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Aspekte jenes Geistes des Konzils in der Solidarität mit den Menschen, wie er in Gaudium et spes 1 eindrücklich formuliert ist, aus?858 Dass sich der Geist des Konzils einer verbindlichen Festlegung entzieht, darf als ein wesentlicher, wenngleich nicht unumstrittener Motor der postkonziliaren Entwicklung bezeichnet werden.859 Wenn das Konzil der „Anfang eines Anfangs“860 ist, wie Johann Baptist Metz Karl Rahner zitierend anmerkt, dann drängt der Geist des Konzils, obgleich er im Buchstaben verwurzelt bleibt, doch auch über ihn hinaus, insofern sich seine Verwirklichung im notwendigen Wandel der Zeit vollzieht.

      Aus den bisherigen Ausführungen lässt sich ein theologisches Rezeptionsverständnis kompilieren, das für die Analyse der Konzilsrezeption durch den Aktionskreis Halle maßgebend ist. Rezeption wird dabei nicht als ein Akt des Gehorsams verstanden, sondern als wechselseitiger und ergebnisoffener Prozess der geschichtlichen Wahrheitsvermittlung in einer untereinander verbundenen Bekenntnisgemeinschaft. Theologisch ist dieses Rezeptionsverständnis durch die Teilhabe des ganzen Volkes Gottes am dreifachen Amt Christi legitimiert. Aus dem gemeinsamen Priestertum erwachsen allen Subjekten in der Kirche die Rechte eines eigenständigen Rezipienten. Wie die Christgläubigen mit den Texten und dem Geist des Konzils umgehen, ist einerseits durch ihre individuelle Würde und Freiheit geschützt, bleibt jedoch andererseits in die Communio der kirchlichen Gemeinschaft eingebunden und ist daher nicht beliebig. Das im Konzil als entscheidend Erachtete muss in einen konstruktiven Dialog mit Bezeugungsinstanzen des Glaubens eintreten und darin sowohl die Kontinuität als auch die Aktualität unter Beweis stellen. Dass bestimmte Aussagen des II. Vatikanums von einer kirchlichen Gemeinschaft wie dem AKH rezipiert, interpretiert und angewandt wurden, geht zwar auf die formale Autorität des Konzils zurück, gründet aber vor allem darin, dass diese Aussagen und Aufbrüche eine signifikante lebenspraktische Relevanz aufweisen. Unter den politischen Bedingungen des diktatorischen SED-Regimes war dieses Verständnis jedoch nicht nur theologischen, sondern zugleich kirchenpolitischen Anfragen und Limitierungen ausgesetzt.

      1.3Partielle Nichtrezeption von Konzilsaussagen

      Die Rezeption des Konzils und ihre Erforschung haben bislang verschiedene Phasen durchlaufen.861 An eine erste Rezeptionsphase des „Aufbruchs und des Überschwangs“862 trat ab 1968, spätestens aber seit 1973 die Zeit der „enttäuschten Hoffnung“863 und der Resignation. Zu jener Zeit war unklar, welchen Weg die nachkonziliare Kirche einschlagen würde und ob er nicht (wieder) ins Ghetto führen würde.864 Die postkonziliaren Synoden konnten bei ihrem Versuch, das Konzil durch die Ortskirchen zu rezipieren, zwar eine beachtliche Breitenwirkung entfalten, diese jedoch nicht langfristig konsolidieren.865 Die außerordentliche Bischofssynode zum 20jährigen Konzilsjubiläum 1985 schien als Beginn einer dritten Phase dazu beigetragen zu haben, dass sich die Kirche neu auf das Konzil orientiert und besinnt.866 Die Kölner Erklärung867 von 1989 und die Veröffentlichung eines Memorandums von Theologen und Theologinnen im Jahr 2011868 scheinen deutliche Anzeichen zu sein, dass auch diese Phase erodiert. Ob sich anlässlich der großen Konzilsjubiläen 2012 und 2015 eine neue Phase der schöpferischen Relecture des Konzils anschließt, bleibt abzuwarten.

      Eine umfassende Analyse der ostdeutschen Konzilsbeteiligung und der anschließenden Konzilsrezeption in der katholischen Kirche in der DDR steht bislang noch aus, wenngleich erste wichtige Zugänge eröffnet sind.869 Im Gegensatz zu anderen Ostblockstaaten konnten die ostdeutschen Bischöfe mit ihren periti privati relativ ungehindert zum Konzil reisen und von dort berichten.870 Bereits 1967/1968 wurde eine vollständige Textedition des Konzils in der DDR publiziert.871 In der Folgezeit wurden Priester- und Diözesanräte etabliert und bis 1975 hatte man mit unterschiedlichem Erfolg zwei Synoden auf dem Gebiet der DDR abgehalten, die sich der Umsetzung der konziliaren Aussagen verschrieben hatten.872 Im Hinblick auf überprüfbare Ergebnisse zur Umsetzung des Konzils in der DDR wird, wie in Westdeutschland auch, bislang fast ausschließlich auf die Liturgiereform verwiesen.873 Während Rolf Schumacher noch 1998 davon sprach, dass es durch die Dresdner Pastoralsynode eine „überzeugende Rezeption von ‚Gaudium et spes‘ unter den gegebenen Bedingungen der DDR“874 gegeben habe, darf es inzwischen als Forschungskonsens angesehen werden, dass zumindest bis Anfang der 80er Jahre „wesentliche Inhalte der Pastoralkonstitution ‚Gaudium et spes‘ […] ausgeblendet“875 blieben.876 Die Beschreibung dieser Entwicklung als „partielle Nichtrezeption“877 von Konzilsaussagen hat sich als heuristisch angemessen herausgestellt, da nicht das Konzil insgesamt abgelehnt wurde. Allerdings ist festzuhalten, dass die Frage nach der Rezeption des Konzils bislang weitgehend isoliert auf die Rezeption der Pastoralkonstitution verengt wurde. Weder die Kontextualität von Gaudium et spes zur Kirchenkonstitution und zum Dekret über das Laienapostolat wurden dabei gebührend beachtet, noch wurden weitere Konzilsaussagen einer kritischen Rezeptionsanalyse unterzogen.878

