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stimmlich realisiert, belegt die Fähigkeit, Texte auch ohne stimmlicheStimme RealisierungStimmestimmliche Realisierung verstehen zu können.31 Vielmehr zeige gerade die Verarbeitung dieser Erzähltradition bei OvidOvidius, P. Naso (vgl. insb. epist. 20,1–5; 21,1–5.109–114.145–155), dass die Kompetenz, Briefe „leise“ zu lesen (sine murmure legilego, Ov. epist. 21,3), durchaus nicht ungewöhnlich war. Für methodisch höchst problematisch hält Knox zu Recht die Schlussfolgerung Baloghs, Plut.Plutarch Brut. 5 belege, dass Briefe selbst in Versammlungen laut vorgelesen worden seien. Nichts in der Geschichte deutet darauf hin, dass es das „leise“ Lesen des kleinen BriefesBrief (… τὸν μὲν ἀναγινώσκεινἀναγιγνώσκω σιωπῇ) ist, den Caesar zugesteckt bekommt, was CatoCato der Ältere, Marcus Porcius in Aufruhr bringt. Plut. Cat. min. 24, wo die gleiche Szene ohne die Information des „leisen“ Lesens geschildert wird, zeige zudem, dass es sich um ein narrativ nicht entscheidendes Detail handle. Sodann führt Knox noch einige Beispiele aus attischen DramenDrama aus dem 5. u. 4. Jh. v. Chr. an, die eindeutig „leises“ Lesen implizieren: Eur.Euripides Hipp.Hippolytos von Rom856–890; Aristoph.Aristophanes Eq. 117–128 (s. u. S. 202); Antipanes, Sappho (fr. 194): Athen.Athenaios deipn. 10,73 (451a/b).32

      Daneben hat M. Slusser die Diskussion um eine weitere Quelle bereichert: Kyrill von Jerusalem spricht in seinen Katechesen von einer Gruppe Frauen, die bei ihrem Treffen (σύλλογος) „stillLautstärkestill“ lesen (ἢ ἀναγινώσκων ἡσυχῇ), weil sie ἐν ἐκκλησίᾳ nicht reden dürfen, wenn sich hingegen Männer treffen, liest der eine ein nützliches BuchBuch (βιβλίονβιβλίον χρήσιμον) vor, während ein anderer zuhört (καὶ ὁ μέν τις ἀναγινωσκέτω, ὁ δέ τις ἀκουέτωἀκούω; Kyr. Hier.Kyrill von Jerusalem Procatechesis 14).33 Hier ist eindeutig belegt, dass „leises“ Lesen möglich war. Da es sich um eine normative Aussage handelt, ist es schwierig zu entscheiden, ob die Ausführungen zu den Männern die Regel darstellte oder ob die Normativität nicht dafür spricht, dass auch Gegenteiliges vorauszusetzen ist. Wie im Folgenden zu besprechen sein wird, gab es allerdings durchaus die soziale Erwartung, dass Texte in Gemeinschaft nicht „leiseLautstärkeleise“ gelesen werden sollten, um die Partizipation aller zu gewährleisten. Insofern kann man vorsichtig vermuten, dass „leise“ Lektüre in Gemeinschaft mit einem spezifischen Bedürfnis, in diesem Fall spezifischen Vorgaben, verknüpft war; das „lauteLautstärkelaut“ Lesen hingegen den Zweck erfüllte, andere partizipieren zu lassen. Aber auch Knox bleibt am Ende seines Aufsatzes bei der quantifizierenden Feststellung: „Ancient books were normally read aloud, but there is nothing to show that silent reading of books was anything extraordinary exept the famous passage from Augustine’s Confessions“34 – eine Stelle, die im Forschungsdiskurs auch nach dem Aufsatz von Knox einen zentralen Kristallisationspunkt gebildet hat.

