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Überreste von bizarren, oft riesigen Lemuren, die Faultieren oder Koalas ähnelten (Megaladapidae, Palaeopropithecidae) oder an Affen erinnerten (Archaeolemuridae).

      1.1.6 Trockennasenprimaten (Haplorrhini)

      Die zweite Gruppe der Primaten, die Haplorrhini (Trockennasenprimaten), umschließt die traditionell für Halbaffen gehaltenen südasiatischen Koboldmakis (Tarsiiformes) und die eigentlichen Affen (Simiiformes, Simiae, Anthropoidea). Die Monophylie der Trockennasenprimaten ist molekular und morphologisch gut begründet, insbesondere durch folgende Merkmale:

      Rückbildung der Vibrissen und Verschwinden des Rhinariums, also Entstehung einer affen- bzw. menschenartigen Nase, anstelle des Oberlippenspaltes entsteht das Philtrum, eine vertikale Rinne zwischen Nase und Mitte der Oberlippe;

       regelmäßiger, ca. 30-tägiger Ovulationszyklus, der die saisonale Brunst ersetzt, Menstruation;

       hämochoriale Plazenta, mit in die Gebärmutterschleimhaut tief eindringenden und die Blutgefäße erodierenden Chorionzotten;

       Fehlen eines Enzyms für die Synthese von Ascorbinsäure (die nun mit der Nahrung zugeliefert werden muss und so „Vitamin C“ wird);

       primäre Tagaktivität, das Tapetum lucidum fehlt, auch die sekundär nachtaktiven Nachtaffen und Koboldmakis (kleine, insektivore „Halbaffen“ aus Südostasien, die monogam leben und eine zweigeteilte Gebärmutter, Uterus bicornis, aufweisen) besitzen keines mehr.

      Die Hauptmerkmale der eigentlichen Affen sind:

       Gehirnvergrößerung, Vermehrung der Falten der Hirnrinde;

       mediane Verschmelzung der Stirnbeine und der Unterkieferäste, sowie Bildung von Augenhöhlen, die auch von hinten durch den Schädelknochen abgeschlossen sind.

      Zu den eigentlichen Affen gehören die (südamerikanischen) Neuweltaffen (Breitnasenaffen, Platyrrhini) und die Altweltaffen (Schmalnasenaffen, Catarrhini). Bei Neuweltaffen unterscheiden wir fünf Familien: Pitheciidae (Sakiaffen), Atelidae (Klammerschwanzaffen), Callitrichidae (Krallenaffen), Aotidae (Nachtaffen) und Cebidae (Kapuzinerartige). Sie alle sind charakterisiert durch seitlich orientierte Nasenöffnungen, komplett knorpelige äußere Gehörgänge und oft auch durch einen Greifschwanz. Die Altweltaffen unterteilt man in drei Familien: Cercopithecidae (Meerkatzenartige), Hylobatidae (Gibbons) und Hominidae (Menschenaffen, Mensch). Sie besitzen nach vorne bzw. unten orientierte, durch eine schmale Scheidewand getrennte Nasenlöcher, teilweise verknöcherte äußere Gehörgänge und einen reduzierten dritten Prämolar.

      1.1.7 Artenvielfalt

      Die Anzahl der heute existierenden Primatenarten ist unklar und wird derzeit (Stand November 2013) mit 480 angegeben. Die Zahl wächst seit einigen Jahren steil an, jedoch nicht etwa weil ganz neue, vorher nie gesehene Arten entdeckt würden. Zwar passiert das gelegentlich auch heute noch – so z.B. wurde 2003 in den Gebirgen von Tansania eine neue, mit Pavianen verwandte Affenart entdeckt und 2005 erstmals wissenschaftlich beschrieben: der Kipunji (Rungwecebus kipunji); und erst 2007 wurde in der Demokratischen Republik Kongo die Lomami-Meerkatze (Cercopithecus lomamiensis) entdeckt und 2012 beschrieben.

      Box 1.2

      Artbegriff

      Organismen bilden natürliche, oft scharf abgegrenzte Gruppen – Arten (Spezies). Üblicherweise verstehen wir unter einer Art die kleinste evolutionär isolierte phylogenetische Linie, denn die Art stellt die taxonomische Grundeinheit dar. Es gibt zahlreiche prinzipiell unterschiedliche theoretische (naturphilosophische und taxonomische) Auffassungen und Definitionen des Artbegriffs. Die typologische Art-Definition beruht darauf, dass die zu einer Art gehörenden Individuen untereinander phänotypisch ähnlicher sind als Individuen verschiedener Arten. Am häufigsten werden für die Artdiagnose morphologische Merkmale herangezogen, weshalb man in diesem Zusammenhang auch von einer „morphologischen Art“ (Morphospezies) spricht. Arten, die in ihrem gesamten Verbreitungsareal nur durch eine Form vertreten sind, werden als monotypisch bezeichnet. Polytypisch ist eine Art dann, wenn sie in mehreren phänotypischen Formen (Unterarten) vorkommt.

