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      Ausgangspunkt der Entwicklung ist ein Kernselbst, für dessen Konzeption zum einen auf die philosophischen Vorstellungen von Salmo Friedlaender zurückgegriffen wird. Friedlaenders Vorstellungen sind auch in die Gestalttherapie eingeflossen, Perls nannte Friedlaender seinen ersten Guru. Friedlaender greift auf Nietzsches Willensvorstellungen zurück. Er konzipiert den schöpferischen Akt als Willensakt. Auch Otto Rank (1932) verweist in seiner Theorie des Schöpferischen Handelns auf Nietzsches Willensakt. Friedlaender sieht darüber hinaus den Ursprungspunkt allen Denkens in der vorpolaren, vordialektischen Undifferenziertheit, im Nullpunkt zwischen möglichen Differenzierungen bzw. an dem Punkt, wo diese Differenzierungen noch aufgehoben sind, noch zusammen sind (Frambach, 1996). Die Vorstellung von Entwicklung als Differenzierung findet sich auch bei Lewin. Wenn diese von Friedlaender geistig-philosophisch gedachte Entwicklungstheorie durch Lewin aber auch für die gesamte Entwicklung postulierte Theorie mit der akademischen Entwicklungsforschung verglichen wird, ergibt sich eine erstaunliche und passende Übereinstimmung. Alle Entwicklung wird als Differenzierung begriffen. Die Theoriebildungen in der Kleinkindforschung in den letzten Jahrzehnten laufen in diese Richtung.

      So kann ein Modell von Entwicklung formuliert werden, das als Ausgangspunkt den Lebenswillen hat. Er ist noch vor jeder Kernselbstempfindung die treibende Kraft jeglicher Entwicklung. Wille wird dabei in einem umfassenderen Sinne verstanden als die bewussten Willensentscheidungen des Erwachsenen. Es ist vielmehr der unbedingte Wille, überhaupt nur zu leben! Wenn dieser Lebenswille als treibende Kraft der Entwicklung angesehen wird, verkehrt sich das Bild des Menschen von einem durch genetische innere oder äußere Kräft e bestimmten und zur Reifung gedrängten, gezogenen oder geschobenen Wesens hin zu einem von Beginn an aktiven, wollenden, sich in immer feineren Differenzierungen entwickelnden Selbstschöpfers. Dies soll am Beispiel der motorischen Entwicklung verdeutlicht werden: Wenn ein Kind beginnt, sich zu bewegen, den »unbeweglichen« Körper in Bewegung zu bringen, ist dies mit ungeheuren Willensanstrengungen verbunden. Ähnlich ist es, wenn ein Erwachsener beispielsweise durch einen Unfall oder einen Gehirnschlag einen Teil seiner motorischen Fähigkeiten verliert. Auch er kann u. U. mit großer Willensanstrengung seine Bewegungsfähigkeit wieder zurückerobern und dadurch auch sein Gehirn erneut in die gewünschte Richtung entwickeln.

      Integration

      Das Konzept der Integration erscheint auf den ersten Blick nahe liegend zu sein. Integration ist die Assimilation von Neuem, der Einbau von neuen Erfahrungen in bestehende Strukturen. Doch welchen Strukturbegriff hat die Gestalttherapie? Unter Verwendung des dynamischen Selbstbegriffes kann ein mit diesem verbundenes Strukturverständnis empfohlen werden. Der Selbstbegriff wird dabei nicht nur im Hier und Jetzt-Augenblick gesehen, sondern die darin stets neu enthaltenen und gewonnenen Erfahrungen werden auch internalisiert. Man kann es so verstehen: das Selbst integriert die Erfahrungen in sich selbst! Es ist also Prozess und Struktur zugleich. Das Selbst ist also auch wieder in Polaritäten geteilt, ähnlich wie in dem Beispiel der dualen Lichtbeschaffenheit als Welle und Partikel. Integration in diesem Sinne ist die Verwendung und Nutzung von Erfahrungen für die Struktur. Erfahrung9 setzt sich aus drei Komponenten zusammen. Erstens aus Wahrnehmung, zweitens aus damit verknüpften Gefühlen, also Empfindungen. Diese beiden bilden ein Erlebnis. Wenn nun zum Erlebnis drittens noch eine kognitive Einschätzung und Bewertung hinzu kommt, wird das Erlebnis zur Erfahrung. Ich finde es hilfreich noch zwei weitere, für eine gute Integration essenzielle Bestandteile aufzuführen. Diese sind zum einen die Sinnorientierung und zum anderen die soziale Bezogenheit der Erfahrung, die sich in der Erstellung eines Narrativs für andere ausdrückt. Hier wird erneut der Feldcharakter unseres Selbsterlebens deutlich. Der Andere wird immer mitgedacht und inkorporiert, sowohl in der Sprache, in der gedacht wird, als auch in den Begrenzungen und Vorgaben, welche die Wege und Bahnen des Denkens und Fühlens bilden.

