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bis heute vernehmbar macht.

      „Existenz“334 als das zweite bedeutungsgebende Wort der Formulierung „kirchliche Existenz“ verweist auf die konkrete, raum-zeitlich situierte, individuelle Weise, in der die Entfaltung des Betens der Edith Stein sich ereignete und zur Erscheinung kam. Wie also das Wort „Kirche“ den Blick auf den Entstehungs- und Entfaltungsraum lenken will, so will der Begriff „Existenz“ auf die besondere Art hinweisen, wie etwas in diesen Raum als originäre menschliche Erscheinung eingetreten ist und darin weiter wirksam bleibt. Das obige Bild von der „Kirche“ als „Klangraum“ für das Beten der Edith Stein aufnehmend, könnte man entsprechend sagen, dass das Wort „Existenz“ gleichsam die ursprüngliche, individuelle „Klangfarbe“, seine „Tonalität“ und akustische „Fortdauer“ markiert, in der Beten bei Edith Stein im Raum der Kirche erschien und „zu Gehör“ gekommen ist.

      Die Wortverbindung „kirchliche Existenz“ mag auch Sensibilität wecken für eine von vorne herein möglichst weiträumig angelegte Sicht des Gebets bei Edith Stein. Diese Sicht entgeht einer Einengung der Perspektive und Verkürzung der Sehweise auf das rein Individuelle, Private und Innerliche an ihrem Beten. Vielmehr öffnet eine von den Perspektiven „Kirche“ und „Existenz“ orientierte Sicht den Blick für den Aspekt des Gemeinschaftlichen und des sich nach außen hin im Raum der Kirche datierbar Zeigende ihres Betens. Wenn Edith Stein im philosophischen Denken den Einzelnen nie in Absehung von seiner sozialen Verwobenheit335 und gemeinschaftlich-staatlichen Verfasstheit336 begreift, sondern vielmehr direkt darauf bezogen und davon getragen, dann scheint es angemessen, entsprechend auch mit Blick auf ihr Beten vorzugehen und es mithin als soziales Geschehen im Raum der eschatologisch weit gefassten Kirche zu begreifen und von vorne herein auch so zu sichten. Denn es eignet dem Beten der Edith Stein ein durchgängig kirchlicher Zug: „Ihre Beziehung zur Kirche ist sehr lebendig, wobei die Kirche als Leib Christi ein bevorzugtes Bild war: Da hatte jedes Glied seine Aufgabe. Erstaunlich war, wie sehr sie die Kirche nicht als starre, sondern als geschichtsbezogene Wirklichkeit sah. […] Das Gebet – nicht nur das liturgische ist ein Gebet der Kirche, sondern auch das private – hat seine unersetzbare Bedeutung.“337

      Edith Stein lässt eine (bisweilen in ihren Schriften implizite) Ekklesiologie erkennen, bei der zwei Merkmale auffallen: universale Weite und christologische Zentrierung. Beide Gravitationsfelder des Denkens und Sprechens von der Kirche hängen bei ihr zusammen. Das hat seinen Grund darin, dass ausgehend vom Gedanken einer universalen Bedeutung des Christusereignisses für alle Menschen,338 und der Überzeugung, als Glied am Leib Christi an der proexistenten Seinsweise des erhöhten Herrn für die Welt teilzuhaben,339 sich für Edith Stein eine weiträumig angelegte Ekklesiologie nahe legt, bei der Kirche als Moment an der Wirksamkeit Gottes in den Blick rückt. Daher kann sie 23. 3. 1938 an Adelgundis Jaegerschmid mit Blick auf Edmund Husserl schreiben: „Um meinen lieben Meister habe ich keine Sorge. Es hat mir immer sehr fern gelegen zu denken, daß Gott sich an die sichtbaren Grenzen der Kirche binde. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“340

      Eine genauere inhaltliche Klärung dessen, was mit Existenz gemeint ist, steht am Ende der Begriffsklärungen, die zur Sichtung der Konturen des Betens im Leben der Edith Stein hinführen. Nachstehend wird in gebotener Kürze dargestellt, was mit Existenz bedeutet wird, und welche Aufnahme der Begriff im Rahmen der Existenzphilosophie gefunden hat. Was dabei zutage tritt, kann im Fortgang der vorliegenden Untersuchung eine Hilfe sein, das Geschehen des Gebets als Prozess zu begreifen, in dem der Mensch fundamental in seiner zeitlichen Verfasstheit, seiner Transzendenzfähigkeit und seiner Anlage zu Entscheidungen und zur Übernahme seines Daseins angesprochen ist. Der geschichtlich konturierte, je einmalige „Augenblick“, der dem Menschen widerfährt, gewinnt für ein zeitsensibles Verständnis von Gebet an Bedeutung.

