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Die wilde Reise des unfreien Hans S.. Martin Arz
Читать онлайн.Название Die wilde Reise des unfreien Hans S.
Год выпуска 0
isbn 9783940839541
Автор произведения Martin Arz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Zu ihrem Entsetzen wurde Johannes Schiltberger einer anderen Gruppe zugeteilt als Yorick van Nazareth und Max der Sendlinger. Seine Gruppe, vernahm Hans, sollte fortan dem Sultan von Ägypten gehören. Abmarsch! Man würde sie nun einkleiden, und sie sollten sich sofort reisefertig machen. Hin und her gerissen zwischen Verzweiflung, dass er von seinen Freunden getrennt werden sollte, und der Freude, dass er nun doch was von der Welt sehen würde – Ägypten! –, merkte Hans, dass die Waagschale in seinem Innersten zugunsten seiner Freunde ausschlug.
Als seine Gruppe zurück in die Unterkunft trabte, packte ein Hauptmann Hans am Arm. »Bist du verletzt?« Er deutet auf das linke Bein.
»Ja, Herr«, antwortete Hans mit gesenktem Blick.
»Dann ist das nicht die richtige Gruppe für dich. Geh dort hinüber. Du bleibst hier.« Der Hauptmann deutete auf die Gruppe, zu der Yorick und Max gehörten. Sein Herz machte einen Freudenhüpfer, er unterdrückte den Impuls, vor dem Hauptmann auf den Boden zu fallen und ihm dankbar die Hände zu küssen. Stattdessen nickte er »Ja, Herr« und versuchte, so beherrschten Schrittes wie möglich zu seinen Freunden zu gehen. Dass er auch Don Juan und einige Spanier in dieser Gruppe entdeckte, tat seinem Glück keinen Abbruch.
Fußsoldaten des Sultans sollten sie werden, denn Hans und seine Gruppe blieben am Hofe Bayezids. Janitscharen nannten die Türken das. Eine recht neue Einrichtung, aus der Not gewachsen, für das stetig wachsende Reich immer neue Soldaten rekrutieren zu müssen. Warum nicht die kräftigen, jungen Männer nutzen, die man gefangen nahm? Dass sie der falschen Religion angehörten, störte Bayezid noch nicht wirklich. Erst seine Nachfolger ließen die Christen ausnahmslos zwangsislamisieren. Dennoch gehörten zur Ausbildung die Lehren des berühmten Mystikers Hadschi Bektasch, der die allererste Truppe von Janitscharen persönlich gesegnet haben soll. Hans, zunächst höchst skeptisch, ob die Philosophie der Ungläubigen seinen geistigen Horizont entscheidend erweitern würde, sah sich bald eines Besseren belehrt. Was hätte er dafür gegeben, Papier und einen Stift zu haben. Er war sich zwar sicher, dass er sich in nicht allzu ferner Zukunft wieder beides leisten können würde, aber noch konnte er die wichtigsten Gedanken Hadschi Bektaschs nicht notieren, also lernte er sie auswendig:
Das Universum ist die sichtbare Gestalt Gottes
Rituelle Gebete machen keinen Menschen besser
Die Taten zählen, nicht die Worte
Betet nicht mit den Knien, sondern mit dem Herzen
Das wichtigste Buch zum Lesen ist der Mensch
Glücklich ist, wer die Gedankenfinsternis erhellt (das gefiel Hans am besten)
Ermögliche den Frauen eine gute Bildung (das fand Hans am lustigsten, denn wozu sollte so etwas bitte schön gut sein?)
Es gibt kein Gegeneinander von Gott und Mensch, sondern ein Miteinander in tiefer Verbundenheit
Rost glüht nicht von selbst, sondern durch das Feuer
Der Verstand sitzt im Kopf, nicht in der Krone
Was Du suchst, findest Du in Dir selbst, nicht in Jerusalem, nicht in Mekka
Daran fand Hans nichts auszusetzen. Manches kannte er schon, das lehrten auch die christlichen Pfarrer, doch einiges war so neu und revolutionär, dass er zwischenzeitlich einen Religionswechsel gar nicht mehr für völlig ausgeschlossen hielt. Zumindest fiel es ihm zunehmend leichter, »Allahu akbar« zu rufen, wenn sie dazu aufgefordert wurden. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Mehr als einmal legte man ihnen nahe, zum Islam zu konvertieren. Für Hans hätte das bedeutet, Heide zu werden. Wie das funktionierte, zeigte man ihnen ganz anschaulich am praktischen Beispiel. Sie wohnten der Konvertierung eines Lateiners, also eines Italieners, bei. Der Christ musste den Zeigefinger heben und »La ilaha illalah, der wahre Bote Mohammeds« sagen. Das wiederholte er noch einmal vor dem höchsten Imam und schwor feierlich seinem christlichen Glauben ab. Danach kleidete man ihn neu ein, und der Priester wickelte ihm ein neues Tuch um den Kopf, damit jeder sofort erkennen konnte, er war nun ein Moslem, denn die Christen mussten blaue und die Juden gelbe Tücher tragen. Nun legte der Konvertit seine Rüstung an und stieg auf sein Pferd. Von einem Begleitzug aus Priestern und Gläubigen wurde er durch die ganze Stadt geführt. Pauken, Posaunen und Flöten kündigten sein Kommen an, während das Volk laut Mohammed lobte. Zwei Imame, die neben dem Konvertiten ritten, sangen die ganze Zeit: »Es ist Gott und der Messias sein Knecht und Maria seine Tochter und Mohammed sein höchster Prophet.« Letzte Station war dann die Moschee, wo der Neumuslim beschnitten wurde. Danach überschüttete man ihn mit Geld und Gütern. Der Lateiner war nun ein reicher Moslem. Letzteres, da machte man keinen Hehl daraus, geschähe, um den Christen den Übertritt besonders schmackhaft zu machen. Das schien verlockend, doch Hans fand die ganze Prozedur ziemlich inszeniert und merkwürdig. Vor allem der Gedanke an eine Beschneidung schreckte ihn ab. Was den möglichen Reichtum anging, machte er sich nichts vor: Sie waren Sklaven und wären dann höchstens der Vorhaut beraubte Sklaven, niemand würde sie wie den italienischen Kaufmann mit Gold überschütten. Also blieb das »Allahu akbar« ein Lippenbekenntnis, denn weder Hans noch seine Freunde noch die meisten seiner Einheit konvertierten letztlich zum Islam, aber es genügte den Vorgesetzten. Sie waren Kriegssklaven, hatten zu gehorchen und zu glauben, was man ihnen an Glauben vorgab.
