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Handeln zwischen Menschen beschreiben, klassifizieren und gesetzesförmige Regelmäßigkeiten in Form von Theorien auffinden kann. Habermas würde dem nicht widersprechen. Sein Einwand würde jedoch lauten, dass die Soziologie es in diesem Fall nicht mit Handeln zu tun hat, sondern mit Fällen von Verhalten als Ereignissen in der Welt, die sich nicht prinzipiell von dem Phänomen unterscheiden, dass sich Massen (bzw. Massenpunkte) wechselseitig anziehen proportional zum Produkt der beiden Massen und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes voneinander, wie wir es unter dem Titel ‚Newton’sches Gravitationsgesetz‘ in der Schule gelernt haben.

      Natürlich kann man solche Beschreibungen vornehmen. Aber man muss sich bewusst sein, was man damit tut. Man lässt etwa außer Acht, was menschliches Handeln von Verhalten unterscheidet. Diese Unterscheidung wurde in der Geschichte des Denkens immer wieder dafür herangezogen, einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Menschen und allem anderen – tierischen und pflanzlichen – Leben zu markieren. Es handelt sich um eine Unterscheidung, mit deren Hilfe das zum Ausdruck gebracht wurde, was den Menschen ausmacht. Habermas schließt sich hier an einen der ältesten Begriffe an, mit denen Menschen in ihrem Selbstverständnis sich von der unbelebten Welt und ebenso von der lebendigen Welt der Pflanzen und Tiere unterschieden haben. Deshalb beansprucht er, dass Denken über die Welt und Denken des Denkens – Wissenschaft und Reflexion (Philosophie) – zusammenkommen müssen, soll das Phänomen ‚Handeln‘ nicht aus dem Bereich des Erkennens ausgeschlossen werden. [<<34]

      2.1.2 Handeln als Grundbegriff der Soziologie: Max Weber

      Vollständig neu ist eine solche Sichtweise keineswegs. Dies gilt für die Philosophie, auf die wir noch näher eingehen (Kapitel 2.2), aber auch für die Soziologie dort, wo sie mit einer Reflexion ihrer eigenen Grundlagen beschäftigt war. Es wird sich allerdings noch zeigen, dass Habermas dieses Verhältnis in Bezug auf das Phänomen des Handelns auf eine durchaus neue Weise denken wird. Beschränken wir uns aber zunächst auf die Soziologie. In der auf Max Weber aufbauenden und an ihn anschließenden Soziologie gilt die Soziologie als die Wissenschaft vom ‚sozialen Handeln‘, weshalb Handeln als der Grundbegriff der Soziologie erscheint. Alle anderen Phänomene, mit denen sich diese Wissenschaft beschäftigt, lassen sich von diesem Begriff her bestimmen, d. h., sie werden als besondere Formen des Handelns aufgefasst. Das ist von solchen Richtungen her nicht unmittelbar einsichtig, die ‚Gesellschaft‘ oder ‚soziale Systeme‘ bzw. ‚Institutionen‘ als Grundbegriffe der Sozialwissenschaften auszeichnen möchten. Max Weber hatte jedoch zwei Gründe für die Wahl von Handlungen als Ausgangspunkt der soziologischen Analysen.

      Zum einen sind Handlungen besser zu identifizieren als etwa ‚Gesellschaften‘, m. a. W.: Jeder ist aus seiner Alltagswelt mit dem vertraut, was wir als ‚Handlungen‘ bezeichnen. Wir können uns also darauf verlassen, dass wir das, was damit gemeint ist, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ohne große Probleme identifizieren können. Unser Alltagsleben hat ständig mit Handlungen zu tun, seien es die eigenen oder diejenigen anderer Menschen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Man könnte dies auch so ausdrücken: Handlungen sind intersubjektiv leicht festzustellen, und damit haben wir so etwas wie eine objektive Beschreibbarkeit solcher Phänomene, auf die wissenschaftlich aufgebaut werden kann. Daraus ergibt sich, dass es die Aufgabe der Soziologie nach Max Weber ist, Handlungen nach ihren allgemeinen Zügen zu beschreiben und sie von solchen Ereignissen im menschlichen Leben abzugrenzen, die wir nicht als Handlungen auffassen können.

