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Bildung! Er ist: Für das eigene Erleben!!!« (Hausmann in Schuhmann 1991, 249)

      Hier ist das Programm des »Dadasophen« Hausmann auf einen Nenner gebracht. Perls hat nach vielen Jahren ernsthafter Mühe, ein »geistiger Arbeiter« innerhalb der organisierten freudianischen Psychoanalyse zu werden, ernüchtert diese Position eingenommen. Er hat sie dann radikal und persönlich verkörpert, bis in alle Einseitigkeit und Missverständlichkeit hinein. Er hat Intellektualisieren und Theoretisieren oft als ein Ausweichen vor den Fakten der augenblicklichen Lebens- und Beziehungsrealität erkannt oder begriffen und andere auf unfreundliche und oft auch auf verletzende Art und Weise konfrontiert. Perls wusste aus eigener Erfahrung, was die reduzierte Sprachpersönlichkeit entbehrt. Er hat sich selbst in Bezug auf seine psychoanalytische Zeit als »Wisdomshitter« bezeichnet, was wohl die Amerikanisierung des im Deutschen gebräuchlichen Wortes ›Klugscheißer‹ ist (vgl. Perls 1993, 6).

      Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg waren für die jungen Rebellen nicht die Zeit der Mitte, nicht die Zeit der Synthese und Integration, auch wenn diese Themen, mit Bezugnahme auf Mynonas Konzept der schöpferischen Indifferenz, in der Diskussion präsent waren. Für Raoul Hausmann war »die Gegenläufigkeit (Ambivalenz, Polarität, Dialektik) … das Primäre« (Hausmann 1982b, 172). Es ging ihm darum, »die ungelösten Widersprüche ›zu bejahen‹, d. h. aufzudecken, zu benennen, zu zitieren, sie aufeinanderprallen zu lassen« (Bergius 1993, 237). Im neuartigen Konzept der künstlerischen Fotomontage, als deren Pioniere Raoul Hausmann, Hannah Höch und der »Monteurdada« John Heartfield gelten, wird diese Haltung sinnlich präsent (vgl. ebd., 236). In der Montage wird Realität polar vorgeführt. »Der Entstehungsprozess – das Zerschneiden, Trennen, Teilen eines bestehenden Ganzen, und dann das Montieren der Teile zu einem beliebigen Ganzen in all seinen Widersprüchen«(Nobs in Desch et al. 1991, 194) – ist ein sinnlicher Akt, der die Brüchigkeit der Realität auch im künstlerischen Akt selber erfahrbar macht.

      Erst gegen Ende der Dadaphase orientierte sich Hausmann stärker an den konstruktiven und synthetischen Möglichkeiten und forderte »in der mitteleuropäischen Flachheit endlich den Aspekt einer Welt die real ist, eine Synthese des Geistes und der Materie« (Hausmann 1982b, 25), wobei er sich auf Mynonas Begriff »Présentismus« (ebd., 24) bezog. Das Konzept des Présentismus war bei Hausmann verbunden mit seiner Forderung nach der »Erweiterung und Eroberung all unserer Sinne! (ebd. b., 28). […] Damit uns bewusst sei, dass wir leben, heute leben!!« (ebd., 26 f.). Damit wurde nach Erlhoff dem Künstler die politische Funktion zugeschrieben,

      »die Menschen zu enttäuschen, ihnen selber dadurch die präzise Wahrnehmung ihrer Realität zu ermöglichen und gleichsam darauffolgend sie in die Lage zu versetzen, ihren Wahrnehmungsapparat zu verbessern, ihre Sinne (Hausmann nahm das ganz physiologisch) zu qualifizieren, so dass sie sich und die Gegenstände wirklich in die Hand hätten bekommen können« (Erlhoff in Hausmann, 225).

      Im Kampf gegen die aufgeblasene deutsche Geistigkeit, gegen »die bürgerliche Geschichte des Kopfes« (ebd., 230) bestand Hausmann auf dem sinnlichkonkreten Menschen. Er kämpfte, und das scheint mir als Bestandteil des Gestaltansatzes heute noch wichtig, gegen »die Idealität der Ware, die Vorstellungswelt der Performanz der Ware und deren Schein […]. Die Dinge sollten für die Menschen wieder handhabbar sein, auch transparent, deutlich, einfach – eben wahrnehmbar und begreifbar« (Erlhoff, 231). Was Erlhoff hier als Anliegen Hausmanns benennt, das nannte Perls später: »Lose your mind and come to your senses.« Durch die Ausdrucksexperimente Hausmanns und anderer Dadaisten, etwa mit Lautgedichten, sollten erstarrte bürgerliche Haltungen aufgelöst und die Sinnesempfindungen zurück gewonnen werden. In den inhaltlich sinnlosen Lautgedichten kann man durchaus das expressionistische »Verlöschen des Inhalts zu Gunsten der Expression« (Benn in Korte 1994, 21) erkennen, denn den Expressionisten wie den Dadaisten ging es um die Rückbindung der Kunst an die »Urkräfte des Lebens« (Hausmann). Diese Haltung kennzeichnete auch das Verhältnis von Perls und Goodman zum Phänomen Sprache (vgl. Bocian 2000, 52 f.). Bei ihnen geht es gegen die isolierte Sprachpersönlichkeit, gegen Sprechen als Vermeiden von Fühlen und gegen Intellektualisieren als Abwehr. Bewirkt werden soll eine »Reorganisation des Denkens« (Perls 1991, 229), damit der Mensch wieder zu Sinnen kommt, anstatt nur in Kontakt mit seinen Projektionen, Übertragungen und Maya zu sein. Im besten Falle kommt der Mensch »wieder zu Sinnen, indem er seine Vernunft anwendet« (ebd., 54), die nun eine ganzheitliche, eine sinnliche Vernunft ist. Der alte Perls hat manche seiner Workshopteilnehmer – oft akademische Lehrkräfte mit langjähriger Erfahrung auf der Couch eines freudianischen Psychoanalytikers (vgl. Gaines 1979) – aufgefordert, ihr Sprechen und Fragen zu unterbrechen und inhaltlich sinnlos loszubrabbeln. Dies waren dadaistische Lautexperimente, die die habituellen Sprech- und Denkgewohnheiten aufbrechen und den sprachlichen Ausdruck wieder mit der persönlich-leiblichen Erfahrung verbinden sollten.

