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Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen. Группа авторов
Читать онлайн.Название Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen
Год выпуска 0
isbn 9783897975620
Автор произведения Группа авторов
Жанр Медицина
Серия IGW-Publikationen in der EHP
Издательство Bookwire
Beziehung und Fürsorge statt Veränderung
Doch machen die schlimmen Folgen fehlender Fürsorglichkeit deutlich, dass manche früh und extrem deprivierten Kinder möglicherweise nicht mehr ein vollständiges, sondern nur noch ein begrenzte Repertoire sozialer Kompetenzen nach innen und außen entwickeln können. Ihre neurologische Ausstattung, die Ausbildung und Vernetzung besonders präfrontaler Strukturen bleiben begrenzt. Philippson (2012) weist vor dem Hintergrund seiner jahrelangen Arbeit mit vernachlässigten Kindern darauf hin, dass solche Kinder vor allem eine fürsorgende Beziehung benötigen, um erstmals Beziehungsfähigkeit und Erfahrungen von Beziehung zum Therapeuten und zu anderen zu entwickeln. Solche Kinder erleben diese Beziehungserfahrungen auf der Grundlage ihrer deprivierten, andersartigen neurologischen Struktur zunächst als emotional falsch, unnatürlich und unnütz. Philippson (2012) weist darauf hin, dass die paradoxe Theorie der Veränderung bei solchen zutiefst beziehungsgestörten Kindern einer Modifikation bedarf, da die paradoxe Theorie der Veränderung von einer funktionierenden neurologischen Fähigkeit ausgeht, bei der auf der Grundlage einer flexiblen organismischen Selbstregulation neue Wahrnehmungen und Beziehungen zur Umwelt aufgenommen werden können, der Klient also in der Lage ist, sich anders zu verhalten. (vgl. ebd. 2012)
Spiegelneurone
Bereits Wolfgang Köhler postulierte einen physiologischen Mechanismus, der Wahrgenommenes gleichzeitig in eigene neuronale Muster übersetzt bzw. vermittelt. Durch die Entdeckung der Spiegelneurone konnte diese gestaltpsychologische Annahme bestätigt werden.
Spiegelneurone sind Gehirnzellen, die bei beobachteten Tätigkeiten, Handlungen, Ereignissen, Mimiken, aktiv werden. Sie aktivieren gleichzeitig die entsprechenden eigenen motorischen Areale, sodass eine genaue körperliche Simulation des Gesehenen, Gehörten etc. im Körper abgespielt wird. Auf der Grundlage dieser Kopie des Zustandes des Anderen ist ein genaues Einfühlen möglich. Dies steht in Widerspruch zu einer bestimmten Akzentuierung der Gestalttherapie des späten Fritz Perls. Philippson (2012) führt aus, dass die besonders durch Fritz Perls betonte gestalttherapeutische Position, »ich kann nichts über dich wissen. Ich kann nur raten und projizieren. Nur du kannst über dich wissen«, ein Verbot von Interpretation darstellt, dass aber die neuropsychologische Forschung Belege bringt, dass wir mittels der Spiegelneurone doch einiges über den Anderen wissen können. Philippson weist des Weiteren darauf hin, dass es aufgrund der starken Bestimmung eines menschlichen Wesens durch das Feld, in dem er sich befindet, eigentlich erstaunlich ist, dass es überhaupt zu einem Erleben von Individualität kommt, wo ein Mensch sagen kann, »ich will dieses und nicht jenes« oder »ich glaube dieses und nicht jenes«. Dies sind nach Philippson Momente, in denen das Individuum definiert und bestimmt wird. Philippson zitiert Lewin mit »… das Selbst wird als Region innerhalb des ganzen Feldes erfahren.« Ernst Cassirer, ein wichtiger philosophischer Lehrer Lewins, meinte in diesem Zusammenhang, dass es eigentlich erstaunlich ist, dass wir überhaupt voneinander unterscheidbare Einzelheiten wahrnehmen können:
»Was uns im Gebiet des Bewusstseins empirisch wahrhaft bekannt und gegeben ist, sind niemals Einzelbestandteile, die sich sodann zu verschiedenen beobachtbaren Wirkungen zusammensetzen, sondern es ist stets bereits eine vielfältig gegliederte und durch Relationen aller Art geordnete Mannigfaltigkeit, die sich lediglich Kraft der Abstraktion in einzelne Teilbestände sondern lässt. Die Frage kann hier niemals lauten, wie wir von den Teilen zum Ganzen, sondern wie wir von dem Ganzen zu den Teilen gelangen.« (Cassirer 1954, S. 445, zit. nach Philippson 2012).
Ordnungsstrukturen und Emergenz
Philippson (2012 S. 87) beschreibt (unter Rückgriff auf Kauff man 1995 und Prigogine & Stengers 1984 zit. nach Philippson 2012) das Auft auchen höherer Ordnungsgrade auf der Grundlage einfacherer Ordnungsstrukturen. Die höheren Ordnungsstrukturen gehorchen den Regeln der einfacheren Ordnungsstrukturen, lassen sich aber nicht auf diese reduzieren. Dies ist eine neuere Variante des aristotelischen Grundsatzes, »das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile6«, der auch von Wertheim und Ehrenfels7 für die Gestaltpsychologie prägnant verwendet wurde. In der aktuellen entwicklungspsychologischen Diskussion wird diese Thematik unter dem Begriff der selbstorganisierenden Systeme oder der Emergenz von Entwicklungsprozessen (Holodinsky 2006, zit. nach Philippson) behandelt8. Auf die Neurologie übertragen schreibt Philippson mit Verweis auf Goldstein, dass ein bereits auf einer einfachen neuronalen Ebene zu sehr geschädigtes Gehirn auch nicht mehr seine höheren Funktionen zur Verfügung hat. Umgekehrt lässt sich aber die höhere Funktion eines Gedankens nicht auf das Funktionieren einzelner Neurone reduzieren (vgl. ebd.). Insgesamt bestätigen die aktuellen neuropsychologischen Forschungsergebnisse die zentralen Grundannahmen der Gestalttherapie in entwicklungstheoretischer Hinsicht weitgehend.
Neuropsychologische Entwicklungsprinzipien:
Als Bestätigung der Gestalttherapie gelten diese neuropsychologischen Erkenntnisse:
1. Der Mensch ist von Anbeginn an mit all seinen Sinnen auf andere Menschen bezogen.
2. Besonders für die Wahrnehmung emotionaler Qualitäten im Ausdruck anderer Menschen ist von Anbeginn eine spezialisierte neurophysiologische Grundausstattung gegeben.
3. Kontaktvollzüge verlaufen bereits bei Neugeborenen zyklisch – Aufmerksamkeitsprozesse und Wahrnehmungsverarbeitungsprozesse zeigen die Form der Kontaktkurve der Gestalttherapie.
4. Das Gehirns des menschlichen Organismus entwickelt sich im Einklang mit dem Umfeld und bildet es ab, entwickelt es aber auch mit.
5. Wenn ausreichende Strukturen differenziert und aufgebaut werden konnten,