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      »Aber Herr Doktor«, sagte der Stilettmann mit süffisantem Lächeln. »Wollen Sie uns etwa bestechen?«

      Doktor Sönke Westphal – auf seinen Titel hatte er stets enormen Wert gelegt, hatte er ihn sich doch hart mit einem schrecklichen Jahr der Feldforschung bei den Ndjamele erarbeitet, jenem wenig erforschten kleinen Volk im mittleren Hochland Kameruns. Nach einem Jahr der Entbehrungen, des Hausens in einem ehemaligen Ziegenstall (mehr hatten ihm die Dorfältesten nicht zugestanden) und der Demütigungen, denn die Ndjamele sahen in ihm eine Art Kuriosum, einen Freak, der ihnen zur Belustigung diente – ja, tatsächlich hatte sich Sönke Westphal damals der Eindruck aufgedrängt, dass man ihn erforschte und nicht umgekehrt –, war Westphal mit der festen Überzeugung zurückgekehrt, dass diese Primitivlinge es eigentlich gar nicht verdient hatten, durch seine Arbeit Einzug in die Wissenschaft zu halten. Dabei hatte er sich so bemüht, den Eingeborenen nicht mit der Arroganz des besserwissenden Europäers gegenüberzutreten. Gewiss, die Ndjamele waren längst oberflächlich christianisiert und in die Strukturen der modernen Welt eingegliedert, doch dass ein Weißer freiwillig in einem Ziegenstall hauste, ihnen in die Kochtöpfe guckte, ihnen im stümperhaften Französisch Löcher in den Bauch fragte, zu Dingen, die für sie ganz selbstverständlich waren und keinerlei Erklärung bedurften, und dass dieser Weiße bei ihren Festen auch noch wie ein aufgescheuchtes Huhn mit Fotoapparat und Tonbandgerät herumlief, das war für sie eindeutig das Verhalten eines geistig Minderbemittelten. So hatten sie ihn auch behandelt.

      Nun klang das »Doktor«, dieser mühsam erlittene Titel, aus dem Mund des Mörders wie blanker Hohn.

      »Nennen Sie es, wie Sie es wollen«, stöhnte Westphal. Allmählich schwanden ihm die Kräfte. Ich verblute, wenn ich nicht schnell zu einem Arzt komme, dachte er, also verpisst euch endlich, ich habe meine Lektion gelernt. »Nur, lassen Sie mich bitte endlich in Ruhe. Bitte!«

      »Winseln steht Ihnen nicht«, antwortete der Stilettmann ungerührt. Dann wandte er sich an seinen Kompagnon. »Gefällt Ihnen die Figur wirklich?«

      »Sehr!«, erwiderte der Kleine. »Sehen Sie die feinen Ziselierungen hier an den Beinen. Das soll wohl ein Hosenmuster darstellen. Und schauen Sie mal, wie fein und realistisch die Gesichtszüge gearbeitet sind. Man möchte nicht meinen, dass es sich dabei um eine afrikanische Plastik handelt, die sonst doch eher einen extrem expressiven Charakter haben.«

      Sie siezen sich! Mein Gott, da stehen zwei brutale Mörder und reden sich mit Sie an, dachte Westphal. Ich verblute und die beiden Bestien siezen sich, diskutieren über die unbestreitbare Qualität einer Ife-Figur und das auch noch in politisch korrekter Ausdrucksweise. Hilfe! »Hilfe!«, röchelte er laut.

      »Glauben Sie, dass Sie hier jemand hört?«, fragte der Stilettmann und ließ dabei seinen Blick nicht von der Gesichtspartie der Figur. »Sehen Sie nur diese Lippen«, fuhr er dann fort. »Also, ich würde an Ihrer Stelle das großzügige Angebot von Doktor Westphal annehmen und die Figur behalten.«

      »Meinen Sie?«, sagte der Kleine. »Das könnte man als Diebstahl auslegen. Nein, so schwer es mir fällt, ich lasse sie hier. Da habe ich meine Prinzipien.«

      Er stellte die Figur vorsichtig auf den Tisch zurück.

      Höfliche Bestien, die sich siezen und Prinzipien haben, dachte Westphal und wunderte sich über seinen Galgenhumor. Gleich würde es mit ihm vorbei sein. Abgestochen wie eine Sau. Es war gar nicht so, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Von wegen ein Film würde vor seinem inneren Auge ablaufen und ihm sein Leben im Schnelldurchlauf präsentieren, charmant moderiert von einem ätherischen Engel. Auch kein Tunnel aus Licht weit und breit. Keine Sphärenklänge, keine Himmelschöre, nichts als das Schweigen der beiden Männer und das schnelle »platsch platsch platsch«, das sein Blut machte, wenn es auf dem Linoleumboden auftraf. Aische, seine Zugehfrau – die eigentlich gar nicht Aische hieß, sondern Fetmeh, aber weil seine erste türkische Zugehfrau Aische geheißen hatte, hatte er auch deren Nachfolgerin immer so genannt, und es hatte sie nie gestört – würde sich morgen gar nicht über die Sauerei freuen.