      Perls ist mit den Dadaisten vor dem Hintergrund der gemeinsamen Krisenerfahrung auch noch auf einer tieferen Ebene verbunden. Huelsenbeck hat betont, dass »Dada seine tiefste Verzweiflung lebte, sie in der Kunst ausdrückte und in dieser schöpferischen Teilnahme seine eigene Therapie in sich selbst fand« (Huelsenbeck 1994, 224). Dies gilt meiner Ansicht nach auch für Perls und seine persönliche Form der Gestalttherapie. Bis an sein Lebensende hat er immer wieder davor gewarnt, in Schnelltherapien die Konfrontation mit Leid und Schmerz zu umgehen, und die Notwendigkeit betont, durch das »Höllentor des Seelensumpfes, diese äußersten Leiden, hindurchzugehen« (Perls 1986, 237).

      Otto Gross: Anarchismus und Psychoanalyse

      »Dieser Konflikt der Individualität, mit der ins eigene Innere eingedrungenen Autorität, ist mehr als sonst der tragische Inhalt der Kindheitsperiode«

      (Otto Gross)

      »Wenn du giftig bist, heißt das, dass du einen Dybbuk, einen Dämonen, in dir hast, jemand, der dich vergiftet, den du ganz und gar verschlungen hast.

      Die Freudsche Vorstellung, dass wir den Menschen introjizieren, den wir lieben, ist falsch. Du introjizierst immer Menschen, die dich beherrschen.«

      (F. Perls 1986, 148)

      Die Kulturkritik von Dada Berlin fand einen wichtigen Vorläufer in den Publikationen der Zeitschrift »Freie Straße« (1915–18), die ihren Namen einem Gedicht von Walt Whitman verdankte und die wesentlich durch die Forderungen von Otto Gross und Franz Jung nach einer erotisch-sozialen Revolution geprägt waren. Otto Gross, Arzt, Anarchist und Psychoanalytiker, war eine Schlüsselfigur der damaligen Bohème.

      Die Theorie von Gross, die unter anderem an Nietzsche und den frühen kulturkritischen Freud anknüpft, beinhaltet ein kulturrevolutionäres Programm zur Überwindung des Wilhelminismus: »Innerhalb der europäischen Avantgardebewegungen markierte die Konzeption eine antibürgerlich-anarchistische Revolte, die auf eine Revolutionierung der Lebenswelt gerichtet war.« (Korte 1994, 22 f.) Gross vertrat die Utopie einer Gemeinschaft, die sich in freien Liebesbünden organisieren und in der das auf dem Patriarchat beruhende Übergewicht des Mannes über die Frau aufgehoben sein sollte. Die Revolution wurde nicht nur als ökonomische oder soziale Veränderung verstanden, sondern umfasste auch die Umwälzung der inneren Welt der Subjekte und ihrer privaten Beziehungen zueinander. Männlichkeit und Weiblichkeit waren für Gross künstliche, durch die vaterrechtliche Gesellschaftsordnung geschaffene Kategorien. Wie später für Wilhelm Reich, war für Gross die patriarchalischbürgerliche Familie die entscheidende gesellschaftliche Sozialisationsinstanz für die Weitertradierung von Unterdrückung und Herrschaft, und die Aufgabe der Psychoanalyse war es, »das ›Eigene‹ als erotisch-soziale, revolutionäre Kraft zu befreien, um die gesellschaftlichen Konventionen zu sprengen« (Bergius in Dech et al. 1991, 63).

      Gross war für einige Zeit an Freud orientiert, der seine frühen Arbeiten, etwa zur Schizophrenie, positiv registrierte. Darüber hinaus bezog Gross auch Arbeiten von Alfred Adler in seine Überlegungen ein. Im Zusammenhang mit seiner Rauschgiftsucht war Gross 1908 auf Anraten Freuds freiwillig in die berühmte Klinik Burghoelzli in der Schweiz gegangen und dort von C. G. Jung in Analyse genommen worden. In dieser Zeit nannte Freud in einem Brief Otto Gross und C. G. Jung seine beiden »einzig originellen Schüler« (vgl. Nitzschke 1988, 197). Jung sah sich schon bald in eine gegenseitige Analyse einbezogen, die scheiterte, und Gross entschwand recht bald über

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