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an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

      Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen

      An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.

      Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.

      Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. (In: Pinthus 1995, 39)

      Die Generation der Expressionisten wuchs in die Auseinandersetzung um das Werk Nietzsches hinein. Nietzsches Nihilismus war der Endpunkt der Kritik der Aufklärung an allem metaphysischen Denken, am Glauben an eine höhere Macht und einen höheren Sinn und Zweck von Erde und menschlichem Leben. Ab hier war die Konfrontation mit der eigenen »transzendentalen Obdachlosigkeit«, wie der frühe Georg Lukács (vgl. Vietta 1993, 142) das einmal nannte, Bedrohung und Herausforderung für jeden sensiblen Geist. Sloterdijk formulierte das so:

      »Von da an verstehen die Klügeren, die sich selber gehörig auseinandergenommen haben, wie es um ihr bestes Stück, das liebe Ich, steht. Unter allen Gestalten liegt die Leere – das nimmt die Formen, die Fiktionen zurück. Mein Charaktertheater, mein Weltbild, mein Engagement – die Leere verschluckt solche Gebilde wie nichts.« (Sloterdijk 1996, 20)

      Die großstädtische Avantgarde der Weimarer Jahre war für Sloterdijk die Vorhut der Moderne, und seiner Ansicht nach gibt es »kein Thema der 80er und 90er Jahre, das nicht in den 20ern vorgebildet worden wäre, mit Ausnahme der elektronischen Medien, die tatsächlich die Neuheit des letzten Jahrhundertdrittels bringen.« (ebd., 27) In dem hier zitierten Interview sagte Sloterdijk weiter:

      »Wer etwas lernen will über Entformungsgefühle, muss Benn studieren. Er war der Meisterformulierer für das zersetzte Ich, wenn man ihn mit Zwanzig gelesen hat, dann kann einen keine Dekonstruktion überraschen.« (ebd., 20)

      Er wird möglicherweise Zeilen wie die folgenden im Kopf gehabt haben:

      »Nur ich, mit Wächter zwischen Blut und Pranke,

      Ein hirnzerfressenes Aas, mit Flüchen

      Im Nichts zergellend, bespien mit Worten,

      Veräfft vom Licht –« (Benn ebd., 109)

      Das Zerlegen der scheinbar festen Realität, einschließlich des eigenen Ich, haben die »Pioniere unter den Experimentatoren, die Angehörigen der expressionistischen Generation« (Sloterdijk ebd., 21) intensiv betrieben. Erst im Rahmen dieser dekonstruierenden Atmosphäre gab es dann auch wieder ein Bewusstsein »für die Fragilität der positiven Lebensformen vor dem nihilistischen Grund« (ebd., 22), für die »Kostbarkeit von Figur, von Gestalt, von Lebensform, von lokalen Sprachspielen, also von all dem, woraus das konkrete Leben besteht, auch wenn man unendlich darüber hinausdenken kann und alles Konstruierte als dekonstruierbar erkannt hat« (ebd.).

      Sloterdijk sprach in diesem Zusammenhang auch von der »Nullpunktsituation« und merkte an: »Friedländer-Mynonas berüchtigte schöpferische Indifferenz – das war seinerzeit der Geheimtipp.« (ebd., 23)

      2. Die Dadaistische Revolte und »der Kampf um das eigene Erleben«

      »Ideal, Ideal, Ideal, Erkenntnis, Erkenntnis, Erkenntnis, Bumbum, bumbum, bumbum.«

      (Tristan Tzara)

      Gegen das expressionistische Pathos vom neuen Menschen und der neuen Zeit trat mitten in Elend, Hunger, Revolutionsunruhen und konterrevolutionärem Terror zwischen 1918 und 1920 die europäisch zusammengesetzte Künstlergruppe »Dada Berlin«7 auf. Selbst aus der expressionistischen Bewegung kommend, erlebten die jungen Rebellen die nun spätexpressionistische messianische Utopie einer neuen Menschheit und den Glauben an die wirklichkeitsverändernde Kraft der Kunst und des Dichterwortes als absurd. Die Expressionisten standen für die Dadaisten nun im bürgerlichen Lager. Im Unterschied zum hohen Pathos, mit dem die Spätexpressionisten ihre Läuterungsbotschaft an die Menschen und die Gesellschaft richteten, zeigte sich bei den Dadaisten ein »im Wesen grundverschiedenes Weltgefühl, das von Enttäuschung, Bitterkeit, Zerstörungslust und fast nihilistischer Respektlosigkeit durchtränkt war« (Schuhmann Hg. 1991, 146). Sie wollten das Ende aller Kultur zynisch zur Schau stellen. Huelsenbeck betitelte eines seiner Bücher »Deutschland muss untergehen!« und schrieb: »Alles soll leben – aber eins muss aufhören – der Bürger, der Dicksack, der Freßsack, das Mastschwein der Geistigkeit, der Türhüter der Jämmerlichkeit.« (in Riha 1977, 14) Die Dadaisten rannten gegen die expressionistische Kunst an, die sich ihnen, inmitten all der hässlichen bürgerlich-kapitalistischen Wirklichkeit der gerade geborenen Weimarer Republik, als Ersatzreligion und Beschönigungsmittel der gesellschaftlichen Zustände darstellte. Hausmann schrieb in »Der deutsche Spießer ärgert sich« gegen das expressionistische Unbestimmte und »allgemeine Weltgedusel« des schreibenden oder malenden Spießers und den schönen Schein an. Es klingt bitter und verzweifelt und nach der Kraft und dem Willen der Realität ins Auge zu sehen, wenn es bei ihm heißt: »Und nun erhebt uns nichts mehr, nichts mehr!« (ebd., 67)

