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als dass er nicht genau wusste, wie er sie manipulieren konnte.

      »Siehst du.« Viola Bruhns drehte sich triumphierend zu Nives Marell um. »Siehst du!« Sie schüttelte den Kopf und sah ihren Regisseur ernst an. »Hannes, wir geben alle unser Bestes, um ›Kanakenbraut‹ ganz im Sinn von Fritz auf die Bühne zu bringen. Wir vermissen ihn alle. Ich besonders, schließlich waren wir …« Sie brach ab. Ihre Augenlider flatterten dramatisch.

      Alle wussten, was sie meinte. Alle verachteten sie dafür.

      »Sie chargiert schon wieder«, flüsterte Nives Marell halblaut vor sich hin.

      »Gut, das ist eine Weile her, dass er und ich …«, fuhr Viola unbeirrt fort, doch Nives fiel ihr ins Wort: »Und er und ich auch, Liebes, und was war mit Werner? Also hör auf, hier die trauernde Witwe zu spielen. Ich war dabei, als Fritz Roloff starb. Ich, Viola. Nicht du.«

      »Darauf kannst du dir was einbilden.« Violas Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Schätzchen, wie du nur zu genau wissen dürftest, ist hier niemand an dem Stück beteiligt, ich betone, niemand, der nicht ein besonderes Verhältnis zu … oder auch mit Fritz Roloff hatte.«

      »Doch, ich«, meldete sich ein junger Mann, der bisher neben der Bühne gehockt hatte. Er richtete sich auf und streckte sich. Sein muskulöser nackter Oberkörper zog sofort die Blicke auf sich. Er trug eine schamlos tief sitzende rote Trainingshose, über deren Bund sich schwarze Schamhaare kräuselten, so wie es seine Rolle als der Kanake in ›Kanakenbraut‹ forderte. Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte kein Verhältnis mit oder zu Fritz Roloff. Ich kannte ihn nicht mal.«

      »So habe ich das nicht gemeint, Levent.« Viola Bruhns ging zu Levent Demir hinüber und fuhr ihm sanft über den Kopf durch das dichte schwarze Haar. Mit einer minimalen Kopfbewegung drückte der türkische Schauspieler sein Unbehagen über die Berührung aus. Viola genoss es, ihre Hand besonders langsam zurückzuziehen und dabei wie zufällig seine breiten Schultern zu berühren. Eine kaum merkliche Gänsehaut lief ihm über den Rücken. Viola schmunzelte.

      »Doch, so hast du es gemeint«, sagte Nives Marell. »Genau so.«

      »Wirklich?« Levent Demir zog überrascht die Augenbrauen nach oben. Er sah nacheinander Viola Bruhns, Nives Marell, Werner Androsch und Hannes Wachsmuth an.

      »Wirklich«, antwortete Nives, und Werner ließ zischend Luft zwischen seinen Lippen entweichen.

      »Wow.« Levent Demir zuckte erneut mit den Schultern.

      »Ich glaube nicht, dass hier die erotischen Eskapaden von wem auch immer zur Disposition stehen«, sagte Hannes Wachsmuth hörbar verärgert. »Bitte noch mal zurück auf Position. Wir sollten den letzten Akt ab dem ›Verrecken sollst du‹ von Nives noch einmal komplett durchspielen. Dann ist Feierabend.«

      »Ich hab noch ’ne Anprobe«, murmelte Levent Demir, bevor er sich wieder ins Dunkel setzte, um sein Stichwort bei der Schlussszene abzuwarten.

      Nives hatte sich nicht geirrt. Er saß wirklich da im Dunkeln. Obwohl er noch nichts bei den Proben zu suchen hatte. Noch spielten die Schauspieler mit Probenkostümen, die man aus dem Fundus zusammengesucht hatte. Noch hatte er nichts weiter zu tun, als die Zuschnitte zu machen und die Schneider zu beaufsichtigen. Jedenfalls tat er so. Seit der Neue da war, war alles schwieriger geworden. Denn der Neue war gut, wirklich gut, und das hatten die anderen längst bemerkt. Es wurde immer schwieriger, das Gesicht zu wahren. Da er nie zu kämpfen gelernt hatte, überließ er freiwillig das Terrain dem Neuen und bemühte sich, die letzten Jahre vor der Pensionierung so angenehm wie möglich zu gestalten.

      Aber Nives zu beobachten – das liebte er, dafür stahl er sich gerne mal weg. Wie schön sie immer noch war. Nives Marell, dieses blasse, wohlgenährte, blutjunge Bauernmädel, das der große Fritz Roloff einst entdeckt hatte. Dieser üppige blonde Barockengel, der hoch hinausflog, der erst die Münchner Kleinkunstbühnen, dann den deutschen Film und schließlich die internationalen Kinoleinwände im Sturm erobert hatte. Er war dabei gewesen! Auch als der Absturz kam. Als der deutsche Star nach seinem Hollywood-Ausflug aufging wie ein Hefekuchen, gefüttert von unstillbarer Sehnsucht nach der wahren Liebe, gebläht von dem gierigen Hunger nach Koks und Champagner. Er war dabei gewesen, als sie in Frankreich und Italien von B- zu C-Filmen abrutschte, als die Angebote ausblieben, als La Nives Kassengift wurde, als keiner mehr ihre legendären türkisgrünen Katzenaugen auf Celluloid bannen wollte, als niemand mehr ihre milchweiße Haut strahlen und ihren üppigen Busen wogen sehen wollte – als es aus und vorbei war.

