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Wir nehmen nicht an, dass es sein eigenes Verhalten als motiviert verstehen kann – obwohl wir uns durchaus sagen könnten, das Motiv für das Kratzen am Schrank liege darin, den ‚Dosenöffner‘ zum Öffnen der Tür und zur Bereitstellung der angestrebten Katzenkekse zu bewegen.

      Wir unterstellen der Katze also keine Absichten im vollen Sinne dieses Wortes, ebenso wenig wie wir von dem Schlagen unseres eigenen Herzens sagen würden, es geschehe mit Absicht und wir würden ein Motiv damit verbinden. An dieser Stelle [<<37] wird aber schon deutlich, dass die Abgrenzung zwischen Verhalten und Handeln nicht sehr trennscharf ist. Max Weber hat dies im Zusammenhang mit einem bestimmten Handlungstyp auch zugegeben. Handeln kann aus bloßer Gewohnheit geschehen und wir können dann von ‚traditionalem Handeln‘ sprechen. Wir überlegen dann nicht mehr, sondern führen komplizierte Bewegungsabläufe aus, weil wir es jeden Tag so tun, etwa beim Zähneputzen oder Rasieren. Es könnte aber auch sein, dass jemand überhaupt nicht bereit ist, dem Verhalten der Katze jeden Sinn abzusprechen, und ihr sehr wohl ein Mindestmaß an Bewusstsein von sich selbst zuschreiben möchte, wie es für ein solch subjektives Erleben und für Verhalten auf der Grundlage von Absichten notwendig ist. Dagegen hätte man in früherer Zeit die kulturellen Selbstverständlichkeiten vorgebracht, auf deren Grundlage wir Tieren so etwas eben nicht zuschreiben. Heute sind unsere Vorstellungen anders, weshalb jene Unterscheidung noch weniger trennscharf geworden ist, als sie es aus sich selbst heraus schon ist.

      Damit sind wir aber schon bei einem weiteren Begriff, der für das Verständnis des Handelns entscheidend ist. Dass ein anderes Lebewesen gehandelt – und sich nicht nur verhalten – hat, dies können wir durch bloße Beobachtung nicht erkennen. Das Standardbeispiel ist hier das Heben des Armes. Dieser Vorgang lässt sich zunächst als Ereignis in der natürlichen Welt vollständig objektiv beschreiben, wobei wir auch physiologische und neurologische Begriffe heranziehen können. Aber dieses Ereignis kann auch ein Grüßen oder eine Warnung bedeuten und damit eine Handlung darstellen, für die subjektiv ein Motiv bzw. eine Absicht besteht. Es stellt sich also in Bezug auf die Unterscheidung die Frage, wie wir – die Beobachter – das eine vom anderen unterscheiden. Wir müssen dafür ja offensichtlich erkennen, dass das andere Lebewesen subjektiven Sinn mit seinem Verhalten verbindet, d. h., dass es grüßen oder warnen will und den Arm nicht etwa nur gehoben hat, weil es durch ein Muskelzucken dazu gezwungen war. Die Antwort darauf lautet: Handeln können wir nicht durch bloßes Beobachten erkennen, sondern wir müssen es deutend verstehen.

      Wir interpretieren (‚deuten‘) das beobachtbare Heben des Armes als Grüßen oder als Warnen, d. h., wir nehmen etwas als etwas und bleiben nicht bei der bloßen Beobachtung stehen. Dies geschieht im Falle des Handelns aber nicht so, wie wir eine Hauskatze als der Gattung der Feliden zugehörig auffassen (also sie in die zoologische Klassifikation nach Arten und Gattungen einordnen) oder ein Muskelzucken als Wirkung eines elektrischen Reizes bezeichnen können (also ein Ereignis durch seine Ursache erklären). Das hier gemeinte Interpretieren sollten wir besser von der Interpretation eines Textes her auffassen. Wir lesen ein belletristisches Werk und versuchen beim Lesen den Sinn aufzufinden, was etwa das sein könnte, was der Autor des Buches sagen wollte. Das können wir nicht durch Beobachtung feststellen, sondern indem wir deutend verstehen. [<<38] Wir erklären den Text aber nicht und wir suchen nicht nach Ursachen. Wir stellen also eine Motivations- bzw. Absichtsbeziehung zwischen dem Autor und dem Text her und sagen dann, wir hätten das Werk verstanden.

      Damit sind wir wieder bei jenem Bewusstsein von sich selbst, das wir oben schon als Kriterium für die Unterscheidung einer Handlung von einem Verhalten (einem Ereignis in der Welt) herangezogen hatten. Wir müssen in der Deutung eines Verhaltens dazu kommen, ein Selbstverstehen zu erkennen, um darin einen Akteur zu erkennen (Habermas schreibt übrigens meistens ‚Aktor‘). Das können wir aber nicht durch die bloße Beobachtung, obwohl wir ohne Beobachten nicht die Grundlage für ein Verstehen gewinnen können; denn wenn wir nicht sehen, dass jemand den Arm hebt, können wir auch nicht interpretieren, dies sei zum Zwecke und aus der Motivation des Grüßens geschehen.

