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auf die blanken Haxen des Michel-Quälers eindrosch. Der schrie wie der Flüchtling im Bachbett, und wir blieben als Sieger auf der Wallstatt zurück.

      Mutter ließ uns gewähren, weil sie das alles meist nicht mitbekam. Im Gegenteil. Nie werde ich ihr vergessen, wie sie eine Frau mit ihrem Feldwebelton niedergeputzt hat. Die hatte uns als Verbrecherkinder beschimpft, eine direkte Charakterlinie von Vater Hans zu seinen Söhnen Michel und Niki gezogen, obwohl wir ihr – politisch neutral – nur eine Tüte mit feinem Straßenstaub von hoch oben aus dem Baum heraus auf ihren Mantel geschüttet hatten. Der Baum stand genau vor unserer neuen Mietwohnung in der Neuhauser Dürnbachstraße, sodass meine Mutter das Geschimpfe im Haus hören konnte, herauskam und sich eisern vor ihre beiden Rotzbuben stellte.

      Gitti hat seelisch wohl am meisten abbekommen. Das fing schon damit an, dass unser Vater nach seiner Flucht aus Krakau bei der Ankunft auf dem Schoberhof strahlend vor Wiedersehensglück statt Gitti ihre Freundin Annelies auf den Arm genommen hatte, sie abbusselte und immer wieder verzückt rief: »Meine Gitti, meine Süße!« Annelies wehrte sich verzweifelt in seinen Armen und rief: »Aber ich bin doch die Annelies!«

      Vater sagte lachend und nicht unwitzig, als er Annelies absetzte: »Aber Du siehst ihr ja sooo ähnlich!«

      Als Gitti bei einem Theaterstück der katholischen Jugendgruppe zusammen mit ihrer Freundin eine reiche Dame spielte, hatten beide schicke Pelzjäckchen an. In der Pause sprachen die Besucherinnen über die Darbietung und wunderten sich über die kostbaren Kleidungsstücke. Eine sagte lauthals: »Die stammen von der Frau Frank! Die hat sie in Polen den Juden gestohlen. Die waren ja da drüben so reich.«

      Auch Michel wurde nicht verschont, sondern im Fischbachauer Kinderheim von der Leiterin übel beschimpft, wie Mutter ihrem Hans in die Nürnberger Zelle schreibt: Michel hat immer Hunger, und als er mir einen Brief geschrieben und sich darüber beschwert hatte, hat ihn die maßgebende Schwester zerrissen und gesagt: »Ach, du bist wohl was Besseres gewöhnt? Das glaube ich schon, nachdem Dein Vater alles in Polen gestohlen hat!«

      Heulend erzählt er es später unserer Mutter, die am 15. März 1946 das Ergebnis ihres Besuchs in Michels Kinderheim mitteilt: Ich sprach mit der Schwester, die so Hässliches gesagt hatte. Es war gut, dass sie mich kennen lernte. Ich glaube nicht, dass sie sich nun noch mal so etwas erlauben würde, denn ich hatte doch den Eindruck, dass sie viel Respekt hatte.

      Da muss Muttern ihre andere Waffe eingesetzt haben: Zwischen sehr, sehr dünnen Lippen konnte sie einen leisen aber verbrennenden Sprachton einsetzen. Den hat ja auch ihr Hans ein Leben lang gefürchtet. Ich tat es auch, bis sie genau an meinem 20. Geburtstag starb. Gut gemacht, Mutter! Normans erste Ehefrau Ellen tat es ihr darin gleich. Sie ging genau an Normans Geburtstag in ein Hotel am Münchener Hauptbahnhof, hatte sich ein schönes Kleid angezogen, stellte ihre Schuhe ordentlich vor ihr Bett, löste eine Unmenge Tabletten in einem Wasserglas auf, leerte es und legte sich hin. Norman trank derweil mit Freunden in einer Kneipe seinen Geburtstag schön.

      Er konnte seine Liebe nicht zeigen. Das konnte auch keines seiner vier Geschwister. Vermutlich Folge ihres Henkers am Galgen: Alle Fünf hatten durch ihn einen Hau mitbekommen. Andererseits schweißt so ein Galgen auch zusammen.

      Als Michel in einem Auracher Kinderheim lebte, Gitti bei Mutters Freundin in München zur Schule ging, weil unsere Mutter total erschöpft in ein Münchener Krankenhaus eingeliefert worden war, lag ich im Kinderkrankenhaus in Achatswies bei Fischbachau mit einer Drüsenerkrankung. Dort ging es mir nur ein einziges Mal schlecht, als ich mich nämlich wegen der inzwischen ungewohnt guten Kost übergab, das Erbrochene allerdings noch einmal essen musste. Vielleicht die Rache einer vom Dritten Reich entsetzlich behandelten Krankenschwester, die unerbittlich neben mir stehenblieb, bis ich alles wieder verdrückt hatte. Ich sehe den verkotzten Teller noch vor mir.

      Natürlich ist das ein brutales Vergehen an einem 5-Jährigen, doch gegen miese eigene Erlebnisse setze ich Zeit meines Lebens: Was ist das im Vergleich zum Leiden der Millionen Opfer des Holocaust? Wir Frank-Kinder haben nie deren ausweglose Verzweiflung erlebt. Ich konnte sogar sehr alt werden. Was für ein Geschenk.