      Zum Zweiten sind soziale Phänomene nach Max Weber auf verschiedene Weisen Formen von Handlungen von Menschen, in denen sie sich aufeinander beziehen, genauer gesagt: Es sind Formen von Handlungen, die sich auf Handlungen anderer Personen beziehen. Auf diese Weise lassen sich soziale Sachverhalte identifizieren, indem sie aus sozialen Handlungen als ihrer Basis verstanden werden.

      Wenn wir jedoch von sozialen Handlungen sprechen, so nehmen wir offenbar eine Unterscheidung innerhalb dessen vor, was wir als Handlungen bezeichnen wollen. Das war in der Tat auch Max Webers Absicht. Es gibt demnach soziale Handlungen, aber es gibt auch solche Handlungen, die man nicht als ‚sozial‘ in dem hier gemeinten Sinne verstehen kann. Solche Handlungen können etwa nur die einzelne Person [<<35] angehen, oder sie können sich auf den Umgang mit der nichtmenschlichen Welt beziehen. Daraus entsteht allerdings das Problem, dass wir damit behaupten, solche Handlungen würden nicht im sozialen Zusammenhang geschehen.

      Dagegen spricht, dass auch der Umgang des Individuums mit sich selbst und mit der physikalischen Welt durch kulturelle Normen bestimmt ist, die wiederum auf soziale Zusammenhänge zurückführen und damit auf Formen sozialen Handelns. Jedenfalls ist dieser Zusammenhang für das Denken von Habermas von Bedeutung, der Max Webers Denken überbietet durch die Auffassung, dass Handeln im Grunde stets sozial ist und dass wir darin die Grundlagen der Vernunft und gleichzeitig des Zusammenlebens in der sozialen Welt aktualisieren, die uns als Menschen ausmachen. Wenn die Soziologie also Handlungen zu ihrem Thema nimmt, so hat sie zu ihrem Gegenstand ebenso jene Grundlagen der Vernunft und damit die Selbstunterscheidung des Menschen von der nichtmenschlichen Welt.

      Daraus ergibt sich, dass wir offenbar noch früher als im sozialen Zusammenhang ansetzen müssen, wenn wir Handeln bzw. Handlungen von Verhalten bzw. Ereignissen unterscheiden wollen. Eine der Pointen in Habermas’ Denken liegt gerade darin, dass wir aus diesem Unterscheiden den sozialen Zusammenhang gerade nicht ausblenden können. Natürlich sind wir damit schon beim zentralen Thema von Habermas’ Philosophie und Soziologie: dem Handeln, das kommunikativ ist und deshalb kommunikatives Handeln genannt wird. Bevor wir diesen Begriff genauer erklären, wollen wir jedoch die Frage der philosophischen und soziologischen Herkunft des Begriffes der Handlung noch nach einigen Hinsichten zu beantworten suchen.

      Bei Max Weber gewinnt der Begriff der Handlung noch einige Auszeichnungen, die ihn bereits in die Nähe derjenigen Charakterisierung bringen, die wir letztlich schon bei Aristoteles – also am Anfang der Philosophie – finden können. Webers Definition von Handeln lautet so:

      Danach stellt Verhalten den Oberbegriff dar, von dem sich Handeln dadurch unterscheidet, dass es subjektiv sinnhaft ist. Ein Handeln ist also ein spezielles Verhalten, [<<36] und ein Verhalten ist noch kein Handeln, außer wenn es durch diese Charakterisierung ausgezeichnet ist.

      Kann ein Lebewesen subjektiv Sinn mit seinem Verhalten verbinden, so muss es sich offenbar auf sich selbst beziehen können, d. h., es muss ein Bewusstsein von sich selbst haben. Solange ein solches Wesen in der Außenwelt einen Reiz (Geruch von Katzenkeksen) wahrnimmt und sich daraufhin, über physiologische Vorgänge und neuronale Prozesse vermittelt, auf eine bestimmte Weise verhält (am Schrank kratzt), sprechen wir nur von Verhalten. Dies gilt auch dann noch, wenn dieses Lebewesen sich aufgrund von neuronal abgespeicherten Lernprozessen zur Erfüllung des Strebens eines anderes Lebewesens (seines ‚Dosenöffners‘) zu bedienen versucht, um sein Ziel zu erreichen. Wir sprechen hier in der Regel von Reiz-Reaktions-Prozessen im Sinne von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen,

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