      Nun, er war auch bei anderen Gelegenheiten in Nives’ Leben dabei gewesen – und das gereichte ihm bisher nicht zum Schaden! Im Gegenteil. Jetzt war er wieder dabei, als sie nach langen Jahren der Vergessenheit ihr Comeback versuchte. Was für ein verrücktes Karussell das Leben doch sein konnte. Er lächelte. Er und Nives wieder bei der Arbeit vereint. Dass sie ihn bei jeder Begegnung mit inbrünstiger Verachtung anstierte, stachelte ihn nur noch mehr an. Sollte sie ihn hassen, er hatte sie in der Hand. Wer hätte das gedacht. Sie war ihm ausgeliefert. Und das nur, weil er sie auch in jener Nacht beobachtet hatte, als sie etwas tat, wobei sie auf gar keinen Fall hatte beobachtet werden wollen.

      Er schraubte leise seine Thermoskanne auf und goss sich mit zittrigen Händen einen Becher Kaffee ein, während auf der Probebühne Viola erneut überdramatisch starb. Kaffee, schwarz und stark, ohne Zucker, ohne Milch. Er pustete vorsichtig in den Becher, beinahe schwappte das Getränk über, so sehr zitterten seine Hände. Dann bekam er den Tremor unter Kontrolle und trank in gierigen Schlucken. Es schüttelte ihn, so bitter schmeckte der Kaffee. Was war nur los mit ihm? Schon seit Tagen schmeckten ihm der Kaffee und leider auch das Bier bitter, viel zu bitter. Der Kräuterschnaps, den er immer hinterherschüttete, musste ja bitter sein, das irritierte ihn nicht. Gestern war ihm speiübel nach dem dritten Bier gewesen, richtig elend. Dabei war es da noch nicht mal halb drei Uhr nachmittags. Für gewöhnlich hatte er da schon mehr Biere. Heute in der Früh hatte er kaum seine zwei Halbe herunterbekommen, so grauslich bitter schmeckten sie – und jetzt der Kaffee. Er unterdrückte den aufkeimenden Brechreiz, er musste dringend mit seinem Hausarzt reden. Am besten noch heute. Wider besseres Wissen trank er noch einen Becher und noch einen. Bis die Kanne leer war. Bitter. Er schüttelte sich, Galle kroch seine Speiseröhre hinauf.

      Eben war Viola auf der Bühne mit einer grotesken Verrenkung gestorben, und Nives schluchzte ergreifend. Das konnte sie wirklich – schauspielern. Das Publikum würde Rotz und Wasser heulen, wenn Nives die Trauernde gab und am Ende vor der Reliquie des Heiligen Zachäus von Palmyra zusammenbrach. Das Publikum hatte auch geschluchzt, als sie aus Thailand zurückgekommen war und die Welt über den tragischen Tod des großen Fritz Roloff unterrichtet hatte.

      Er würgte den Mix aus bitterem Gallegeschmack und Kaffee hinunter, der sich in seinem Mund gesammelt hatte. Er brauchte dringend ein Bier. Jetzt. Sofort. Nein, besser einen Jägermeister. Und dann zum Arzt.

      »Viola, Süße«, unterbrach eben Hannes Wachsmuth die letzte Szene.

      Das ideale Stichwort. Obwohl ihm hundeelend war, nutzte er die Unterbrechung, packte seine Thermoskanne und verließ den Probebühnenraum so unauffällig wie möglich. Beim Hinausgehen nickte er mit so viel Beherrschung, wie er noch aufbringen konnte, den Regie- und Kostümassistenten zu. Krämpfe beutelten seinen Magen. In den Beinen und Armen schienen Ameisen zu laufen. Er kratzte sich. Nun kribbelte es auch noch in seinen Lippen.

      »Verdammt! Können wir bitte in Ruhe proben?!«, hörte er Hannes Wachsmuth noch schreien, während er die Tür hinter sich zuzog.

      Kaum draußen, eilte er mit schleppenden Schritten den langen Flur hinunter Richtung Fahrstuhl und drückte seine linke Faust in den Bauch. Kalter Schweiß brach ihm aus. Dann hielt er kurz inne, drehte um und taumelte so schnell er konnte zu den Toiletten am anderen Ende des Ganges. Dass es in diesem Stockwerk nur Damentoiletten gab, störte ihn nicht. Er riss die Tür auf und übergab sich ins Waschbecken. Das Brennen in seinem Inneren ließ ein wenig nach. Er würgte, doch es kam nichts mehr außer gelber Spucke. Schwer atmend ließ er Wasser ins Becken laufen und versuchte, so gut als möglich sein Erbrochenes zu beseitigen. Dann wusch er sich das Gesicht und ordnete die spärlichen grauen Haare. Beim Blick in den Spiegel sah er sich wie durch einen Nebelschleier. Er musste

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