      Eine Handlung fassen wir also nur durch die Leistung eines Fremdverstehens als solche auf. Wir verstehen, dass ein anderes Lebewesen sich so auf sich bezieht, dass es sich versteht und damit seinem Verhalten einen Sinn, eine Motivation und damit eine Deutung gibt. Wir verstehen, dass das Heben des Arms von eben diesem Menschen, der den Arm hebt, als Grüßen gemeint ist. Das können wir demnach nur, wenn wir uns selbst ebenso als verstehende Lebewesen auffassen, die ein bewusstes Verhältnis zu sich selbst einnehmen.

      In dieser Tradition können wir demnach also keine scharfe Grenze zwischen Bewusstseinsprozessen und sozialen Vorgängen als Handlungszusammenhängen ziehen. Wir könnten auch sagen, dass sich im Begriff des Handelns das Psychische (verstanden als Bezug des Handelnden auf sich selbst) und das Soziale (verstanden als aufeinander bezogene Handlungen und Systeme von Handlungen) so eng miteinander verbinden, dass eine Trennung nur abstraktiv möglich ist.

      2.1.3 Handeln, Kommunikation und ‚System‘

      Wir können an dieser Stelle diesen Ausgangspunkt der Habermas’schen Philosophie in ihrer Verschränkung mit Soziologie abgrenzen von dem Gegenspieler in der Soziologie, mit dem sich Habermas besonders intensiv auseinandergesetzt hat, nämlich von Niklas Luhmann und seiner Systemtheorie. Hier beruht das Verständnis des Sozialen keineswegs auf Handlungen, sondern die ‚Basiseinheit‘ des Sozialen stellt Kommunikation dar – allerdings nicht in der Gestalt eines kommunikativen Handelns. Als ‚Kommunikation‘ gilt bei Luhmann die Operation eines sozialen Systems, durch welche es sich von seiner Umwelt abgrenzt und dadurch als solches erzeugt und erhält. ‚Kommunikation‘ wird in diesem Zusammenhang als vollständig unabhängig von Bewusstseinsprozessen der beteiligten Personen aufgefasst. [<<39]

      Die zentrale Kategorie ist hier vielmehr das ‚kommunikative Verstehen‘, d. h., Kommunikation hängt nicht von dem ab, was jemand gemeint hat, sondern von der Auffassung bzw. Zuschreibung eines Verhaltens als kommunikativ durch den Anschluss von anderem Verhalten, das wiederum als kommunikativ aufgefasst wird, weil es wiederum Anschlusshandlungen bzw. –äußerungen produziert. ‚Kommunikativ‘ wird ein Verhalten also nur deshalb, weil es so aufgefasst wird – die Meinung des dann als ‚kommunizierend‘ bezeichneten Akteurs ist dafür vollständig gleichgültig. Die Bewusstseinsprozesse der beteiligten Menschen und damit ihre ‚psychischen‘ Zustände können dabei gänzlich außer Acht bleiben.

      Die Gegenposition zu der Auffassung von Handlungen, an die sich Habermas mit seiner Theorie des sozialen und kommunikativen Handelns anschließt, könnte sich also darauf berufen, dass soziale Phänomene nicht von Akteuren her erklärt werden können, sondern dass solche Erklärungen in erster Linie Bezug auf soziale Strukturen oder soziale Systeme nehmen müssen oder, in einer sehr simplifizierten Form, auf ‚die Gesellschaft‘. Einen wichtigen Anfang für eine solche Form des Erklärens von ‚Handlungen‘ (wobei wir diesen Ausdruck nun in Anführungszeichen setzen müssen, weil es fraglich erscheint, ob hier das Gleiche gemeint ist wie in der Theorie, auf deren Grundlagen das Denken von Habermas entstanden ist) können wir etwa schon in der strukturalistischen Handlungstheorie von Talcott Parsons sehen, dem zufolge das fundamentale Theorem der Handlungstheorie darin bestehen müsse,

      „dass die Struktur von Handlungssystemen aus institutionalisierten (in sozialen und kulturellen Systemen) und/oder internalisierten (in Persönlichkeiten und Organismen) Mustern kultureller Bedeutung“

      Jene ‚strukturalistische‘ Handlungstheorie stellt den Anfang auf dem Weg zu der ‚strukturfunktionalistischen‘ Soziologie von Niklas Luhmann dar, die wir oben schon eingeführt haben.

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