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dass er die Geburtsstunde unseres (bekannten) Weltraums ist – mit Milliarden von Galaxien und Sonnensystemen, mit ungezählten Planeten, Monden und Kometen … Irgendwann vor vier, fünf oder sechs Milliarden Jahren wird sich jenes Sonnensystem gebildet haben, dessen dritter Planet Erde genannt wird, dieser abgeplattete Rotationsellipsoid, der sich täglich um seine Achse dreht und einmal im Jahr in einer elliptischen Bahn um die in einem der beiden Brennpunkte ›stehende‹ Sonne rast. (…) Irgendwann nach der Abkühlung der Oberfläche dieser Erde, die gegenüber der 332.270mal so viele Erdmassen aufweisenden Sonne geradezu ein Winzling ist, formte sich vor zwei, drei oder vier Milliarden Jahren Leben: In einer Art ›Ursuppe‹ aus Wasserstoff, Wasserdampf, Methan, Acetylen, Ammoniak und Cyanwasserstoff entstanden durch ultraviolette Sonnenstahlen, durch die Wärme zerfallender radioaktiver Stoffe und durch unvorstellbar heftige elektrische Entladungen Kohlenstoffverbindungen (z. B. Aminosäuren), die im Wasser der Erdoberfläche zu Eiweiß-, Nuclein- und Kohlenwasserstoffen mutierten. Diese günstigen Umstände gab es nur einmal auf der Erde, so dass unter den jetzigen Bedingungen eine weitere ›natürliche‹ Entstehung von Leben ausgeschlossen ist. Das Leben selbst ging und geht aber weiter: und obwohl Leben immer auch und immer wieder stirbt, ja ganze Lebensarten aussterben bzw. vernichtet werden, gibt es auf diesem Globus weit über eine Million Tier- und etwa 300.000 Pflanzenarten und mittlerweile über sechs Milliarden Menschen.« (Winkel 2005, S. 21)

      Beim genauen Blick auf diese Entstehungsbedingungen ergreifen uns Schwindel. Wir beginnen zu verstehen, welchem galaktischen Zufall wir uns verdanken und in welcher Leere wir in einem Milchstraßensystem dahingleiten, das wir nicht mal gerade so »per Anhalter« durchqueren können, um zu schauen, wie es dahinter aussieht: Man bräuchte 100 000 Jahre, um unsere Milchstraße mit Lichtgeschwindigkeit zu durchqueren. Sie besteht aus 100 Milliarden Sternen – eine Zahl, die größer ist als die Anzahl aller auf der Welt verfügbaren Metallmünzen (Brandl 2014). Und doch entstanden aus diesen Bedingungen heraus Wesen, die verstehen konnten, dass es sie gibt, und die sogar die unvorstellbare Zufälligkeit und galaktische Randständigkeit ihrer Existenz erforschen und reflektieren können. Den Zeitpunkt des Auftretens des Homo sapiens datiert man nach dem letzten spektakulären Fund menschlicher Zähne in Israel im Jahr 2010 mittlerweile auf circa 400 000 v. Chr. (vgl. Bothma 2010), nachdem man lange diesen Zeitpunkt auf circa 200 000 v. Chr. datiert hatte. Rainer Winkel schreibt:

      »Wir wissen nicht genau, wann und wie die Materie entstand, wann und wie auf unserer Erde aus toter Materie Leben entstand, wann und wie die ersten Menschen auftraten. Irgendwann vor ca. 100 000 Jahren reckte er seinen Kopf in die Höhe und … Wann und wie er entstand, blieb ihm damals ein Rätsel und ist ihm bis heute unklar geblieben – trotz (s)eines gigantisch gewachsenen Wissens und Könnens. Aber warum er da ist, wieso er hier und jetzt lebt, was seinem Leben Sinn verleiht … Diese Fragen haben sich bereits die allerersten Menschen gestellt, auf sie haben sie Antworten gegeben, und mit diesen Fragen im Kopf, im Herzen, im Wissen und Ge-Wissen wird der Mensch sterben, stirbt jeder einzelne von uns – wann und wo und wie auch immer.« (Winkel 2005, S. 22)

      Wie gesagt: Philosophen wurden nicht müde, die menschliche Position angesichts dieser Ungeklärtheiten und Unvorstellbarkeiten gehaltvoll zu bestimmen. Und sie beließen es dabei auch nicht bei der erkenntnistheoretischen Frage »Was kann ich wissen?«, sondern sie verfolgten auch die von Immanuel Kant (1724–1804) aufgeworfenen weiteren Fragen einer stärker lebenspraktischen Philosophie:

      •»Was soll ich tun?«,

      •»Was darf ich hoffen?« und

      •»Was ist der Mensch?« (vgl. Ingensiep/Baranzke/Eusterschulte 2004).