      Gegen den Forschungskonsens haben sich dann W. Rösler35 und F. D. Gilliard mit Bezug auf das frühe ChristentumChristentum,36 aber vor allem A. K. Gavrilov gestellt. Letzterer hat eine bedenkenswerte Neuinterpretation der LeseszeneLese-szene in Augustins Confessiones vorgeschlagen. Diese Neuinterpretation stellt die Beweiskraft dieser Hauptbelegstelle für die communis opinio einer generellen „lautenLautstärkelaut“ LesepraxisLese-praxis in der Antike infrage. Ausgehend von den Ergebnissen der psychologischen LeseforschungLese-forschung der 2. Hälfte des 20. Jh. stellt Gavrilov zunächst fest, dass das „leiseLautstärkeleise“ Lesen in transkultureller Perspektive ein anthropologisches Phänomen ist, das durch die Kompetenz des jeweiligen LesersLeser und weniger durch das jeweilige SchriftsystemSchrift-system determiniert wird.37 Gavrilov übernimmt aus der modernen Leseforschung für die Beschreibung antiker Lesetechniken die Unterscheidung von a) lautem (=vokalisierendemStimmeinsatzvokalisierend) Lesen, b) subvokalisierendemStimmeinsatzsubvokalisierend Lesen (Lippen-, Zungen- und Kehlkopfbewegung ohne Lauterzeugung und „leisem“ (nicht-vokalisierendemStimmeinsatznicht-vokalisierend) Lesen, wobei nur letzteres als visuellvisuell-mentaler Prozess den Vorteil der schnelleren und diskontinuierlichenKontinuitätdiskontinuierlich Lektüre habe.38 Es sei falsch, diese Lesetypen als sich einander ausschließende Alternativen zu verstehen, vielmehr sei ein geübter Leser in der Lage, diese unterschiedlichen Typen je nach Bedarf zu variieren. Diesbezüglich rekurriert Gavrilov auf die in der experimentellen Lesepsychologie etablierten Kategorie der sog. eye-voice span (EVS), mit der die Lesekompetenz von Individuen in Bezug auf zusammenhängende Texte beschrieben werden kann. Die EVS bestimmt den Abstand zwischen dem gerade lautlich realisierten Wort und der vorausliegenden FixationFixation des Auges im Text. Sehr kompetente Leser können mit einer deutlich größeren eye-voice span lesen als weniger geübte Leser.39 Lukian.Lukian von Samosata adv. ind. 2 und Quint.Quintilian inst. or. 1,1,33f 40 zeigen, dass in der Antike das Phänomen ante nomen zumindest punktuell reflektiert wurde. Die EVS sei auch für das „leise“ Lesen relevant, da ein Zusammenhang zwischen einer Art inneren StimmeStimme und den Fixationspunkten der AugenAugen bestünde. Für das „leise“, schnellere Lesen (insb. von Texten geschriebenSchriftGeschriebenes in scriptio continuaSchriftscriptio continua) sei lediglich ein geübterer Leser mit einer größeren eye-voice span notwendig.41

      Statt einer ausführlichen Beweisführung seiner vor allem durch die moderne LeseforschungLese-forschung gewonnenen Sicht, nutzt er diese in heuristischer Sicht exemplarisch zur Analyse des locus classicus bei Augustin – eine offene Flanke, die ihm im weiteren Forschungsdiskurs freilich angekreidet worden ist (s. u.), aber dem Format eines Aufsatzes geschuldet ist. Hingewiesen sei auf die sehr nützliche und entsprechend seiner Typologie von LesepraktikenLese-praxis sortierte Zusammenstellung von Quellenverweisen, die Gavrilov als Appendix beifügt.42

      Gavrilov zeigt bei seiner ausführlichen Analyse der berühmten Beobachtungen Augustins zur LesepraxisLese-praxis des AmbrosiusAmbrosius von Mailand (Aug.Augustinus von Hippo Conf. 6,3; s. o.), dass der Text nicht als Beschreibung eines singulärenFrequenzsingulär Phänomens zu deuten sei und dass die gängige Schlussfolgerung, Augustin habe zum ersten Mal jemanden bei der „leisenLautstärkeleise“ Lektüre gesehen, methodisch problematisch ist. Der Bericht lasse sich kohärenter lesen und passe besser in den Kontext, wenn man annimmt, dass Augustinus weniger durch Ambrosius’ Lesetechnik irritiert worden wäre als vielmehr durch das Faktum, dass Ambrosius in seiner Anwesenheit daran festhalte und Augustinus sich als derjenige, der Belehrung sucht, exkludiert fühlt.43 Unabhängig von Gavrilov bestätigt H. Krasser44 diese Interpretation vor dem Hintergrund seiner Analyse der antiken Physiologie des Lesens und kommt zu dem Fazit, dass die Stelle im Kontext „intellektualer Rezeptionsformen“ in der Antike zu verstehen ist. Besonders deutlich wird die soziale Erwartung, dass ein Gelehrter bei Anwesenheit anderer diese in seine Lektüre einzubeziehen habe, an einer Stelle in den Noctes Atticae von Aulus GelliusGellius, Aulus. Dort nimmt der Ich-ErzählerErzähler das BuchBuch eines Freundes in die Hand, zieht sich in die Verborgenheit zurück, um es ohne (störende) Zeugen zu lesen: et recondo me

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