      Norman sagte mir gegen Ende seines Lebens, das immerhin beinahe 81 Jahre lang bis 2009 dauerte: »Ich hab viel Glück und viel Gnade erlebt.«

      Ich auch.

      Das wusste ich damals nicht. Michel und mir war wichtig, am Ostersonntag 1946 in aller Herrgottsfrühe leise aufzustehen, damit Mutter nichts merkt. Wir schlichen in den Garten der beiden Nachbarbuben Schuppi und Hansi. Die hatten unter zwei riesigen Fichten wie jedes Jahr je ein goldiges Osternest aus Moos, bunten Girlanden und goldenen Sternchen gebaut, dazu einen Weg für den Osterhasen mit weißen Steinchen berändert. Wenn sie dann aufstanden, waren die Nester allösterlich mit Eiern und Süßigkeiten gefüllt. Dieses Mal nicht. Zwei Tage hatten Michel und ich unsere großen Geschäfte in uns behalten. Nun entluden wir sie in die beiden Nester.

      Als wir das wenig später triumphierend Gitti erzählten, fing sie aus Mitleid mit den Nachbarsbuben an zu weinen, versprach aber, uns nicht zu verraten. Natürlich erzählte sie es unserer Mutter. Die begann uns auszuschimpfen, musste dann aber lachen. Vielleicht erinnerte sie sich daran, dass sie einmal als Kind ihrem Opa ins Ohr gebissen hatte.

      Ob es Vater in seiner Zelle gutgeheißen hätte, glaube ich nicht. Er war zu dieser Zeit schon katholisch getauft worden, hatte seine private Jesus-Erscheinung in seiner Zelle und hätte die vollgeschissenen Nester sicher als Beleidigung von Jesu Auferstehung zornflammend verdammt.

      Unsere Mutter hat es nach Untergang des Dritten Reiches am schlimmsten getroffen. Selbst in der »Süddeutschen Zeitung«, meinem lebenslangen Leib- und Magenblatt, veröffentlichte ein A. Heueck – automatisch tippe ich auf einen Mann – am 16. November 1945 auf Seite 4 diesen Artikel:

       »FRAU MINISTER« SIND UNZUFRIEDEN

       Was Frau Frank unter Nationalsozialismus verstand

       Schliersee, 14. Nov. (Eig. Ber.)

       Die Familie Hans F r a n k, weiland Generalgouverneur von Polen, erfreut sich keiner sonderlichen Beliebtheit im Schlierseer Land. Frau Brigitte Frank, die entthronte »Herrin vom Schoberhof«, hat ja jetzt einiges von ihrer aufreizenden Arroganz verloren, mit der sie über die simplen Leute in den Krachledernen hinwegsah, aber sie ist von Kopf bis Fuß Dame geblieben.

       Ach, es gäbe jetzt so viel in einem fünfköpfigen Haushalt zu tun, aber wenn man ein Jahrzehnt lang an ein zehnköpfiges Personal gewohnt war, fällt es freilich schwer, in einer bescheidenen Zweizimmerwohnung allein Ordnung halten zu müssen. Aber keine Hand mehr würde sich für die so gefürchtete »Frau Minister« rühren, auch nicht aus christlicher Nächstenliebe, die sie jetzt so gern anruft. Man muss den Herrensitz einmal besucht haben, um sich davon einen kleinen Begriff machen zu können, wie bescheiden ein beispielgebender Nationalsozialist zu wohnen pflegte. Soweit es sich nach den Plünderungen der Tage während des Zusammenbruchs noch erkennen ließ, waren die Räume mit Inventar und Kunstgegenständen überhäuft, die weiß Gott wo einmal gestanden haben mochten, sodass der Eindruck nahelag, es mit der prunkhaft eingerichteten Luxuswohnung eines Neureichen zu tun zu haben. Die Tage vom Schoberhof sind unwiderruflich zu Ende – damit muss sich auch die Familie Frank allmählich abfinden, wenn es auch manchmal schwerfällt. Die 19-jährige Tochter Sigrid hat sich inzwischen durch eine Heirat mit dem 21-jährigen Schauspielereleven Hans Seitz getröstet, der sein Debut beim Schlierseer Bauerntheater unterbringen wollte, wofür sich aber Frau Mittermayr, die Inhaberin, höflichst bedankte. Bezeichnenderweise fand die Hochzeit an dem Tage statt, da der Vater bzw. Schwiegervater in seiner Nürnberger Zelle die vernichtende Anklageschrift zu lesen bekam. Starrheit, Kälte und Gefühllosigkeit scheinen überhaupt die Grundzüge der Familie des notorischen Kriegsverbrechers zu sein. Dazu kommt noch eine gehörige Portion Frechheit, wenn man der eigenen Behauptung der Frau Frank Glauben schenken darf, dass sie sich nicht nur beim Erzbischof von Bamberg, sondern sogar beim Internationalen Gerichtshof in Nürnberg über ihre gegenwärtigen Lebensverhältnisse beschwert habe. Man hat der »Frau Minister« bisher noch kein Haar gekrümmt und sie immer anständig

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