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Die Knochennäherin. Martin Arz
Читать онлайн.Название Die Knochennäherin
Год выпуска 0
isbn 9783940839473
Автор произведения Martin Arz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Erraten. Und du findest jetzt heraus, ob die Lüftung auch lief, als die Praktikantin den Toten fand.«
09
»Die Praktikantin ist sich absolut sicher, dass die Lüftung lief, als sie den Toten fand«, referierte Annabella Scholz am nächsten Morgen ihre Recherchen. »So wie immer, wenn gefärbt wird. Das Zeug dort ist so giftig, dass es nur mit laufender Entlüftung verwendet werden darf. Die ganze Kammer wurde erst vor Kurzem renoviert, und die Anlage ist quasi neu. Die Frau ist übrigens erst seit einer Woche bei der Staatsoper.«
»Dann kann er also nicht von den Dämpfen ohnmächtig geworden sein. Gibt es schon Neuigkeiten aus der Pathologie?«
»Deine Freundin Gerda lässt ausrichten, dass du sie für die ersten Infos gleich mal anrufen sollst.« Die Kommissarin legte ihren Notizblock zur Seite. »Ach, und es wäre nicht schlecht, wenn du dich mit dem Oberstaatsanwalt zusammensetzt oder auch auseinandersetzt. Klingt völlig konträr, oder? Wenn man mal darüber nachdenkt, bedeutet aber letztlich beides dasselbe. Zusammensetzen – auseinandersetzen. Nein, bedeutet natürlich absolut nicht dasselbe … aber …«
»Du solltest beizeiten noch Germanistik studieren, Bella.«
»In einem anderen Leben, Chef. Die Staatsanwaltschaft will jedenfalls partout keine Gelder für eine Radiocarbonanalyse lockermachen.«
»Radiocarbonanalyse?«, fragte Pfeffer irritiert.
Annabella Scholz schlenderte zur neuen, chromblitzenden Espressomaschine, nicht irgendeine, sondern der Rolls-Royce unter den Espressomaschinen. Max Pfeffer hatte das Gerät auf eigene Kosten für teures Geld angeschafft, weil er die langweilig-bittere Plörre nicht mehr herunterwürgen konnte, die zuvor aus der asthmatisch röchelnden alten Kaffeemaschine getröpfelt war. Bella fühlte sich jedes Mal wie ein italienischer Barista, wenn sie die Dampfdüse in das Milchkännchen tauchte und Schaum produzierte. Fettarme H-Milch, so hatte sie gelernt, war die beste Schaumgrundlage, denn das Fett von Vollmilch verhinderte die Anreicherung mit Luftblasen. Bella war die Einzige, der Pfeffer erlaubte, mit der Maschine zu hantieren.
»Du wolltest doch eine Radiocarbonanalyse des Skeletts von Zacherlkirchen, oder? Der Staatsanwalt sieht dazu keine Notwendigkeit, denn laut deiner Freundin Gerda Pettenkofer und diesem Doktor Keppler handelt es sich um einen historischen Fund. Also soll da kein Geld verschwendet werden.«
Pfeffer seufzte. »Mach mir bitte auch einen Espresso macchiato. Danke.« Dann griff er zum Telefon. Bevor er eine Nummer wählte, legte er wieder auf und fragte: »Wie war das noch mal mit Angehörigen des Toten? Die Kollegen haben niemand ausfindig machen können?«
»Nein«, antwortete Bella. »Falls du den Toten vom Theater meinst. Der Mann lebte alleine in einer Zweizimmerwohnung im Schlachthofviertel, Schmellerstraße. Er hat keine Kinder – zumindest keine, von denen wir wissen –, keine Frau oder sonstige Lebensgefährten, nicht einmal geschieden. Auch keine Geschwister. Seine Eltern sind verstorben, die Mutter erst vor zwei Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Steht in dem Bericht, der auf meinem Schreibtisch liegt. Sieht vorerst so aus, als würde niemand um Joseph Bloch trauern. Ach, und wundere dich nicht – es gibt auch kein Mobiltelefon von ihm. Er hatte keins, hat dieser Gewandmeister auch bestätigt.«
Schweigend nahm Max Pfeffer den Telefonhörer und wählte die Nummer der Pathologie.
»Okay, Maxl«, kam Gerda Pettenkofer am anderen Ende der Leitung sofort zur Sache. »Wie üblich hattest du den richtigen Instinkt. Der Tote aus dem Theater, dieser Joseph Bloch, ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht wegen der Dämpfe ohnmächtig geworden. Aber es war dennoch ein Unfall, dass er in den Trog fiel.«
»Also kein Mord.«
»Nicht so schnell. Er ist zusammengebrochen. Ungünstigerweise direkt in diesen Giftcocktail hinein. Aber er WAR bereits vorher vergiftet. Und zwar durch ein myoneuro-cardiokinetisches Mittel. Er ist in den Trog gefallen und war sofort tot. Er muss quasi im Sterben hineingefallen sein, denn er hat nicht aspiriert. Kein Färbemittel in seiner Lunge oder sonst wo in den Atemwegen. Das sind erste Testergebnisse, ich dachte, du willst es so schnell als möglich wissen. Ich gebe dir Bescheid, wenn ich Genaueres weiß.«
»Myo-was?«, fragte der Kriminalrat ungeduldig. »Gerda, bitte!« Mit der freien Hand hielt er sich das Ohr zu, weil die Kaffeemaschine zu laut zischte.