      Ein Problem für die Diagnose der morphologischen Art stellt die Existenz von Geschwisterarten (sibling species, kryptische Arten) dar: Diese Arten können mit morphologischen Methoden kaum unterschieden werden, dafür unterscheiden sie sich in ethologischen oder ökologischen Eigenschaften oder anhand der geografischen Verbreitung. Der Phänotyp von Individuen einer Art kann sich auch in Abhängigkeit von Geschlecht (Geschlechtsdimorphismus), Alter (Alterspolymorphismus) oder Sozialstatus (ethologischer Polymorphismus) unterscheiden bzw. eine klinale Variabilität aufweisen, d.h. einen allmählichen Gradienten, abhängig vom Ort des Vorkommens (z.B. Breitengrad oder Höhe über dem Meeresspiegel). Die Auswahl eines diagnostischen Merkmals unterliegt meistens pragmatischen Aspekten.

      Die Definition der „biologischen Art“, vielleicht das älteste Konzept von der Art als natürliches Taxon, stammt von Georges-Louis Leclerc de Buffon (1855). Populär wurde dieses Konzept aber erst 1963 durch den berühmten Evolutionsbiologen Ernst Mayr. Nach seiner inzwischen klassischen Lehrbuchdefinition wird die Art als eine Gruppe von Populationen definiert, deren Mitglieder sich untereinander sexuell fortpflanzen können und fruchtbare Nachkommen haben, wobei diese Gruppe von anderen Gruppen reproduktiv isoliert ist. Diese Art-Definition ignoriert also alle sich asexuell und parthenogenetisch fortpflanzenden Organismen. Darüber hinaus kann sie auf viele Organismen nicht praktisch angewandt werden. Viele beschriebene Arten kennen wir nur anhand eines oder weniger konservierter Museumsexemplare, bei denen die Kreuzbarkeit nicht zu überprüfen ist. Auch wenn wir manche Arten, wie z.B. Zebras oder Menschenaffen, die häufig in Zoos gehalten werden, gut kennen, ist die Frage, ob sie sich untereinander fruchtbar kreuzen lassen, nicht einfach zu beantworten. Individuen einer geografisch isolierten (= allopatrischen) Population, die sich nie begegnen, können sich natürlich auch nicht kreuzen. Ein Labortest ist hier nicht von Nutzen, denn im Labor können sich auch solche Arten miteinander fortpflanzen, die in der Natur klar abgegrenzte Evolutionslinien darstellen. Gerade die allopatrischen Arten, die sich in der Natur nie begegnen können, haben oft keine speziellen reproduktiven Isolationsmechanismen ausgebildet. Ob wir den Alpenschneehasen für eine selbstständige Art oder für eine Unterart des nördlichen Schneehasen halten, kann nicht anders entschieden werden, als durch den Hinweis auf die von uns vertretene taxonomische Konzeption.

      In letzter Zeit wird daher, mehr oder weniger aus praktischen Gründen, eine andere Art-Definition angewendet, die sogenannte „phylogenetische Art“. Diese wird als Gruppe von Individuen aufgefasst, die ein bestimmtes einzigartiges Merkmal teilen, das in keiner anderen Gruppe vorkommt und nicht an ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Alterskohorte gebunden ist. Diese pragmatische Auffassung (die Art ist hinsichtlich eines Merkmals uniform und gleichzeitig auch unikat) entspricht am besten der allgemeinen Auffassung, nämlich eine Art als eine unabhängige evolutive Linie zu begreifen. Da der Genfluss nur innerhalb der phylogenetischen Arten und nicht zwischen verschiedenen Arten stattfindet, entwickeln sich unikate, aber im Rahmen einer Art uniform verbreitete Merkmale. Dadurch kommen wir auf einem Umweg wieder zur „biologischen Art“. Die Artzugehörigkeit bestimmen wir jedoch durch die Analyse der Individuen, also aufgrund von Organismen, die wir tatsächlich sehen, und nicht durch Spekulationen über die Populationsgenetik der teilnehmenden Organismen, über die wir gewöhnlich kaum etwas wissen. Wir sollten hinzufügen, dass zur Diagnose nicht nur die morphologischen Merkmale, sondern auch molekulare, ökologische oder ethologische Merkmale verwendet werden können; wichtig ist nur ihre unikat-uniforme Verteilung.

      In der derzeit populären Praxis führt die Anwendung der „phylogenetischen Art“ dazu, dass allopatrische Populationen, die sich vielleicht nur geringfügig, dafür aber in unikaten Merkmalen unterscheiden, zu selbständigen Arten werden, während eine graduelle Variabilität innerhalb von Populationen ihren taxonomischen Wert zunehmend verliert. Die Taxonomie wird dadurch vereinfacht – die komplizierte Hierarchie der Arten, Unterarten, Formen und Varietäten verschwindet; dafür aber wächst die Zahl der Arten (die numerische Analyse der taxonomischen Revisionen zeigt einen Anstieg von fast 50%). Dies hat natürlich auch wichtige praktische Konsequenzen für den Arten- und Naturschutz. Eine phylogenetische Art ist schneller „vom Aussterben bedroht“

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