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– Kongenialität von Kapitalismus und protestantischer Ethik entstandene Verbot des Zeitreichtums bzw. der Zeitverschwendung bleibt in säkularer Transformation erhalten. Die soziale Beschleunigung wird dabei zum säkular funktionalen Äquivalent für die Idee des ewigen Lebens.166 Ein gutes Leben führt dann derjenige, der die irdische Zeitspanne so intensiv wie möglich nutzt und die Lebensoptionen optimal auskostet; am besten sollte man nach dieser Logik zwei Lebenspensen in einem absolvieren.

       3. Verzeitlichung der Zeit

      Welche Konsequenzen ergeben sich aus den beschriebenen Beschleunigungsphänomenen? Sie lassen sich mit dem Stichwort der Verzeitlichung der Zeit beschreiben: Zeitpunkte und Zeitdauern sind nicht mehr von vornherein festgelegt, über sie wird vielmehr im Vollzug entschieden. Dies gilt sowohl für kurzfristige Absprachen wie für ganze Lebensläufe167 (De-Institutionalisierung des Lebenslaufs); es ist also auch eine Entzeitlichung des Lebens zu konstatieren. Für die individuelle Ebene gilt, dass weder von einer substantiellen Identität a priori (wie in traditionalen Gesellschaften) noch von einer stabilen Identität a posteriori (wie in der Neuzeit) ausgegangen werden kann; vielmehr ist die situative Identität des Spielers (statt des Zeitmanagers) charakteristisch für die Spätmoderne. Auf der politischen Ebene verliert der Anspruch, die jeweilige Lebensform demokratisch-deliberativ zu bestimmen, an Überzeugungskraft, weil demokratische Abstimmungsprozesse viel Zeit und Energieaufwand bedeuten; sie kommen einfach in vielen Fällen mit der Unübersichtlichkeit und Geschwindigkeit der zu beherrschenden Prozesse nicht mehr zurecht (z. B. in den jüngsten weltweiten Wirtschaftskrisen).

      Als Charakteristika der gegenwärtigen Zeitstrukturen lassen sich festhalten: die Pluralisierung von Zeitsystemen (auch Religion und Kirche können – trotz oder auch wegen erfolgter Modernisierungsbemühungen – keine einheitlich verbindlichen Zeitstrukturen mehr vorgeben), eine abnehmende Erwartungssicherheit (und damit zunehmende Planungsunsicherheit) und eine steigende Tendenz zur Vergleichzeitigung (statt vorgegebener sequentieller Muster).168

       4. Beschleunigung als Herausforderung für den praktisch-theologischen Diskurs

      Beschleunigung erweist sich nach diesen Analysen als ein Signum der Spätmoderne, dem die Praktische Theologie schon allein deshalb Aufmerksamkeit schenken sollte, weil dem Kreislauf der Beschleunigung nicht zu entgehen ist, oder anders gesagt: weil es kein Außen der Beschleunigung gibt.169 Wenn Beschleunigung ein massiver, zumindest von Einzelnen nicht aufhaltbarer Prozess der Spätmoderne ist, stellt sich die Frage, wie er theologischerseits in seiner Alternativlosigkeit, aber auch in seiner Ambivalenz wahrgenommen und akzeptiert wird. Wie wird mit den positiven Möglichkeiten, wie mit den Zumutungen und Kränkungen der spätmodernen Beschleunigungsgeschichte umgegangen? Was trägt zu einem gelingenden Umgang bei, der weder in Quietismus noch in Alarmismus verfällt? Wird die Massivität des Beschleunigungszwangs unterschätzt? Welche Sensibilität für die Verlierer der Beschleunigungsprozesse wird deutlich? Und schließlich: Welches Bewusstsein von der Befristung der Zeit wird thematisiert?170

       Deinstitutionalisierung und Häresie

      Thomas H. Böhm

      Wer Institutionen charakterisieren will, steht vor dem Problem, eine diffuse Ausgangslage ordnen bzw. sich einschränken zu müssen. Denn:

      „[D]er Institutionsbegriff führt in der Soziologie ein eigenartiges Doppelleben. Auf der einen Seite gehört er zweifellos zu den zentralen Begriffen, sozusagen zum harten Kern soziologischer Begrifflichkeit […]. Aber auf der anderen Seite besteht wenig bis gar kein Konsens darüber, was mit diesem Begriff eigentlich genau gemeint ist. Die Zahl der Definitionen ist beachtlich, ihr Spektrum umfaßt sehr verschiedene inhaltliche und formelle Bestimmungen und Kriterien. Aber auch, wo kein Dissens besteht, bleiben inhaltliche Bestimmungen auffällig diffus und vage.“171

