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Ein Kraftfahrzeugbrief

       Eine Kraftfahrzeugzulassung

       Ein Kraftfahrzeugschein und

       zwei Schlüssel von dem PKW I Ost 10. Außerdem den Schlüssel zur Reichsautobahn München-Sauerlach, den Sie seinerzeit gegen Quittung erhalten haben.

      Das gibt’s doch nicht! Einen Schlüssel zur heutigen A 8! Was gäb’s heutzutage für endlose Warteschlangen! Vor allem, wenn der vor einem sagt: »Ich hab’ meinen Autobahnschlüssel vergessen – kann ich ganz dicht hinter Ihnen mit durchwitschen?«

      Am gleichen Tag setzt sich Vater selbst hin und lässt wieder etwas aus einer inneren Kälte raus, das mich noch heute verletzt:

       Liebe Mama!

       Ich bin nunmehr nach Überwindung kolossaler Schwierigkeiten in Neuhaus bei Schliersee, Josefstalerstraße 12, Haus Bergfrieden, untergekommen und habe mir hier eine kleine Dienststelle errichtet. So ist also nun zurzeit das schöne Generalgouvernement mit allem dahin.

       Ich bin fest überzeugt, dass wir den Ansturm der Russen überwinden werden und dass dann bald eine glücklichere Zeit kommt. Drum Kopf hoch und mit Vertrauen weitermarschiert.

       Norman wird voraussichtlich in den nächsten Tagen einrücken. Er befindet sich zurzeit mit den anderen Kindern am Schoberhof. Dort herrscht dicke preußische Luft. Ich fahre heute Abend wieder einmal auf einige Tage nach Aibling zur alten Lilly, mit deren Mann ich zurzeit fast besser stehe wie mit ihr selbst. So komisch ist das Leben. Lilly ist ein lieber herziger Mensch und hat mich mit aller Güte und Fürsorge aufgenommen. Sie ist mir im Innersten aufs herzlichste verbunden. Aber Du weißt ja, sie hat es auch mit mir sehr schwer. Aber Rache muss sein, hätte sie mich vor 25 Jahren geheiratet, wäre alles gut, auch für sie.

      Mutter bettelt für die gemeinsamen Kinder um einen Besuch, er will die dicke preußische Luft partout nicht inhalieren, lebt wieder Mal, wie Mutter ihm schon mehrmals vorgeworfen hatte, nur seinen Trieben. Wobei die sich jetzt mehr auf Lillys Ehemann zu richten scheinen. Der Arme hat sich von ihrem Nazi-Bonzen-Geliebten schon seit zwei Jahren mit seltenen Briefmarken bestechen lassen.

      Bis zum 1. März wird er sich dort verlustieren. Bevor er sich nach Bad Aibling begibt, schreibt er am Abreisetag noch seinem Freund Othmar Schrott-Vorst, dem Bildhauer mit besten Kontakten zu den Nazi-Machthabern:

       Lieber Othmar!

       Ich selbst habe nunmehr nach dem schrecklichen Angriff der Russen gleichsam über Nacht Krakau und Kressendorf verloren. Ich habe nunmehr in Neuhaus bei Schliersee, Josefstalerstraße 12, Haus Bergfrieden, eine Ausweichstelle bezogen, wo ich meine Abschlussarbeiten vollführe. Du würdest, wenn Du einmal hierherkommen solltest, viele alte Bekannte von Krakau und Warschau wiedersehen. Meine Tochter Sigrid ist als Schwester des Roten Kreuzes in einem Kriegslazarett tätig. Norman, der mit 16 Jahren das wehrfähige Alter erreicht hat, wird in den nächsten Tagen einrücken. Den drei kleinen Kindern geht es gut, sie leben am Schoberhof, den Du ja kennst.

       Mit freundlichsten Grüßen, in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, zumindest aber auf einen Brief von Dir, bin ich in alter Verbundenheit

       stets Dein

       Hans

       Der Wawel – die Burg in Krakau, Hans Franks Dienstsitz.

       Hans Franks Wochenend Schloss Kressendorf mit Hakenkreuzfahne.

      Kein »leider« für Sigrid, keines für Norman, dafür hohe Worte für sich selbst. Er beendet nicht seine Abschlussarbeiten, nein, er vollführt sie.

      Mit poetisch gespitzten Lippen reimt er an seinem »Bergfrieden« Schreibtisch zu Sigrids 18. Geburtstag am 17. März 1945:

       Frühling 1945

       von

       Hans Frank

       Die Blüten leuchten auch durch diese Zeit

       Die Farben strahlen aus der Sonnenewigkeit –

       Die Düfte linder Frühlingspracht erquicken Dich und mich

       Im Glanze jungen Werdens schmückt unsere Erde sich.

       Die Vögel kehren mit neuen Liedern zum frischen Grün

       Und singen, was sie lernten an frohen Melodien

       Sie zwitschern täglich süßer und bauen sich das Nest

       Unmusikalisch knurrt Herr Winter. Hinschmilzt des Eises Rest.

       Was soll doch all’ das Sprühen und Glühen der Natur?

       Erscheint uns Armen aus dieser Not der Rettung Spur?

       Ich will es nicht entscheiden. Gott weiß da besser Rat!

       Er ist der Herr des Lebens, des Sterbens und aller Tat.

       Er mag es füglich wenden, das Grauen seiner Welt

       Die mitten in den jungen Tag das schwerste Elend gellt

       Und doch. Und ja. Frag doch Dein Herz, oh frag!

       Er kommt, er naht, der Gnaden großer Tag!

       Ein Frühling soll dann werden, so frisch und neu,

       Dass jeder hier auf Erden wie eine Blume sei –

       Die tief verwurzelt in dem düstern Erdenschoss

       Erlöst und glaubensfroh empor sich richtet schmerzenlos

       Oh Mensch! Oh Kind! Die Schreckensnacht: Sie weicht!

       Oh Mann! Oh Weib! Des Unheils Grauen: Es bleicht!

       Erhebe Dich aus diesem Joch der tiefsten Qual

       Wie eine Blüte Gottes demutsfroh zu seinem ewgen Lebensstrahl

      Warum hatte er in den ersten beiden Strophen nicht so losgelegt:

       Die Toten keuchen auch durch diese Zeit

       Geschundne strahlen aus der Sonnenewigkeit –

       Die Düfte vieler Öfen erquicken Dich und mich

       Im Glanze unsres Mordens drückt unsere Erde sich.

       Die Deutschen kehren mit neuen Lügen zum frischen Grün

       Und singen, was sie lernten an falschen Melodien

       Sie zwitschern täglich übler und bauen sich das Nest

       Unmusikalisch knurrt die Wahrheit, Hinschmilzt der Juden Rest.

      Und so weiter. Dass ich acht Tage zuvor sechs Jahre alt geworden war, hat ihn nicht mal zu so einem Gedichterl gereizt:

       Mein gülden haariges Nikilein,

       Das böse Brillentöterschwein,

       Es wird nun sechse ganze Jahr,

       Was sollte mich das kümmern gar?

       Bin ich sein Vater

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