Sie bekamen Koranunterricht. Doch der beschränkte sich auf das Auswendiglernen von Suren, denn der Koran war auf Arabisch, und das verstand keiner. Hans fühlte sich an die Zeit erinnert, als er bei den Chorherren des Heiliggeistklosters Schreibunterricht hatte. Da mussten sie lateinische Texte schreiben, die keiner verstand. Für den Lateinunterricht hatte Vater Schiltberger kein Geld. Was die Originaltexte besagten, das ginge sie nichts an, die Interpretation durch die Geistlichen sei das Wesentliche. Und der neugierige Hans, der zunächst immer Fragen stellte, lernte schnell, dass Fotzn, Watschen, Ohrfeigen die häufigste Antwort waren, manchmal auch Prügel mit dem Rohrstock oder einsame Stunden im Karzer. Je nach Dreistigkeit seiner gottlosen Frage. Also verkniff sich Hans beim Koranunterricht alle Fragen, leierte mit seiner Gruppe die arabischen Laute herunter und lernte irgendetwas auswendig. Immerhin lernte er so Arabisch zu lesen und richtig auszusprechen. Und da das osmanische Türkisch als Schrift die arabischen Buchstaben verwendete, lernte er auch Türkisch lesen.
Strenge Disziplin bestimmte ihren Alltag. Das Korps ist eure Familie, der Sultan euer Vater, lautete das Mantra. Als sie hörten, dass sie sich dem Zölibat unterwerfen mussten, rumorte es in der Truppe. Doch nachdem sich herumgesprochen hatte, dass Ehelosigkeit keineswegs Sexverzicht bedeutete, beruhigten sich die Gemüter schnell. Das kannten sie von den Geistlichen, den Mönchen und Nonnen in der alten Heimat. Da war es mit der Keuschheit nicht weit her. Hans hatte als Kind mit genügend Pfarrersbälgern gespielt. Die jeweils aktuelle Mätresse des Bischofs wurde hofiert wie eine Edeldame. Die Äbtissin des Angerklosters in München erschien sogar zu offiziellen Anlässen ungeniert in Begleitung ihres erheblich jüngeren Liebhabers.
Gewöhnungsbedürftiger als die Philosophie fand Hans die Kleidung, mit der man sie ausstattete. Alle bekamen die gleiche Kleidung, so etwas Verrücktes hatte Hans noch nie gehört. Mönche und Nonnen, ja, die hatten alle das Gleiche an, aber Soldaten? Diese absonderlichen Türken! An den weiten blauen Pluderhosen und hohen roten Lederstiefeln gab es noch nichts auszusetzen, ebenso am Wams und dem roten Mantel. Doch diese Kopfbedeckung! Die enorm hohe kegelförmige Filzkappe, leicht nach hinten gewölbt, erforderte zunächst einen Balanceakt. Damit gehen wollte gelernt sein, damit kämpfen erst recht. Die Janitscharenmütze sollte die Ärmel von Hadschi Bektasch symbolisieren und die Verbundenheit mit dessen Lehren ausdrücken. Auch die Derwische des Bektaschi-Ordens trugen sie.
Diejenigen unter den Rekruten, die bereits richtigen Bartwuchs hatten – so wie Hans Schiltberger –, mussten sich rasieren und durften sich nur einen Schnurrbart stehen lassen. Denn Vollbärte blieben freien Moslems vorbehalten. Hans bot sich an, den katatonischen Max zu rasieren, doch wieder überraschte Max, nahm selbst das Messer und rasierte sich sorgfältig Wangen und Kinn.
Richtig lustig wurde es, als man die Hierarchie lernte.