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klärenden Sprachspielen, die dem Absurden einen vernünftigen, vertretbaren und gar tröstenden – oft aber bloß überredenden – Klang verleihen. Es ist ein Lebensgefühl, das Camus beschreibt, keine klärende Denkfigur. Er weiß, dass der Sinn des Lebens sich dem Denken letztlich nicht zu erschließen vermag. Das Argument stiftet keinen Sinn, es kann uns lediglich helfen, uns Sprachregelungen zum Umgang mit dem Absurden des Lebens an die Hand zu geben: Denkhilfen und Redewendungen, die uns auf dem schmalen Weg zwischen dem Zynismus auf der einen Seite und einem Dogmatismus auf der anderen Seite heiter und entschlossen vorwärts schreiten lassen.

      Für Astrid Braun vom Stuttgarter Schriftstellerhaus ist Camus’ Rede von der »zärtlichen Gleichgültigkeit der Welt« das »schönste Oxymoron in der Literatur«:

      »Wir dürfen von der Welt, die uns umgibt, keine Anteilnahme erwarten, auch nicht von Gott, Engeln oder Teufeln. Die Welt ist einfach nur da. Aber wir Menschen sind in der Lage, sie zu fühlen und zu beschreiben. Wir können Zärtlichkeit und Nicht-Anteilnahme gleichzeitig spüren, es blitzt Geborgenheit auf.« (Braun 2013)

      Aber Vorsicht mit der restbiografischen Perspektive! Eine solche vermag nur einzunehmen, wer schon auf eine Biografie zurückblickt und bereits einen Identitätsmantel trägt. Er kann diesen Mantel öffnen, aber nur schwer ablegen. Die Restbiografie markiert zugleich den kalkulatorischen Zeitrahmen, der uns bleibt, um uns abzurunden und zu einer gelassenen Positionierung gegenüber den Bewegungen unseres Werdens und Vergehens zu gelangen. Sicherlich: Es hat wenig Überzeugungskraft, wenn man – bereits im achten Lebensjahrzehnt stehend – weiter bloß nach vorne stürmt, um einer Inszenierung die nächste folgen zu lassen. Doch ist dieser Sinn irgendwie substanzieller, wenn man erst dreißig oder vierzig Jahre zählt? Dies ist das Vanitas-Motiv der Philosophie, d. h. der letztlich ironische Blick auf die Eitelkeit des Menschlichen: Alles ist vergeblich, weshalb das menschliche Selbstbewusstsein bzw. der »absurde Lebensstolz« (Lüthe 2012) schlechte Karten hat, wie dies bereits Andreas Gryphius im Jahre 1643 in einem bekannten Sonett zum Ausdruck brachte:

       Es ist alles eitel

       Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.

       Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein:

       Wo jetzt noch Städte stehn, wird eine Wiese sein,

       auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

       Was jetzt noch prächtig blüht, soll bald zertreten werden.

       Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch’ und Bein,

       Nichts ist, was ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

       Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

       Der hohen Taten Ruhm muss wie ein Traum vergehn.

       Soll denn das Spiel, der leichte Mensch, bestehn?

       Ach! Was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

       Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind;

       Als eine Wiesenblum’, die man nicht wieder find’t.

      Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten! (nach: Gryphius 1963, S. 33 f.)[2]

      Dieses Buch soll als Orientierungsstütze dazu dienen, die eigene Restbiografie substanzvoller und als Reifungsprozess gestalten zu lernen. Es bemüht sich dabei um die Beschreibung der noch verbleibenden – möglichen – Entwicklungsaufgaben des Menschen, deren Bewältigung ebenso zur Abrundung des Lebens und zur Fortschreibung der eigenen Identität zählt, wie dessen Aufbruchsaufgaben, die den Menschen nach vorne, in die Erfindung, Entscheidung, Konstruktion und Gestaltung unserer Art zu leben, führten. Dabei wird ein Terrain beschritten, das in den letzten Jahrtausenden von den gründlichsten Denkern durchstreift wurde – mit viel auslotender Tiefe, aber ohne befriedigende Klärung. So bleibt letztlich ungeklärt, welchen Wert wir den verbleibenden Lebensjahren zumessen können, wenn auch die Vorstellung der eigenen Unsterblichkeit sich nicht bloß als undenkbar, sondern auch als »langweilig« und »perspektivlos« erweist. Unsterblich könnten wir uns endlos neu erfinden oder ewig wiederholen, wobei uns aber gleichzeitig alle Festlegungen und Unwiederbringlichkeiten, die uns auszumachen scheinen, vollends entgleiten würden. Man kann sich nicht definieren, d. h. abgrenzen, wenn alles unbegrenzt möglich bleibt. Muss nicht das Nachdenken über die Restbiografie und ihre Möglichkeiten letztlich davon ausgehen, dass »die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit im Laufe eines Lebens nur um den Preis des Todes zu haben ist« (Kreuels 2015, S. 36)?