      Diese Fragen markieren auch den Horizont, den die restbiografische Reflexion durchstreift – ergänzt und präzisiert allenfalls durch die pädagogische Leitfrage jeglicher Persönlichkeitsbildung »Wie man wird, wer man sein kann?« (vgl. Arnold 2016). Am Anfang aller Deutungen stehen nämlich die Fragen nach dem Denken und der menschlichen Wahrnehmung (»Was kann ich wissen?«) und die Einsicht in die Banalität und Durchschaubarkeit unserer Ich-Zustände. Diese verdanken ihre Substanz keiner ontologischen Gewissheit, sondern dem Wirken kognitiv-emotionaler Mechanismen, die sich in evolutionären Anpassungsprozessen über Jahrtausende so und nicht anders herausgebildet haben. Sie sind zwar bis zu einem gewissen Grad durchschaubar, konstituieren aber nachdrücklich das Selbstbewusstsein des Menschen, d. h. seine »Gedanken besonderer Art«, mit denen er sich »in Beziehung zu dem Ganzen der Welt (setzt)« und »ins Nachdenken über sein Selbstsein gezogen wird« (Henrich 2016, S. 9). Dies bedeutet: Wir können zwar die eigene Berechenbarkeit durchschauen, uns ihren Wirkungen aber nur schwer entziehen. Es lebt sich leichter, wenn wir uns die galaktische Einsamkeit zumindest mit selbstgemachter Gewissheit plausibler ausgestalten, als uns ganz dem verwunde(r)ten Staunen eines Immanuel Kant hinzugeben, der über den »bestirnte(n) Himmel über mir« genauso sprachlos blieb, wie über »das moralische Gesetz in mir« (Kant 1920, S. 205).

      Ähnlich verfahren die Menschen auch mit ihren ethischen, religiösen und anthropologischen Suchbewegungen. Die kantsche Frage »Was soll ich tun?« muss ebenso ohne eine ontologische Basis entschieden werden, wie seine Frage »Was darf ich hoffen?«. Beide bleiben ohne eine Seinsbegründung, wie sie die Ontologie verspricht. Konkret bedeutet dies, dass das Sein, das menschliche, wie das galaktische, unbestimmbar bleibt, da zu ihm nur mittels der Wahrnehmungs- und Denkformen Stellung genommen werden kann, die es selbst in der Koevolution mit diesen Gegebenheiten hervorgebracht hat. Dazu zählen neben unseren Sinnesorganen auch die Sprachen und unsere kulturell geprägten Verhaltensgewohnheiten. Diese sind nicht in einem ontologischen Sinne »richtig«, bloß weil wir sie hervorgebracht haben. Sie haben sich allenfalls – bis auf Weiteres – als überlebenssichernd und orientierend erwiesen. Nüchtern betrachtet sind wir bloß mit uns selbst beschäftigt, wenn wir Stellung nehmen, hinterfragen oder nach Orientierungen suchen, und wir finden die Kohärenz, die uns trägt, auch bloß in uns und unserer Art zu denken, zu fühlen und zu handeln. Der Zugang zu einer Wirklichkeit hinter dem Offensichtlichen bleibt uns verschlossen. Gleichwohl öffnet sich die Wirkung dieser Verschlossenheit etwas für den, der um sie weiß.

      Diese Einsicht ist ernüchternd. Wenn wir nicht verstehen können, was das Sein von uns verlangt, können wir uns bloß zu einer Position entscheiden. Gleichwohl fällt diese Entscheidung weniger grundsätzlich, streng oder gar unverrückbar aus, wenn wir verstanden haben, wie wir uns beständig treu bleiben und wiederholen. Bloß erkenntnis- und beobachtungstheoretische Ignoranz kann um die Wirklichkeit kämpfen, und nur wer den begrenzten Zeithorizont verdrängt, taugt zum Dienen oder zum Herrschen. Beides muss ihm zur Farce geraten – eine Einsicht, welche Montaigne (1533–1592) zu der Feststellung führte:

      »Wer sterben gelernt hat, versteht das Dienen nicht mehr. Für den hat das Leben kein Übel mehr, der die Wahrheit einsieht; das Leben aufgeben ist kein Übel.« (Montaigne 1976, S. 16)

      Diese Befreiung von der Sorge ist zugleich der Beginn der Zivilisation mit ihren vornehmsten Maßstäben und ihrem Humanismus. Sie verdankt sich einer ethischen Motivation, keiner ontologischen Klärung – beides zu verschränken, d. h. die Ethik mit überzeugenden Argumenten aus einer Ontologie zu folgern, hat sich bislang als unmöglich, ja verhängnisvoll erwiesen. Die Maßstäbe eines zivilisierten und humanen Lebens können jedoch unser Tun auch leiten, wenn wir uns für sie entschieden haben. Und sie können auch unsere Hoffnungen speisen. Dabei nehmen wir als »genuine Weltfremdlinge« (Welsch 2012, S. 8) die Welt in Besitz, um bewusst das zu tun, was wir bereits immer tun konnten: die Welt mit unseren Konstruktionen und nach unseren Maßgaben zu erschließen – zunächst für uns und ohne anmaßende Geltungsversprechen für andere. Dieses Vorgehen ist nicht frei von Selbstwidersprüchlichkeit, wie Wolfgang Welsch in Erinnerung ruft: Wenn wir davon ausgehen müssen,

      »dass unsere Erkenntnisverfassung nur eine menschenspezifische und nicht eine universale ist und dass unsere Erkenntnismöglichkeiten deshalb limitiert sind, so dass wir nicht die Welt-an-sich, sondern nur eine von uns Menschen konstruierte Welt erkennen können« (ebd., S. 53),

      können wir letztlich nicht begründen, warum es sich so verhält und wie wir das belegen könnten. Welsch fragt deshalb zu Recht:

      »Aber woher weiß diese

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