. Kinder unterscheiden sich in ihren motorischen Aktivitäten und in ihren Reaktionen auf unbekannte Situationen voneinander und so weiter.

      Galen

      Das alles sind längst bekannte Fakten, wie dieses Zitat von Galen zeigt:

      „Die Grundlage meiner ganzen Argumentation ist das Wissen von Unterschieden, die bei kleinen Kindern beobachtet werden können und uns die Eigenschaften der Seele enthüllen. Einige [Kinder] sind sehr träge, andere heftig; einige unersättliche Feinschmecker, andere gerade das Gegenteil; sie können schamlos sein oder schüchtern und zeigen viele andere analoge Unterschiede.“ (Galen, ca. 150 n. Chr., zit. nach Zentner 1993)

      Hippokrates

      Der Versuch, die Unterschiede zwischen den Menschen zu ordnen und zu erklären, hat eine lange Tradition: Hippokrates (460 v. Chr.) knüpfte an altindische und babylonische Überlegungen an und ging davon aus, dass die Dominanz bestimmter Körpersäfte zur Ausbildung des Temperaments führe.

      Theophrast (319 v. Chr.) und Galen verbanden diese Annahme mit den vier bis heute populären Temperamenttypen des Sanguinikers, Melancholikers, Cholerikers und Phlegmatikers (Allport 1970). Je nach Verhältnis zwischen den Körpersäften resultiere mehr oder weniger deutlich einer der vier Typen (temperare = stimmen, abstimmen).

      empirischer Zugang

      Verbesserte Methoden der empirischen Psychologie ließen jedoch bald erkennen, dass solche weitgehend intuitiv konstruierten Typologien im Allgemeinen kaum systematisch mit dem tatsächlichen Erleben und Verhalten zusammenhängen und auch kaum Vorhersagen auf zukünftiges Verhalten erlauben (Mangel an Prädiktabilität).

      multidimensionaler Ansatz

      Die differentielle Psychologie ging in der Folge – im Gegensatz zu den Typologien – von einem multidimensionalen Ansatz aus und postulierte Persönlichkeitsdimensionen, die weitgehend unabhängig voneinander sind. Analog dazu ging auch die sich ab den 1950er-Jahren entfaltende moderne Temperamentsforschung von einem multidimensionalen Konzept aus. Nachfolgend werden die Grundannahmen und Ergebnisse der modernen psychologischen Temperamentsforschung skizziert.

      Grundannahmen

      Temperamentsunterschiede beziehen sich nach Bates (1989) auf:

      images Unterschiede im beobachtbaren Verhalten,

      images biologische, insbesondere neurophysiologische Unterschiede,

      images angeborene, insbesondere hereditär (erblich) bedingte Unterschiede.

       Definition

      Bates (1989) definierte das Temperament so: „[It] consists of biologically rooted individual differences in behavior tendencies that are present early in life and are relatively stable across various kinds of situations and over the course of time“ (Bates 1989, 4).

      interindividuelle Verhaltensunterschiede

      Der Temperamentsbegriff bezieht sich also auf beobachtbare interindividuelle Verhaltensunterschiede (Thomas et al. 1968), insbesondere auf Unterschiede in der Intensität des Emotions- und Erregungsausdruckes (z.B. Schreien), in der motorischen Aktivität (z.B. Strampeln im Bettchen) und auf Unterschiede im Schlaf-Wach-Rhythmus, die über verschiedene Situationen und über längere Zeit stabil bleiben.

      Diese Verhaltensunterschiede basieren nach Ansicht der meisten Forscher auf biologischen Unterschieden (Bates 1989), zeigen sich schon in der frühen Kindheit (Goldsmith et al. 1987) und sind weitgehend genetisch bedingt (Buss/Plomin 1984; Thompson 1990; Emde et al. 1992; Goldsmith 1989; Saudino et al. 1995; Schmitz et al. 1996).

       Studie

      In einer der wichtigsten empirischen Längsschnittstudien über das Temperament von Kindern, der New York Longitudinal Study (NYLS) von Alexander Thomas und Stella Chess (1977) wurde das Temperament nicht direkt beobachtet, sondern mittels persönlicher Befragung der Mütter erfasst.

      Diese Studie begann 1956 mit 141 Kindern aus 85 Familien, später wurden weitere Untersuchungsgruppen aufgenommen (Frühgeburten, Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien, Kinder mit geistiger Behinderung). Die Interviews mit den Müttern erfolgten in den ersten 2 Jahren nach der Geburt alle 3 Monate und danach bis zum 7. Lebensjahr in größeren Abständen (zuerst in halbjährlichen, später in jährlichen Abständen).

      Später wurden nochmals zu 2 Zeitpunkten Interviews durchgeführt, einmal als die Kinder im Jugendalter waren und nochmals im frühen Erwachsenenalter. Interviewpartner waren jetzt die Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen selbst.

      Thomas und Chess (1977) definierten das Temperament als einen Verhaltensstil: Es interessierte die Art und Weise, wie sich das Kind verhält und wie es handelt, und nicht weshalb oder wie gut es gewisse Dinge tun kann.

      Dimensionen bei Thomas und Chess

      Sie operationalisierten das Konstrukt durch 9 Temperamentsdimensionen:

       Kasten

       Temperamentsdimensionen nach Thomas und Chess:

      (1) Annäherung vs. Rückzug gegenüber neuen Erfahrungen (approach/withdrawal)

      (2) Anpassung an Veränderungen (adaptibility)

      (3) positive vs. negative Stimmungen (mood)

      (4) Intensität emotionaler Reaktionen (intensity)

      (5)

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