      Lexikalische Definitionen von „Existenz“341 illustrieren eine Begriffsgeschichte342, bei der etymologisch ein „Hervorgehen“ und „Herausgehen“ von etwas in den Blick kommt: „Die volle Schreibweise ex-sistere gibt zu erkennen, daß mit diesem Wort anfänglich ein Ortssinn verbunden war: aus der Erde, aus dem Fluß herausbrechen, aus dem Mutterleib hervorgehen, aus dem Hinterhalt hervorbrechen u.ä. […] Schließlich wird die lokale Herkunft ganz fallen gelassen, und existere rückt in die Bedeutung von vere esse ein.“343 Der Inhalt des Begriffs konzentriert und konkretisiert sich immer mehr auf das spezifisch menschliche Dasein in seiner Entfaltung: „Das Wort E. wird auf vielfache Weise verwendet: in seiner Grundbedeutung besagt es, daß etwas ist im Gegensatz dazu, was es ist. In einem weiteren Sinn ist E. gleichbedeutend mit ‚es gibt‘, in einem engen mit ‚als selbständiges Etwas da sein‘. Eine spezif. Bedeutung gewinnt E. in der Existenzphilosophie, indem es auf die unableitbare individuelle Daseinsweise des Menschen beschränkt und dem dinglich-gegenständl. Vorhandensein entgegen gestellt wird.“344 Geschichtlich-raumzeitlich erfahrbares Menschsein wird betont zum Ausgangspunkt der Frage nach dem Sinn des Seins. Mit Existenz und existentia ist Edmund Runggaldier zufolge im Sinne einer „aktualen“ oder „temporalen“ Existenz „die Aktualität eines Dinges gemeint, insofern es Veränderungen unterliegt und aktiv und passiv in kausale raum-zeitliche Abläufe einbezogen ist (in actu esse).“345 Der temporale Aspekt einer hervortretenden Gegebenheit, zumal einer menschlichen, ist somit implizit mitausgesagt, wo der Begriff „Existenz“ in jüngeren Publikationen Verwendung findet.

      Die solcherart anthropologisch formulierte menschliche Verfasstheit erfährt in der „Existenzphilosophie“ betontes Augenmerk. Diese „ist seit Ende der zwanziger Jahre eine Sammelbezeichnung für eine Mehrzahl philosophischer Ansätze und Ausbildungen. Sie sind dadurch gemeinsam kennzeichenbar, dass sie die philosophische Frage nach dem Sein und dem Seienden im Ganzen festmachen am menschl. Dasein […], dem das Wirklichkeitsganze als naturaler und soz. Bedeutungszusammenhang nicht nur z. Nach- u. Mitvollzug schon schlechthin vorgegeben, sondern als zu Entwerfendes im ursprüngl. Vollzug seiner endlich-geschichtlichen Freiheit je aufgegeben ist.“346 Bei den Vertretern dieser Denkrichtung sind die geschichtliche Aufgegebenheit des menschlichen Daseins, und die Anforderung zu je individueller Aneignung derselben ebenso im Blick, wie die grundlegende Transzendenzmöglichkeit und -tendenz des Menschen. Nach Alois Halder „steht“ die Existenzphilosophie „in einer Traditionslinie der neuzeitl. Philos. der sich überantworteten Subjektivität, betont aber in deren Verfassung radikaler das Handlungsbewußtsein u. die Tat d. Entscheidung in jeweil. Situation vor dem Erkenntnisbewußtsein und dem objektivierenden und bleibende Gültigkeit suchenden Wissen, insg. die konkrete menschliche Individualität mit ihrer unabnehmbaren Last, sich u. ihre eigene Lebens- u. Weltgestalt ‚echt‘ selbst zu gewinnen oder zu verfehlen, worin zugleich ihr ausgezeichneter Rang begründet ist.“347 Das Transzendieren des Menschen stößt jedoch angesichts des Uneinholbaren des Seins im Ganzen (sowie gleichermaßen seines eigenen In-der-Welt-seins) an eine unüberwindliche Grenze, von der der Mensch unausweichlich und bleibend angegangen wird. An dieser Grenze öffnet sich ihm die Möglichkeit des bleibenden Scheiterns seiner Transzendenzbemühungen und seiner Suche nach Gelingen des aufgegebenen Lebens (K. Jaspers).348 Andere Vertreter der Existenzphilosophie, oder solche, die von ihr Anregungen aufnehmen, sehen aber die Möglichkeit, sich in Form der Hoffnung (G. Marcel)349 auf die Grenze zu beziehen, an die das menschliche Tranzendieren stößt; oder es besteht die Möglichkeit, dem „ursprünglichen Geheimnis“, das an den Menschen in seinem Über-sich-hinaus-verwiesensein rührt, in Form der „Andacht“ und der „Anbetung“ zu begegnen und zu entsprechen (B. Welte).350

      Die Aufnahme des Begriffs „Existenz“ in eine phänomenologisch sensibilisierte Beschreibung der Gebetsäußerungen Edith Steins kann somit existenzphilosophisch eine Hoffnungs- und Anbetungsdimension in den Blick heben, die aus den Bedingungen des Menschseins als Möglichkeit ableitbar ist. Wo von Existenz die Rede ist, dort ist philosophisch einschlussweise intellektuell möglich und verantwortbar, von der Denkbarkeit und der Möglichkeit einer Daseinsaktualisierung zu sprechen, die dem Moment des hoffnungsbereiten Gebets Raum gibt. Insofern scheint eine entschiedene Justierung der Optik auf das Gebet bei Edith Stein mithilfe von Begriffen der phänomenologisch

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