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anzusprechen. Wünsche werden auf sie projiziert oder sie werden als symbiotischer Teil angesehen. Diese Vorgänge verlaufen meist unbewusst, so Winterhoff. Er appelliert, diese Prozesse bewusst zu machen, die eigenen Haltungen zu reflektieren.

      Wie entwickeln sich Kinder und Jugendliche aus seiner Sicht? Indem Erwachsene Regeln und Strukturen vorgeben, Orientierung bieten, Vorbild und Modell sind. Indem sie auf das Tun des Kindes tatsächlich mit Handlung reagieren und nicht nur versuchen zu verstehen, warum das Kind entsprechend gehandelt hat.

      Einen positiveren Ansatz vertritt der Neurobiologe Hüther, der sich in einer Vielzahl von Publikationen für den Wert der Kindheit ausspricht als der Zeit, in der Kinder Lebenserfahrungen machen und lebenswichtige Bindungen eingehen, die prägend sind, aber nicht schicksalhaft für die weitere Entwicklung (vgl. Hüther 2005, 138). Die Plastizität des menschlichen Gehirns ermöglicht es nämlich, korrigierende Beziehungserfahrungen abzuspeichern. So können auch Kinder, die unter schlechten Voraussetzungen starten, durchaus positive Verläufe nehmen. Er geht von zwei Grundbedürfnissen des Menschen aus. Erstens: Ich will dazugehören. Und zweitens: Ich will etwas leisten. (Geo 2008, 108) Bereits im Mutterleib mache der Fötus die grundlegende Erfahrung der Verbundenheit, dies ist auch die Voraussetzung für das Bedürfnis, weiter in Verbundenheit zu bleiben. Andererseits mache der Fötus die Grunderfahrung des Wachsens, welche wiederum Grundlage für das Bedürfnis wird, über sich hinauszuwachsen. Dieses Wachsen als Grunderfahrung bleibe ebenfalls erhalten (vgl. Hüther 2006). Er spricht sich für Körperlernzeiten aus; dies sei entscheidend für die Hirnentwicklung der Kinder. Sie müssen körperliche Erfahrungen machen, sich genügend bewegen, Herausforderungen meistern, interaktive Erlebnisse machen zusammen mit konkreten anderen Menschen – diese seien wichtiger als virtuelle. Auf gesellschaftlicher Ebene befinden wir uns am Übergang von der starren traditionellen Gesellschaft zu einer fluiden postmodernen Gesellschaft und es käme hier zu Entgrenzungsphänomenen, die Menschen seien hauptsächlich beschäftigt mit »boundary management« (ders., 2006). Wir versuchen mit aller Kraft zusammenzuhalten, was auseinanderzufließen drohe. Im Gegensatz zur starren traditionellen Gesellschaft gibt es heute weniger Anhaltspunkte, etwa durch Vorschrift en oder Rituale. Manchen Menschen gelingt es, ein Kohärenzgefühl aufzubauen, aber manche verlieren sich in Demoralisierung und erlernter Hilflosigkeit. Das Kohärenzgefühl zeichnet sich durch folgende Erfahrungen aus: Ich verstehe die Welt, kann gewisse Abläufe vorhersagen. Ich bin Mitgestalter der Welt und schließlich: Ich bin bedeutsam und fühle mich eingebunden. Mit diesen inneren Haltungen könne man in einer fluiden postmodernen Gesellschaft bestehen, andernfalls drohe Scheitern.

      Wie können wir Kindern aus gestalttherapeutischer Sicht dabei helfen, solche persönliche Integrität und Reife zu entwickeln oder, im Sinne Hüthers, ein Kohärenzgefühl?

      Kindheit aus gestalttherapeutischer Sicht

      1978 veröff entlichte Oaklander Windows to our Children, welches in Deutsch unter dem Titel Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen bekannt wurde. Ihr und ihren MitarbeiterInnen kommt der Verdienst zu, das Modell der Gestalttherapie auf die psychotherapeutische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen übertragen zu haben. Die Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen als ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet ist gut verankert in der langen Geschichte der Gestalttherapie-Theorie und Gestaltpsychologie. Bereits 1921 beschäftigte sich Koffka mit der Verbindung von kindlicher Entwicklung und Gestaltthemen, entwarf erste Modelle einer entwicklungstheoretisch fundierten Gestaltpsychologie. (vgl. Wheeler 2002, 11 in: Baulig/Baulig 2002). Der Gestalttheoretiker Metzger veröffentlichte für die Praxis relevante Arbeiten über Erziehung zur Reinlichkeit und frühkindlichen Trotz (1956).