      In der geschichtlichen Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sind Institutionen dabei keineswegs zu allen Zeiten selbstverständlich. Zur Erklärung der Ordnung des individuellen Handelns wurde lange Zeit allein der Staat bzw. das Gemeinwesen herangezogen – etwa bei Aristoteles die Polis, bei Cicero die Res publica oder bei Thomas Hobbes der Leviathan. Der Begriff der Institution

      „ist erst mit dem Aufkommen bzw. mit dem Bedeutungszuwachs jener Zwischeninstanzen entstanden, die zwischen dem Handeln der Individuen und den großen gesellschaftlichen Strukturen liegen: die Ordnungen und Vorschriften der Stände und Zünfte, die Städteordnungen oder die Regeln spezieller Glaubensgemeinschaften zum Beispiel“172.

       1. Was ist eine Institution?

      Will man den Begriff der Institution auf eine Kurzformel bringen, so kann man festhalten: Eine Institution ist „eine Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln, die verbindliche Geltung beanspruchen.“173 Oder ausführlicher: Institutionen sind „bestimmte, in den Erwartungen der Akteure verankerte, sozial definierte Regeln mit gesellschaftlicher Geltung und daraus abgeleiteter ‚unbedingter‘ Verbindlichkeit für das Handeln.“174 Diese Regeln sind in Kraft, auch wenn einzelne Beteiligte sie nicht kennen, missachten oder vergessen – oft werden sie gesellschaftlich eingefordert und/oder sanktioniert.

      Institutionen betreffen ganz verschiedene gesellschaftliche Bereiche wie die generative Reproduktion, die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die Versorgung mit Gütern des alltäglichen und außeralltäglichen Bedarfs, die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren politischen Ordnung sowie die Tradierung und Weiterentwicklung von symbolischen Codes und Sinnbezügen. Indem Institutionen hier

      „die Beliebigkeit und Willkür des sozialen Handelns beschränken, üben sie normative Wirkung aus; sie geben Werte vor und legen Pflichten fest. Dabei leisten sie eine Doppelfunktion: einmal für den Menschen, dessen Bedürfnisnatur sie formen, zum anderen für die Gesellschaft, deren Strukturen und Bestand sie sichern.“175

      Damit nehmen Institutionen – wie weiter unten noch ausführlicher zu zeigen sein wird – in Bezug auf Individuum und Gesellschaft Entlastungs- und Sicherungsfunktionen wahr.

      Zuvor bedarf es aber noch der Abgrenzung des Institutionsbegriffs von zwei ähnlichen, aber nicht gleichen Sachverhalten:

      „erstens von einfachen, aber nicht als Erwartungen verankerten oder gar durch Sanktionen erzwungenen oder über bestimmte moralische Gefühle getragenen, bloßen Regelmäßigkeiten des Handelns. […] Zweitens sind Institutionen von den konkreten und inhaltlich bestimmten sozialen Gebilden zu unterscheiden, in denen soziale Regeln zwar angewandt werden, die aber nicht allein daraus bestehen.“176

      Im zweiten Fall ist eben nicht – wie oft angenommen – von Institution, sondern von Organisation zu sprechen. Eine Organisation ist gegenüber der Institution

      „ein für bestimmte Zwecke eingerichtetes soziales Gebilde mit einem formell – bzw. ‚institutionell‘ – vorgegebenen Ziel, mit formell geregelter Mitgliedschaft, einer das Handeln der Mitglieder regelnden institutionellen ‚Verfassung‘, sowie – meist – einem eigenen ‚Erzwingungsstab‘ zur Durchsetzung dieser Verfassung.“177

      Organisationen als soziale Gebilde bedienen sich demnach institutioneller Regeln, sie sind jedoch zugleich mehr als diese.

       2. Die Entstehung von Institutionen

      Institutionen entwickeln sich nach Peter L. Berger und Thomas Luckmann aus der – der Gewöhnung entspringenden – Habitualisierung des Handelns, die den psychologisch wichtigen Gewinn der begrenzten Auswahl ermöglicht und von dauernden Entscheidungen entlastet. Demnach verfestigt sich

      „jede Handlung, die man häufig wiederholt, […] zu einem Modell, welches unter Einsparung von Kraft reproduziert werden

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