      Das supportive Feld als zentrale Entwicklungsbasis

      • Körperlichkeit als erste Feldkraft des supportiven Feldes

      Der Lebenswille, der vom ersten Lebensmoment im noch ungeborenen Körper die Entwicklung vorantreibt, ist zunächst eins mit dem Körper, mit all seinen ersten Sensationen, Sinnlichkeiten, Gefühlen, Empfindungen. Befeuert und inspiriert vom Lebenswillen, der von Beginn an auch in ein vom Kind gewolletes Feld eingebettet ist, entwickelt sich zunächst der Körper. Aus der Begegnung, aus dem Kontakt und aus der Wahrnehmung, dem Gewahrsein der äußeren und der inneren Welt und der Gegenposition zwischen innen und außen, fremd und eigen entwickelt der Mensch dabei das Eigene. Das Innere wird als Körper, Geist, Gefühl und Verstand erlebt, das Äußere als die Repräsentationen des Anderen.

      • Zwischenmenschliche Beziehung als zweite Feldkraft des supportiven Feldes

      Die Natur des Menschen kann als zweifach angesehen werden. Er ist räumlich getrenntes Einzelwesen und zugleich zutiefst mit Artgenossen verbunden. Diese Doppelnatur ist kein Sowohl-als-auch, sondern ein Gleichzeitiges. Diese Bezogenheit wird in dem Stern’schen Modell der Selbstentwicklung und Beziehungsentwicklung erst später angesetzt (Stern 2007), vielleicht wird die Forschung der nächsten Jahre hier eine noch genauere Differenzierung bringen können. Festzuhalten ist, dass die Kleinkindforschung der letzten Jahre durch genauere methodische Beobachtungsmöglichkeiten unser Wissen von den bereits erstaunlichen Kompetenzen des Kleinkindes in immer noch frühere Lebensabschnitte erweitert hat. So wissen wir inzwischen, dass Neugeborene kurz nach der Geburt bereits die Stimme ihrer Mutter erkennen können (De Casper & Fifer 1990), ihre Muttersprache erkennen können oder auch Texte, die sie vor der Geburt im Mutterleib vorgetragen bekommen hatte (DeCasper & Spencer 1986). Auch sind Neugeborene sofort in der Lage, wichtige emotionale Gesichtsausdrücke von Erwachsenen mimisch nachzuahmen (Meltzoff & Moore 1977). Es ist zu vermuten, dass für Geruch, Geschmack, Bewegung und Rhythmus ähnlich frühe Kompetenzen vorliegen. Diese Kompetenzen zielen alle auf Beziehung ab, auf das Wiedererkennen und Einschätzen der emotionalen Befindlichkeit der ersten Bezugspersonen. Auch die Entwicklung des Sehens orientiert sich zunächst vor allem daran, dass Gesichtsausdrücke entschlüsselt werden. Manche Kleinkindforscher nennen dies den Conspec-Effekt, das Erkennen von Angehörigen der gleichen Spezies. Inzwischen kann gesagt werden, dass die frühe Entwicklung des Menschen in sehr hohem Maße darauf ausgerichtet ist, in sozialen Prozessen die Gefühle anderer Menschen zu erkennen und eigene Gefühle zu zeigen, also in emotionalen Austausch zu gelangen. Durch die tiefste leibliche Eingebundenheit unserer Gefühle hat das Erkennen und zeigen von Emotionen die entscheidende Orientierungs- und Kommunikationsfunktion (Dreitzel 2004). Auf der Grundlage dieses sozial angelegten Erkennungssystems sind Kleinkinder mit wachsender Erfahrung zunehmend in der Lage, das Handeln des Anderen, des Gegenübers, zu erkennen und verstehen. Dieses Erkennen der Motivation als des Willens des Anderen wird unter dem Begriff »theory of mind« besonders von Fonagy (2006), aber vermehrt auch von der akademischen Kleinkindforschung untersucht und bestätigt. Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass Menschen vermutlich von Beginn ihres Daseins, nachgewiesenermaßen zumindest ab kurz vor ihrer Geburt, in enger erlebter Bezogenheit mit anderen Menschen leben. Wenn dieses Beziehungsdasein möglich ist und gelingt, kann sich Entwicklung gut vollziehen. Ich verstehe in diesem Sinn den Menschen als eine Art bewegliches Element, das in einen weiteren sozialen Organismus in ein lebendiges soziales Feld dynamisch und beweglich eingebettet ist. Wenn erfolgreich innere und äußere Gegebenheiten in Einklang gebracht werden können, wenn das Umweltfeld sich nährend, fördernd und gleichermaßen herausfordernd gegenüber den Bedürfnissen und Potenzialen verhält, sind wichtige Voraussetzungen für eine gesunde psychische Entwicklung gegeben. Die durch Lewin (1946) beobachteten und beschriebenen Phänomene der Felddynamik bestätigt die gestalttherapeutische Theoriebildung einer engen menschlichen Einbettung in ein umgebendes soziales Feld, die mit der Organismus-Umwelt-Begrifflichkeit allein noch nicht die notwendige soziale Betonung beinhaltet. Doch kann auch die Buber’sche Begegnungspolarität in dieses Feld hineingedacht werden. So kann der zentrale, dialogische, ichdu-orientierte Modus (im Buber’schen Sinne) wie auch der verdinglichend objektivierende Ich-Es-Zugang zur Welt im Rahmen der Feldbegrifflichkeit des Lebensraumes gesehen werden. Der Ich-Du-Modus stellt sozusagen den intensiven, feinfühligen Begegnungsmodus dar, den wir Menschen brauchen. Er ist die Art zwischenmenschlicher Begegnung und zwischenmenschlichen Kontaktes, die uns nährt, kräft igt und an andere anbindet. Aber

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