      Fritz und Lore Perls beschäftigten sich in ihrem ersten Buch Ego, Hunger und Aggression (1942/1947) unter anderem mit den Themen Aggression und Selbstbehauptung in der kindlichen Entwicklung. Die Entwicklung der Zähne und die Auswirkung auf die Qualität der menschlichen Beziehung war eine der ursprünglichen Ideen zu Beginn der Gestalttherapie. Die frühe Gestalttherapie orientierte sich am psychoanalytischen Phasenmodell der Entwicklung, wobei die Aggression bereits der oralen Phase, nicht der analen zugeordnet wurde. Wheeler weist darauf hin, dass die beiden Perls dem starken Individualismus des Freud’schen Modells verhaftet blieben, in dem sie selbst unterrichtet wurden. Es ging ihnen wie Freud um die Entwicklung fester Persönlichkeitsgrenzen, einer reifen Autonomie und Selbstbestimmung und um eine Überwindung prä-ödipaler Abhängigkeit. Somit blieb der frühe gestalttherapeutische Blick auf die Kindheit psychoanalytisch geprägt. Kindheit wurde bei Freud als eine Art »gefährliches Leiden« (Wheeler 2002, 13) betrachtet, von dem man sich ein Leben lang erholen musste. F. Perls dürft e das nicht viel anders gesehen haben. Im Gegensatz dazu beschäftigte sich Laura Perls sehr früh mit entwicklungstheoretischen Themen, auch angeregt durch die Auseinandersetzung mit ihren beiden Kindern. Goodman, ein weiterer Begründer der Gestalttherapie, war gleichsam Bewunderer Freuds und Kritiker der ödipalen Theorie. Sein Blick auf die Kindheit war ein durchaus positiver: Kinder hatten Freude an Spiel, Spontaneität und Gemeinschaft. Dies sollten auch erstrebenswerte Ziele für Erwachsene sein.

      Gestalttherapeutische Antworten auf heutige Kindheit

      »Gestalttherapeutisch zu arbeiten heißt zunächst, den Blick darauf zu richten, was uns schwierige Kinder heutzutage mitteilen.« (Baulig /Baulig 2002, 47)

      Die Gestalttherapie orientiert sich an einem Entwicklungsmodell der normalen und gesunden Entwicklung des Kindes. Kinder nehmen über ihre Sinne wahr. Sie sehen, hören, riechen, schmecken, tasten und bewegen sich. Sie bilden dabei ganz individuelle Vorlieben aus. Diese Sinneserfahrungen ermöglichen ihnen Erlebnisse. Kinder entwickeln sich durch diese Erlebnisse und treten darüber in Interaktion mit anderen Menschen. Die emotional gefärbten Erlebnisse werden benannt und erhalten eine begriffliche Einordnung. Das Kind übernimmt diese Benennungen. Es sind Benennungen für die Wahrnehmung des Kindes und damit werden Aussagen über das Kind selbst getroff en. Sind die Benennungen wohlwollend, wird das Kind sich sicher fühlen, die eigene Wahrnehmung wird von der Wahrnehmung anderer Menschen geteilt und sie wird als gemeinsame Wahrnehmung in Worte gefasst. Das Kind fühlt sich bestätigt, sein Entwicklungspotenzial kann sich frei entfalten. Fällt die Benennung negativ, irritierend, abwertend aus, wird das Kind nicht in seiner Wahrnehmung bestätigt. Das Kind fühlt sich unsicher, abgewertet, nicht gesehen. Das Kind muss sein inneres Bild von sich aufrechterhalten, im Dienste der Selbsterhaltung müssen Benennungen abgewehrt werden. Gelingt dies, weil das Kind mit seinem Selbstwert stark genug ist, kann Entwicklung weiter stattfinden, obwohl von außen Infragestellungen passieren. Ist die Irritation jedoch zu groß, bleibt dem Kind nichts anderes übrig, als seine psychische Abwehr zu aktivieren.

      Abwehrformen wie Projektion, Introjektion, Retroflexion1 kommen zum Tragen, werden als Strategien eingesetzt und für ähnliche Situationen im Gedächtnis abgespeichert. Unsere Aufgabe als KinderpsychotherapeutInnen ist es, dem Kind behilflich zu sein, sich selbst mit seinen Sinneserlebnissen, seinen Körpererfahrungen, seinen Gefühlen als richtig zu erleben und sich allmählich von negativen Bewertungen zu befreien. Somit kann das Kind wieder einen Zugang zu sich und zu seinem Leben finden, was ermöglicht, die nächsten Entwicklungsschritte zu tun. Es geht darum, selbstunterstützende Kräft e im Kind zu aktivieren (vgl. L. Perls 1999, Votsmeier-Röhr 2005). Dazu muss dem Kind aber genügend Unterstützung und Rückhalt geboten werden. Nicht zu viel, sonst würde es überfordert. Nicht zu wenig, sonst würde es unterfordert und sein Interesse würde versiegen. Auch eine unberechenbare Unterstützung ist nicht hilfreich, es verunsichert das Kind, wenn Unterstützung einmal kommt und dann wieder nicht. Schließlich muss Unterstützung im Tempo und in der Dosierung adäquat sein, auch wird das Kind spüren, ob es aufrichtig gemeint ist oder nicht. Die Unterstützung muss verlässlich sein, darf nicht aufgedrängt werden, auch nicht verweigert, wenn ein Kind darum bittet. Wenn genügend Unterstützung erfolgt ist und ein Kind Selbstunterstützung gelernt hat, kann sich das Kind gut entwickeln. Schließlich geht es darum, dass Kinder lernen, sich selbst zu akzeptieren, sich um sich selbst zu kümmern und zum eigenen Gefährten werden. Dies gelingt nur, wenn wichtige Menschen zur Seite stehen. KindertherapeutInnen können solche äußeren Gefährten werden, die sich im Laufe des Therapieprozesses auch zu inneren Wegbegleitern mit Schutzfunktion wandeln können.

      Oaklander

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