      Westphal fiel wieder die Frau ein, die ihn damals mit dem vergilbten Foto besucht hatte und seinen Rat als Fachmann wollte. So hatte der ganze Schlamassel angefangen. Er hatte ihr die Wahrheit gesagt, nachdem er sich sicher war, dass sie wirklich nur ein Foto und nichts weiter hatte. Die Frau, sie war eine rassige Schönheit, das fiel Westphal nun wieder ein, hatte ihm aufmerksam zugehört, sich ein wenig in seinem Laden umgeschaut und zielsicher eine prächtige Mutter-mit-Kind-Plastik der Ndjamele aus dem Regal genommen. Sie hatten ihn ja eigentlich nie wirklich verlassen, die Ndjamele. Denn bevor er von seiner Feldforschung zurück nach Hause gekehrt war, hatte er ihnen noch einige herrliche Figuren abgekauft, und all die Jahre immer wieder Arbeiten von ihnen bezogen, die sich gut an Sammler verkaufen ließen. Auch wenn er von den Ndjamele sonst nie etwas gehalten hatte, ihre Kunst hatte eine Qualität, die ihresgleichen suchte. Nein, hatte die rassige junge Frau damals zu ihm mit traurigem Lächeln gesagt, zweieinhalbtausend Euro, nein, das könne sie sich beim besten Willen nicht leisten. Er sah sie jetzt noch vor sich, die Frau mit ihren langen dunklen Locken, den leuchtenden braunen Augen und dem sinnlichen Mund, wie sie in ihrem leichten Sommerkleid, das ihre Figur äußerst vorteilhaft betonte, dastand und die Mutter-mit-Kind-Statue an ihren Busen drückte, als plötzlich alles ganz hell wurde. Starkes Gegenlicht umhüllte die Frau. Klasse Weib, dachte Westphal, wie macht sie den Trick mit dem Licht nur? So kommen ihre Kurven prächtig zur Geltung.

      Die sinnlichen Lippen öffneten sich. »Komm«, hauchte sie verführerisch. »Komm mit mir.«

      Nichts, was ich lieber täte, dachte sich Westphal, beachtete nicht mehr die Männer, die nun eine kleine Holzstatuette, die Westphal bei näherem Hinsehen sicher sehr bekannt vorgekommen wäre, in die Blutlache stellten, und trat in das Licht.

      02 »Ganz schöne Sauerei, was, Chef?«, sagte Kommissar Paul Freudensprung zu seinem Vorgesetzten, rieb sich die Augen und umrundete vorsichtig die große Blutlache.

      »Hmmm«, brummte Max Pfeffer und kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Der arme Kerl ist offenbar langsam verblutet.«

      »Pfeffer!«, mischte sich die schwergewichtige Rechtsmedizinerin ein, die neben der Leiche kniete und bei der Arbeit munter vor sich hin rauchte. Pfeffer war sich fast sicher, dass die Spurensicherung den Tatort eigentlich noch nicht zum Rauchen freigegeben hatte. Doch die Pathologin rauchte immer und überall, sobald die Spurensicherung erste Anzeichen von Arbeitsende gab. »Willst du jetzt meinen Job machen? Wie und woran er gestorben ist, werde ich dir schon rechtzeitig mitteilen.«

      »Schon gut, Pettenkoferin. Was ist los, Paul?« Pfeffer wandte sich wieder an Freudensprung. »Du siehst heut wieder aus, als hättest du eine Megaparty hinter dir. Fasching?«

      Freudensprung rieb sich erneut die verquollenen Augen. »Nix ist los, Chef«, antwortete er übel gelaunt. »Hab nur schlecht geschlafen.«

      »Schon wieder?«

      »Schon wieder!«

      »Wenn du irgendwelche Probleme hast …«

      »Jaja, schon gut.« Paul Freudensprung winkte ab und grunzte. »Alles bestens, hab eben momentan Schlafprobleme.«

      Max Pfeffer zuckte mit den Schultern. »Gut, zurück zur Arbeit. Wo ist die Frau, die ihn gefunden hat? Die Putzfrau, richtig?«

      »Sitzt nebenan und heult«, sagte Freudensprung. »Kein Wunder, bei dem Anblick. Sie heißt Fetmeh Yilmaz, auch wenn sie dir gleich erzählen wird, dass du Aische zu ihr sagen kannst.«

      Pfeffer umrundete die ausgeblutete Leiche und ging in das Nebenzimmer, eine kleine Teeküche. Selbst hier standen auf den Hängeschränken und den Ablagen afrikanische Plastiken unterschiedlicher Größe. Ein großer, offener Karton versperrte fast den Weg. Darin kleine Nagelfetische en masse, die auf Pfeffer richtig antik und wertvoll wirkten. Er hob einen heraus und drehte ihn in den Händen. Vielleicht ein gutes Geburtstagsgeschenk für den Kleinen, dachte Pfeffer, als er sich an der Kiste vorbeiquetschte. Neben dem neuesten Tomb-Raider-Spiel natürlich, das der sehnlichste Wunsch seines jüngeren Sohns war. Das virtuelle Busenwunder Lara Croft ballernd und tittenschwingend auf dem Computerbildschirm

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