      Im harten Berliner Klima, in dem sich der pazifistische Dadaismus aus der Züricher Emigration rasch politisch radikalisierte, wurde entsprechend aus dem »schöpferischen Willen« Friedlaenders der »aggressive Wille Dada Berlins« (Bergius 1993, 237), die Widersprüche zu bejahen, aufzudecken und aufeinanderprallen zu lassen. Dada Berlin verspottete und persiflierte die alten wie die neuen gesellschaftlichen Institutionen und die bürgerlichen Spießer, die sie trugen. Die Errichtung der Weimarer Republik war für sie, spätestens nach der brutalen Unterdrückung der revolutionären Massenaufstände durch reaktionäre nationalistische Truppen im Dienste der sozialdemokratischen Regierung, lediglich die Wiederkehr der alten Mächte im neuen Kleid. Dada Berlin parodierte selbst die Parolen der revolutionären Organisationen und gab seiner ersten Berliner Verlautbarung, mit Anspielung auf die Kommunisten, den Titel »Dadaistisches Manifest«. Bitter-groteske Dada-Revuen mit einer Vielzahl neuer künstlerischer Stilmittel (Simultangedicht, absurde Verkleidungen und Tänze mit Musik, gebrüllte Lautgedichte und Publikumsbeschimpfungen) führten zu regelmäßigen Saalschlachten zwischen aufgebrachtem Publikum und dadaistischen Performern und sorgten für Schlagzeilen und Popularität.

      Mitten in dieser unruhigen und blutigen Zeit eine Großdenkerpose einzunehmen, empfanden die Dadaisten als sinnlos, sie wollten »Geistesgegenwart im Chaos«, und nahmen immer wieder Position ein gegen die Vertreter des »Kunstblödsinns, der an der Welt vorüberschaut und sie damit zu überwinden meint« (Hausmann 1982a, 115). Hanne Bergius schrieb zur Gegenwartsorientiertheit der Berliner Dadaisten:

      »Das dadaistische Individuum für das die Geschichte zu einem endlosen Hier und Jetzt, zu perpetuierter Gegenwart im individualanarchistischen Selbstverständnis zusammengeschmolzen ist … ›will seiner Weltsekunde voll Mut gegenüberstehen‹ (Hausmann), glaubt sich als ›Gott des Augenblicks‹ (Hausmann).« (Bergius 1977, 43)

      Dada sagte Ja zur konkret erlebten Wirklichkeit, »um allem, was bloß ›schönes Denken‹ ist, ins Gesicht schlagen zu können« (Sloterdijk 1983b, 713). Perls hat dieses »bloß schöne Denken« später provokant »mind fucking« genannt.

      Richard Huelsenbeck, der als eine der dadaistischen Zentralfiguren den Begriff Dada aus dem Züricher Exil nach Berlin brachte, war Perls spätestens Anfang der Zwanziger-Jahre bekannt, da sich ihre Interessen im Bereich Psychoanalyse und Kunst überschnitten (vgl. L. Perls in Sreckovic 1999, 28; Peters 1992, 282). Huelsenbeck, der ebenfalls Mynonas Gedanken der schöpferischen Indifferenz aufnahm, war ein Jahr jünger als Perls, schloss sein Medizinstudium 1922 in Berlin ab und arbeitete einige Zeit bei Bonhoeffer in der Charité. Er war Maler und Schriftsteller, hatte Umgang mit Karen Horney, die eine Förderin von Perls wurde, und belegte in den Zwanziger-Jahren einige Kurse am Berliner Psychoanalytischen Institut (vgl. Peters 1992, 279 f.).

      Mit Friedlaender/Mynona und Huelsenbeck sind zwei persönliche Kontakte von Perls angesprochen, die darauf hinweisen, dass er sich in diesen Jahren im Umfeld der radikalsten Kräfte der Kunst-Avantgarde aufhielt, die sich in der Regel nie nur als Künstler, sondern immer auch als Lebenskünstler verstanden. Huelsenbeck hat mehrfach betont, dass Dada sich für seine Aktivitäten das kulturelle Gebiet gewählt hat, aber im Kern »eine emotionale Revolution war, deren Sinn in jedes Gebiet, Kunst,

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