      Bezogen auf die vier zu analysierenden Themenkomplexe lassen sich verschiedene Konfliktfelder und -potentiale ausmachen, die ihre Rezeption erschwerten. Für die Hermeneutik der Konzilsrezeption in der DDR ist es unerlässlich, neben den innerkirchlichen und theologischen Diskussionen auch das gesellschaftlich-politische Umfeld eines atheistischen Regimes zu beachten.879 Wenngleich die Situation der katholischen Kirche in der DDR im Vergleich zu anderen Ostblockstaaten als freier und unabhängiger beschrieben werden kann, so ist sie dennoch nicht mit der Freiheit in demokratischen Rechtsstaaten zu vergleichen. In der Ursachenbeschreibung der „partiellen Nichtrezeption“ wird bislang auf die dominierende Haltung eines Mannes rekurriert. In der als „Ära Bengsch“ bezeichneten Amtszeit des Berliner Erzbischofs Alfred Kardinal Bengsch880 von 1961 bis 1979 formte und leitete er die katholische Kirche in der DDR und die Konferenz ihrer Ordinarien unter den Prämissen von unbedingter Einheit und Geschlossenheit.881 Der von Kardinal Bengsch aus pastoralen Motiven heraus etablierte kirchenpolitische modus vivendi mit dem SED-Staat, der seelsorgliche Freiräume wirkungsvoll dadurch zu sichern vermochte, dass sich die Kirche im Rahmen einer „politischen Abstinenz“ von der Kommentierung der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR weitestgehend dispensierte, konsolidierte den Status quo, die Trennung zwischen Staat und Kirche zu beiderseitigem Vorteil. Das Modell einer regulierten Gesprächsführung zwischen Kirche und Staat, das Gesprächskontakte nur auf Priester beschränkt wissen wollte, hatte vor allem unter den Bischöfen Wilhelm Weskamm und Julius Döpfner eine bistumsweite und immer neu erklärte Verbindlichkeit erreicht.882 Mit dem von der Pastoralkonstitution empfohlenen Dialog und Weltdienst der Christen schien dieses an den kirchenpolitischen Realitäten eines totalitären Staates abgelesene Modell allerdings kaum kompatibel zu sein. Als entscheidender Grund, weshalb es bis in die achtziger Jahre hinein zu einem „Ausfall der Rezeption von Gaudium et spes“883 gekommen ist, wird die Verknüpfung aus Alfred Bengsch’ dominierender theologischer Prägekraft mit seiner Stellung als Vorsitzendem der Berliner Ordinarien- und späteren Bischofskonferenz (BOK/BBK) und seinem Widerstand gegen das vormalige Schema XIII des Konzils angenommen.884 Unter Rückgriff auf seine eigenen Aussagen885 werden dabei sowohl theologische Motive als auch kirchenpolitische Erwägungen angeführt, weshalb es ihm unter den Bedingungen der DDR inopportun erschien, die Umsetzung und Interpretation von Gaudium et spes zu fördern.886 Theologische Defizite des Textes hinsichtlich einer unterrepräsentierten Kreuzestheologie, aber mehr noch die Sorge vor einer Instrumentalisierung der Konzilstexte für propagandistische Zwecke und damit verbunden einer Aufweichung der kirchlichen Einheit und Geschlossenheit - was für Bengsch gleichbedeutend mit der Gefährdung von Seelsorge verknüpft war - dürften für die verordnete Nichtrezeption letztendlich ausschlaggebend gewesen sein. Mit dieser Einstellung eng verbunden waren Vorstellungen zur Rezeption des Konzils. Kardinal Bengsch erschien es mehrfach geboten, mahnend darauf hinzuweisen, dass allein dem kirchlichen Lehramt die „legitime Interpretation der Konzilsdekrete“887 zustehe. Der bischöflicherseits befürchtete Missbrauch der Konzilstexte ließ die BOK gegenüber einer forcierten Konzilsrezeption zögerlicher werden.888 Zugleich sah er 1966 im innerkirchlichen Umgang mit den Konzilstexten die Tendenz zur „Missachtung der kirchlichen Lehrautorität“889: „Konzilsbeschlüsse werden weithin nur als Diskussionsgrundlage

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