      Die hier vorgelegte restbiografische Suchbewegung möchte nichts beweisen oder bewerten. Sie fügt den Überlegungen der Philosophie keine weitere hinzu, sondern nimmt die gegenwärtige und zukünftige Lebenspraxis von einem anderen archimedischen Punkt aus in den Blick: dem Punkt des Verrinnens der eigenen Lebenszeit. Was dabei entsteht ist ein »Erfahrungsbuch« im Sinne Michel Foucaults (1926–1984), der alle seine eigenen Bücher als solche bezeichnete. Foucault schreibt:

      »Ich denke niemals völlig das Gleiche, weil meine Bücher für mich Erfahrungen sind, im vollsten Sinne, den man diesem Ausdruck beilegen kann. Eine Erfahrung ist etwas, aus dem man verändert hervorgeht. Wenn ich ein Buch schreiben sollte, um das mitzuteilen, was ich schon gedacht habe, hätte ich niemals die Courage, es in Angriff zu nehmen. Ich schreibe nur, weil ich noch nicht genau weiß, was ich von dem halten soll, was mich so beschäftigt.« (Foucault 1996, S. 24)

      Die in diesem Buch dargelegten Gedanken sind flüchtig und nicht endgültig. Die in ihm aufgeworfenen Fragen suchen keine Antwort. Sie bemühen sich um eine Präzisierung und die Schärfung des eigenen Fokus beim Fortschreiben der eigenen Restbiografie.

      Die etymologischen Wurzeln des Wortes »Biografie« erinnern in diesem Zusammenhang daran, dass Menschen ihr Leben wie eine Geschichte durchleben, die sich wie von selbst (fort)schreibt, die wir aber auch selbst aufschreiben oder neuschreiben können. Insbesondere das Neu- oder Umschreiben erfreut sich in den modernen Gesellschaften einer zunehmenden Beliebtheit. Bekannt ist der bereits zitierte Ausspruch aus Max Frischs (1911–1991) »Mein Name sei Gantenbein«: »Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.« (Frisch 1976, S. 49) Der Erzähler weiß: »Jede Geschichte ist eine Erfindung, (…) jedes Ich, das sich ausspricht, ist eine Rolle.« (ebd., S. 48) Die Fokussierung der Restbiografie birgt somit die Frage in sich, wie wir unsere Geschichte neu- oder umschreiben wollen – nicht wortreich oder gar lautstark mit einem marketingorientierten Hintergedanken (etwa zur Außendarstellung bei Facebook), sondern als stilles Statement und in dem Bewusstsein, dass wir dabei auch mehr und mehr Themen berühren werden, für die gilt: »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.« (Wittgenstein 1963, S. 115) Es gibt letztlich keinen Trost gegenüber der Absurdität des eigenen Verrinnens, wohl aber Abschiede (von lieb gewonnenen Gedankenlosigkeiten), Vergewisserungen (über das, was uns de facto noch möglich ist) und leise Neuorientierungen (zu der Frage, welchen Herausentwicklungen wir unser Leben noch widmen wollen) – ganz im Sinne der bekannten Gedichtzeile von Hermann Hesse: »Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde / Uns neuen Räumen jung entgegensenden.« (Hesse 1982, S. 187)

      In seiner Rede, die Max Frisch anlässlich des Todes seines Freundes Peter Noll am 18. November 1982 im Großmünster in Zürich gehalten hat, beschreibt er eine letzte Situation mit dem sterbenden Freund mit den Worten:

      »(A)us seinen sehr hellen Augen trifft uns der Blick eines Befreiten, der zu wissen wagt, was er weiß, und uns ein Gleiches zutraut.« (Frisch 1987, S. 284)

      Es geht in dem vorliegenden Essay um diesen »Blick eines Befreiten«, den zu fördern Aufgabe und Ziel einer abschiedlichen Bildung ist (Arnold 2006) – auch lange bevor der Abschied selbst ansteht. Dieser Blick vermag der Restbiografie nicht bloß andere Relevanzstrukturen zu stiften, er ist auch geeignet, intensiver auf die Frage zu fokussieren, was Menschsein eigentlich für uns bedeutet

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