»Myoneuro-cardiokinetisch, Maxl. Digitalis oder ein digitalisartiges Glykosid. Also ein Mittel, das auf das Herz sowie die nicht dem Willen unterworfene Muskulatur eine deutliche Auswirkung hat. Der Tote muss sich in den letzten Stunden vor seinem Ableben mehrfach übergeben haben. Auch das lässt auf ein Digitalisgift schließen.«
»Okay, dann müssen wir den Kräuterschnaps und alles andere untersuchen lassen, was er gestern getrunken hat. Ich setz die Jungs drauf an.«
»In seinem Magen habe ich bisher einen Kräuterschnaps, Bier und Kaffee nachweisen können. Genauer Bericht mit dem Namen des Gifts folgt as soon as possible.«
»Danke, Gerda, jetzt haben wir also einen Mord und müssen das Staatstheater auseinandernehmen. Bravo, wir haben ja sonst nichts zu tun. Bevor ich es vergesse: Was macht unser Skelett von gestern?«
»Nichts. Was soll es machen? Es liegt in einer Pappschachtel in der Kammer. Die Staatsanwaltschaft hat den Fall mangels öffentlichen Interesses vorerst auf Eis gelegt.«
»Aber du hast dich sicher mal auf das Eis begeben und genauer hingesehen und weißt mir einiges Neues zu berichten.«
Die Rechtsmedizinerin kicherte wie ein Schulmädchen. »Okay, Maxl, weil du es bist. Ich habe ganz, ganz kurz hingesehen, praktisch nur ein Blinzeln, und kann dir nur wirklich augenfällige Einzelheiten berichten. In Höhe der vierten und fünften Rippe links habe ich eine leichte Abschürfung entdeckt, die sich scharfkantig und v-förmig über die Knochen frisst. Außerdem ist in der vierten Rippe eine kleine Kerbe nach innen. Ich schließe daraus, dass die Person zu Lebzeiten mit einem scharfen Gegenstand verletzt oder sogar getötet wurde. Der Täter hat dem Opfer vermutlich mit einem Schwert oder einem Speer oder so etwas Ähnlichem in den Brustkorb gestochen und dabei auch die Rippen verletzt. Und die Lücken in den Zähnen hatten, soweit ich das auf die Schnelle gestern noch checken konnte, wirklich nie Füllungen. Das heißt, dass der Mensch mit schlechten Zähnen lebte. Das sind natürlich nur schnelle Analysen, die keinerlei Anspruch auf Gültigkeit haben. Dennoch, dies alles, mein lieber Max Pfeffer, sind leider weitere Hinweise darauf, dass es sich bei dem Toten um eine uralte Leiche handelt. Die gesamte Knochen- und Gewebestruktur …«
»Gut, Gerda, such schon mal ein kleines repräsentatives Knochenstückchen heraus, das wir dann zur Analyse schicken können.«
»Maxl!«, seufzte die Medizinerin geziert.
»Gerda«, echote der Kriminaler ebenso geziert. »Du hast eben selbst gesagt, dass der Tote aller Wahrscheinlichkeit nach ermordet wurde.«
»Ja, aber für eine Radiocarbonanalyse reicht kein Knochenfitzelchen. Das geht nach der Devise je größer desto besser. Die brauchen einen ganzen Knochen oder eine schöne ausgesägte Scheibe.«
»Dann nimm den Oberschenkel. Da ist genug für alle dran. Ich werde den Staatsanwalt mit meinem Charme gewiss umstimmen können. Schick ihn los.«
»Apropos Charme«, sagte Gerda Pettenkofer. »Du wirst es ja nicht glauben, aber seit Neuestem gucke ich doch mit Begeisterung diese Soap ›Unser Block‹. Und ich vermisse deinen Sohn, diesen Charmebolzen. Cosmo war doch mal in dieser Serie mit dabei, oder?«
»Cosmas ein Charmebolzen?« Pfeffer musste lachen. Er war der Einzige, der seinen ältesten Sohn noch bei seinem richtigen Namen Cosmas nannte. Für den Rest der Welt war er Cosmo. Vor gut einem Jahr hatte der ein paar Folgen lang bei der beliebten Daily Soap ›Unser Block‹ vor der Kamera gestanden. Es hatte nur mit einem kleinen Auftritt von Cosmos Hip-Hop-Band ›Volle Härte‹ angefangen. Der damals noch Minderjährige hatte für die nötigen Verträge einfach die Unterschrift seines Vaters gefälscht. Cosmo Pfeffer, der vom Vater den sportlichen Körperbau und die kuscheligen braunen